Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Auf Tauchstation in der Antike
Wie verletzbar sind Gesellschaften in Krisenzeiten? Justinian I. nutzte Märtyrerkult und Wunderheilung zur Systemsicherung. Und wir?
Müssen in der Pandemie demokratische Prinzipien und Prozesse gekappt werden, damit der starke Staat Durchgriff hat? Wie haben das Vorgängergesellschaften gemacht? Viren und Revolten sind ja nicht erst 2020 erfunden worden. Das Altertum liegt zwar weit zurück, aber Distanz klärt oft den Blick. Die Lehrstühle für Alte Geschichte und klassische Archäologie der Universität Augsburg haben im Wintersemester sieben Vorträge zur Resilienz, zur Widerstandskraft von Gesellschaften in Krisen, organisiert.
„Mit diesem Begriff öffnet das einen neuen Zugang zum historischen Material. Unsere Leitfrage ist: Welche Mechanismen zur Beharrlichkeit von Systemen lassen sich aus den antiken Quellen erkennen?“, erklärt Gregor Weber, Inhaber des Lehrstuhls Alte Geschichte, die Reihe. Es ging bereits um Pompeji, Athen, um das Katastrophenmanagement der alten Kaiser und späten Etrusker. Jonas Borsch, Archäologe und Historiker aus Bern, referierte nun über Byzanz und die „Resilienz des oströmischen Kaisertums im sechsten und siebten Jahrhundert“.
Borsch ist als Katastrophen- und Umweltgeschichtsexperte bekannt. Sein Vortrag widmete sich Justinian (527–565), der in Konstantinopel große Strecken seiner 40-jährigen Amtszeit um die Wiederbelebung Westroms kämpfte. Die Resilienz muss groß gewesen sein, an Stress fehlte es nicht. Von Osten rückten die Perser gegen Byzanz, ab den 630er Jahren dehnte sich das islamische Herrschaftsgebiet von Süden aus. Schwere Erdbeben, ein Vulkanausbruch 536 und 541 eine Beulenpest beschädigten sein Kaiserimage: „Kontrollverluste gab es einige in Justinians Herrschaft“, so Borsch. Innenpolitisch machten ihm kirchenpolitische Gegner das Leben schwer, auch der bedeutende zeitgenössische Historiker Prokop polemisierte gegen ihn. Es hieß, Justinian sei persönlich für die Katastrophen verantwortlich.
Wie ging Justinian damit um, wie sicherte er das byzantinische System? Er baute die Hagia Sophia, wurde durch Wunder geheilt, pilgerte zu Märtyrerikonen, intensivierte die Marienverehrung. Kurz: Es war die Religion, die einheitsstiftend wirkte, das byzantinische Kaisertum von Gottes Gnaden wurde am Ende nicht als Teil des Problems, sondern als Lösung gesehen.
Soweit Byzanz. Zur Gegenwart schweigt der Referent. Dabei wäre es interessant zu wissen, welche Faktoren die Resilienz begünstigten und ob das etwas für die Gegenwart bedeuten kann. Die Vortragsreihe dient traditionell auch der Vermittlung von Wissen in die Stadtgesellschaft. Dies fehlt. Auf Nachfrage erklärt Gregor Weber: „Wir liefern historische Informationen. Es ist nicht unsere Aufgabe, aktuelle Entwicklungen zu analysieren.“