Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mutiertes Virus alarmiert die Regierung
Alles deutet auf weitere Verschärfungen der Corona-Regeln in der kommenden Woche hin. Warum die Kanzlerin aufs Tempo drückt und um welche Maßnahmen es geht
Berlin Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten debattieren hinter den Kulissen über eine weitere Verschärfung des Lockdowns. Das hat zwei wesentliche Gründe: Erstens gehen die Infektionszahlen nicht so stark zurück wie erhofft. Vor allem aber soll die Ausbreitung der hochansteckenden Mutationen des Coronavirus möglichst früh gebremst werden. Mehr Menschen im Homeoffice und weniger in Bussen und Straßenbahnen könnten dabei helfen. Merkel und die Regierungschefs der Länder haben ihre Runde auf Dienstag vorgezogen, um über strengere Regeln zu entscheiden.
Der Blick nach Großbritannien und Irland hat die Kanzlerin alarmiert. Dort wütet der mutierte Erreger mit bisher ungekannter Wucht. In London sei das Virus außer Kontrolle, sagt der Bürgermeister. Rettungswagen warten teilweise Stunden vor den Kliniken, bevor die Patienten dort aufgenommen werden. Irland galt noch im Herbst wegen seiner strengen Maßnahmen als
bei der Eindämmung der Seuche. Binnen fünf Wochen hat sich die Lage dort allerdings komplett gedreht. Das Land weist nun mit die höchsten Ansteckungszahlen weltweit auf. Die Mutation hat nach Einschätzung von Experten dazu geführt, dass die Viren zwischen 50 und 70 Prozent ansteckender sind als bisher. Sollten sie sich in Deutschland ähnlich durchsetzen, würde auch der Impfstoff wenig bringen. Denn das Virus wäre wohl schneller als alle Impfzentren zusammen. Merkel will deshalb erreichen, dass Deutschland vor die Welle kommt, wenn der England-Erreger zuschlägt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auch hierzulande ähnlich rasend verbreitet, wird im Kanzleramt auf mehr als 50 Prozent geschätzt. Deshalb will die CDUPolitikerin so schnell wie möglich handeln und die Kontakte und die Mobilität der Deutschen noch weiter reduzieren.
Spekulationen über die Einschränkung oder sogar den kompletten Stopp des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) schlugen am Freitag hohe Wellen. Die CDU dementierte zwar entsprechende Medienberichte, die Verunsicherung aber blieb. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger schloss eine Einstellung des öffentlichen Verkehrs von Bus und Bahn zur Pandemiebekämpfung aus. „Wer den ÖPNV lahmlegt, verursacht in den Städten Chaos“, sagte der Freie-Wähler-Chef unserer Redaktion. Auch der Deutsche Städteund Gemeindebund warnt. „Die Einstellung des ÖPNV würde gerade die in der Pandemie wichtigen systemrelevanten Berufe wie Polizisten, Müllwerker, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ordnungsämter und Altenpflegekräfte sowie das medizinische Personal insgesamt in der Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätte nachhaltig beeinträchtigen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion und fügte hinzu: „Das kann niemand wirklich wollen.“Wahrscheinlicher als ein Stopp des ÖPNV ist eine BeMusterschüler grenzung der Fahrgäste ähnlich wie bei den Kunden im Handel. Stellschrauben könnten etwa auch entzerrte Stoßzeiten sein.
Als ziemlich sicher gilt in Berliner Politikkreisen, dass alle Länder dem Beispiel Bayerns folgen und beim Einkaufen und im ÖPNV das Tragen von FFP2-Masken vorschreiben werden. In Bayern gilt die Pflicht ab Montag. Die Arbeitgeber müssen damit rechnen, dass der Staat einen Rechtsanspruch auf Homeoffice einführt, damit weniger Menschen in die Büros fahren. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte mit Gewerkschaftsbund und Arbeitgeberverband an die Firmen, die Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten zu lassen.
Unterstützung bekommt Merkel aus Sachsen, das derzeit besonders hart von der Pandemie betroffen ist. Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach sich dafür aus, Kontaktbeschränkungen für zwei bis drei Wochen drastisch zu verschärfen.
Im Kommentar geht es um Regieren unter Zeitdruck. In der Politik erfahren Sie mehr über mögliche Verschärfungen der Regeln.
Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr?