Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Torjäger trägt jetzt Vollbart

Der FCA startet in seine 10. Bundesliga-Saison. Ohne Stephan Hain würde er dort nicht spielen. Er sicherte mit seinem Tor gegen FSV Frankfurt den Aufstieg. Was der 31–Jährige heute macht (Serie, Teil 1)

- VON ROBERT GÖTZ

Als Stephan Hain an diesem 8. Mai 2011 da so in der Nähe der Eckfahne lag und sich seine Mannschaft­skameraden des FC Augsburg über ihn türmten, mit Trainer Jos Luhukay als Sahnehäubc­hen obendrauf, da wurde es dem jungen Mittelstür­mer des FC Augsburg bei aller Freude doch ein wenig mulmig. „Ich hatte zwar keine Atemnot, aber ganz wohl war mir ein paar Augenblick­e nicht gerade“, erinnert sich Hain zurück. Mit seinem Tor zum 2:1-Heimsieg gegen den FSV Frankfurt hatte er den Bundesliga-Aufstieg perfekt gemacht. Ohne Hain würde der FCA am 18. September nicht in seine 10. Bundesliga-Saison starten.

Die Ausgangsla­ge im Frühsommer 2011 war klar. Mit einem Heimsieg gegen den FSV Frankfurt hätte der FCA als Zweiter den Aufstieg in der Tasche, egal wie das letzte Spiel bei der schon als Meister feststehen­den Hertha aus Berlin ausgehen würde. Doch der FCA tat sich gegen den Tabellenzw­ölften schwer. Das frühe 0:1 durch Jürgen Gjasula (zuletzt Paderborn/jetzt Hamburger SV) aus der 3. Minute hatte Michael Thurk umgehend (11.) ausgeglich­en. Mehr wollte aber nicht gelingen. Es drohte ein Unentschie­den, der VfL Bochum saß dem FCA im Nacken.

Dann kam die 85. Minute. FCATrainer Jos Luhukay hatte Hain nur wenige Minuten vorher für Lukas Sinkiewicz eingewechs­elt. Michael Thurk trat eine Ecke von links, Kapitän Uwe Möhrle irritierte FSVTorhüte­r Michael Langer und Hain staubte am langen Pfosten mit links zum entscheide­nden 2:1 ab. Die mit 30660 Zuschauer ausverkauf­te Impuls-Arena, wie das Augsburger Stadion damals hieß, explodiert­e wie ein überhitzte­r Schnellkoc­htopf.

Hain, damals 23 – der Aufstiegsh­eld. Man hätte wohl keine unpassende­re Rolle für ihn finden können. Ja, ein mit allen Wassern gewaschene­r Thurk, der aus dem Frankfurte­r Arbeitervi­ertel Gallus stammt und ein abgebrühte­r Profi war, aber doch nicht der junge, schüchtern­e Niederbaye­r aus der kleinen Stadt Zwiesel (Lkr. Regen).

Als der FCA einen Tag später vor tausenden freudetrun­kener Fans auf dem Rathauspla­tz den ersten Bundesliga-Aufstieg in der Vereinsges­chichte feierten, konnte der Unterschie­d größer nicht sein. Dort Thurk, vor dessen Bierdusche­n keiner sicher war, hier Stephan Hain. Glattrasie­rt stand er etwas verloren auf der Tribüne. Als das Lied „Wir danken seinem linken Bein, Steeeeehep­han Haiiiiin“angestimmt wird, tritt er kurz vor und verschwind­et dann schnell wieder im Hintergrun­d. So zurückhalt­end und introverti­ert er neben dem Platz war, so schlitzohr­ig und giftig agiert Hain auf dem Platz. Wenn er mit seinem einzigarti­gen, ein bisschen watschelnd­en Laufstil am gegnerisch­en 16er unterwegs ist, wurde Hain in seiner Laufbahn von den gegnerisch­en Verteidige­rn oft unterschät­zt. Bis der Ball im Tor lag.

Der Erste, dem dieses Talent, sich fast unsichtbar zu machen und dann wie eine Schlange oder ein Krokodil von einer Sekunde auf die andere zuzuschlag­en, auffiel, war Thomas Tuchel. Jetzt trainiert der 46-Jährige das Weltklasse­team von Paris Saint-Germain, damals, 2007, versuchte er als 33-Jähriger, den A-Junioren des FC Augsburg seine schon damals anspruchsv­ollen Ideen in der Bayernliga beizubring­en. Da spielten sie unter anderem auch gegen die SpVgg Ruhmannsfe­lden. Der FCA gewann zwar beide Spiele, doch irgendwann klingelte bei der Familie Hain das Telefon. Am anderen Ende der Leitung: Thomas Tuchel. Hain: „Er hat gesagt, er hätte Interesse und ich soll mir doch das Ganze mal anschauen.“

Hain fuhr in die Großstadt und sagte nach zwei Tagen Bedenkzeit zu. Er zog mit drei Kollegen aus der U23 in eine Wohnung ganz in der

Nähe der Fuggerei. Nebenbei machte er an der Fachobersc­hule noch sein Abitur. Viel Zeit, um Heimweh zu bekommen, hatte Hain deshalb nicht. Seine Reifeprüfu­ng auf dem Platz legte er unter Tuchel ab: „Er hat zu uns gesagt, wenn wir das machen, was er verlangt, dann macht er aus uns bessere Spieler. Bei mir war

Stephan Hain über die Unterschri­ft unter seinem ersten Profivertr­ag

es definitiv so.“Dass Tuchel nun in der Weltmetrop­ole Paris trainiert und Hain beim Drittligis­ten SpVgg Unterhachi­ng spielt, ist für Hain kein Problem: „Dass er so eine Karriere einschlage­n würde: Hut ab.“

Dabei schien auch beim ihm alles in die richtige Richtung zu laufen. Als ihm der damalige FCA-Manager Andreas Rettig 2008 seinen ersten Profivertr­ag zur Unterschri­ft vorlegte, war Hain beeindruck­t: „Trainer Holger Fach hat gesagt, dass ich oben dabei sein werde. Wenn dann ein Andreas Rettig sehr selbstbewu­sst auftritt, zuckt man schon.“Hain unterschri­eb. Sein erstes

Gehalt war im unteren vierstelli­gen Bereich. „Für mich als 20-Jährigen war das ein gutes Geld.“

Und er bezahlte es dem Zweitligis­ten mit Toren zurück. Gerade in der Aufstiegss­aison 2010/2011 lief es. Trainer Jos Luhukay baute auf den stillen Niederbaye­rn. In 25 Spielen erzielte er zehn Tore. Das wichtigste am 8. Mai 2011. Der FCA war in der Bundesliga und Stephan Hain, der Niederbaye­r, mittendrin. „Als wir zu ,Blickpunkt Sport‘ eingeladen wurden und dort Philipp Lahm getroffen haben, wurde mir so richtig bewusst: Krass, die kommende Saison spielen wir gegen die Bayern.“

Doch so unkomplizi­ert die Beziehung FCA und Hain in der 2. Liga war, so komplizier­t wurde sie in der Bundesliga. Aufstiegst­rainer Luhukay baut zwar weiter auf ihn, doch Hain verletzte sich früh. „Als ich wieder fit war, stand die Mannschaft.“Sascha Mölders oder Torsten Oehrl stürmten damals.

Und als Luhukay ging und Weinzierl kam, fielen seine Aktien weiter. „Markus Weinzierl hat nicht hundertpro­zentig auf mich gesetzt.“Hain kam ins Grübeln, verlängert­e seinen Vertrag nicht und wechselte zum damaligen Zweitligis­ten TSV 1860 München. Am Ende stehen 24 Bundesliga-Spiele und zwei Tore in seiner Vita. „Der Wechsel ist mir nicht leichtgefa­llen, aber ich wollte eine Veränderun­g“, sagt Hain.

Doch bei der Münchner Skandalnud­el ist Hain genauso fehl am Platz wie ein Schuhplatt­ler beim Christophe­r-Street-Day. Das kann mal lustig sein, aber auf die Dauer macht es keinen Spaß. „Wir hatten uns beide mehr erwartet. Aber von meiner Art habe ich nie zu den Löwen gepasst. Da geht es schon sehr turbulent zu und ich bin ja eher der ruhigere Typ“, blickt Hain auf zwei verlorene Jahre zurück. Er ist immer wieder verletzt, Trainer Alex Schmidt wird schnell durch Friedhelm Funkel ersetzt, der eher seinen Spielern vertraut als dem ruhigen und verunsiche­rten Hain. „Ich war schnell angezählt und hab mir dann meine Gedanken gemacht.“

2016 geht er noch einen Schritt zurück, in die 3. Liga zur SpVgg Unterhachi­ng. Für Hain ist es eine Befreiung. Dort, vor den Toren Münchens, scheint die große Fußballwel­t weit weg, auch wenn Vereinsche­f Manfred Schwabl die Profession­alisierung genauso vorantreib­t wie früher den Ball im Mittelfeld des 1. FC Nürnberg oder des FC Bayern. Die Fußballer sind in eine Aktiengese­llschaft ausgeglied­ert, das Stadion von der Gemeinde gekauft. Trotzdem, die SpVgg schafft es weiter, zu wirken wie ein sympathisc­her kleiner Dorfverein. Das richtige Umfeld für Stephan Hain. „Es war das Kontrastpr­ogramm zu den 60ern“, sagt Hain.

Im vergangene­n Sommer hat der 31-Jährige bis 2023 verlängert. „Die Zeit bei 1860 hat mich geprägt. Ich weiß einfach zu schätzen, was ich hier habe. Hier kann man auch mal zwei, drei schlechte Spiele machen, ohne dass man infrage gestellt wird.“Natürlich beschäftig­t er sich auch mit seiner Zukunft nach dem Fußball. Der Fernstuden­t hat inzwischen seinen Master in Wirtschaft­swissensch­aften abgelegt. Aber er liebäugelt mit einem ganz anderem Beschäftig­ungsfeld: „Seit ein, zwei Jahren bilde ich mich im Bereich Personaltr­aining fort.“Die A-Lizenz besitzt er bereits.

Vorerst steht aber der Fußball im Mittelpunk­t. Manfred Schwabl will mit der SpVgg Unterhachi­ng zurück in die 2. Liga. Hain will mit seinen Toren dazu beitragen. Deswegen hat er sich schon seit längerem einen Vollbart wachsen lassen. „Ich will auf dem Platz etwas aggressive­r rüberkomme­n“, sagt er mit einem Augenzwink­ern. „Ich habe es mal ausprobier­t, es hat mir getaugt und dann habe ich ihn weiter wachsen lassen“, sagt Hain. Weg vom Milchbubi-Image, hin zu ein bisschen Wildheit, wenigstens im Gesicht, kann ja nicht schaden.

„Wenn dann ein Andreas Rettig sehr selbstbewu­sst auftritt, zuckt man schon.“

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Foto: imago Stephan Hain fühlt sich bei der SpVgg Unterhachi­ng einfach wohl.

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