Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Brennpunkt Bahnhof: Die Hilfe bündeln
Die Unterstützung von privater Seite am Helmut-Haller-Platz erfreut die Süchtigen und Obdachlosen, bereitet Sozialverbänden aber Sorgen. Dabei könnte man die Not gemeinsam vielleicht sogar besser lindern
Das eingezäunte Areal neben dem Oberhauser Bahnhof, auf dem einst ein Spielplatz war, ist Augsburgs Platz der Hoffnungslosigkeit. Hier treffen sich die Alkohol- und Drogensüchtigen, manche von ihnen sind obdachlos. Je nach Tageszeit sind einige Menschen ansprechbar, vielleicht weil sie gerade beim Arzt ihr Methadon erhalten haben. Ihre Verfassung schwankt extrem. Es gibt auch traurige Szenen, in denen Menschen besinnungslos auf dem Asphalt liegen oder apathisch auf einer der Bänke kauern. „Wir sind der Bodensatz der Gesellschaft“, sprach unlängst eine Frau aus der Suchtszene die bittere Wahrheit aus. Die meisten Augsburger werden mit dem, was am Helmut-Haller-Platz tagtäglich geschieht, nicht konfrontiert. Manche schauen auch bewusst weg, weil sie das Elend nicht sehen können oder wollen. Seit einigen Wochen hat sich die Situation aber verändert.
Plötzlich kommen Menschen an den Oberhauser Bahnhof, die den Süchtigen und Obdachlosen helfen wollen. Sie bringen Essen vorbei, Kleidung, Decken, Schlafsäcke und Hundefutter. Eine Frau hat einen Obdachlosen mit einer schwer entzündeten Beinverletzung sogar ins Krankenhaus gebracht, sie kümmert sich auch weiterhin um ihn. Hilfsbereitschaft hat es am Oberhauser Bahnhof bislang höchstens vereinzelt gegeben, aber eine solche Welle ist ungewöhnlich. Das hat sicherlich auch mit der Pandemie-Situation zu tun.
Viele Menschen werden sensibler, solidarischer und wollen sich für die Gesellschaft einbringen, beobachten Sozialverbände. Vielleicht haben manche jetzt auch mehr Zeit, werden sich ihrer eigenen komfortablen Situation in dieser schwierigen Zeit umso mehr bewusst. Die Süchtigen und Obdachlosen am Oberhauser Bahnhof jedenfalls freuen sich nicht nur über die unerwartete Unterstützung. Manche sind dankbar, dass Menschen vorurteilsfrei auf sie zugehen. Denn das passiert selten. Doch mit dieser Hilfe von Privatleuten tun sich Probleme auf, mit denen die Engagierten selbst sicherlich nicht gerechnet haben.
Die Drogenhilfe und der katholiNotwendigkeit sche Sozialverband SKM, die unter anderem am Platz gegenüber im BeTreff die Süchtigen betreuen, üben – wie berichtet – scharfe Kritik an der Privathilfe. Sie sei zum Teil nicht zielgerichtet, vor allem aber fühlen sich die Sozialarbeiter in ihrer Arbeit und ihren Bemühungen mit den Drogensüchtigen konterkariert. Sie als Fachleute hätten die Menschen und deren Entwicklung am besten im Blick, heißt es. Sie könnten die Folgen der Sucht ab- und einschätzen, arbeiteten zukunftsorientiert mit den
Hilfsbedürftigen, wollen sie antreiben, selbstständiger zu werden.
Ihr langfristiges Ziel ist es, dass sich die Menschen Schritt für Schritt aus ihrer Sucht und damit auch aus der Szene am Helmut-Haller-Platz lösen. Die Privathilfe könnte sich negativ auf die Zusammenarbeit mit der Klientel auswirken, ist nun die Sorge. Die Sozialarbeiter befürchten, die Menschen aus den Augen zu verlieren, weil diese vielleicht keine mehr darin sehen, sich an sie zu wenden. Sind ja jetzt schließlich andere da, die helfen. Über all dieser Aufregung steht jedoch die Frage, ob sich die Hilfe der Privatpersonen und die professionelle Unterstützung der Sozialarbeiter nicht konstruktiv vereinen lässt.
Dazu müssten alle Hauptakteure aber erstmal miteinander sprechen, am besten an einem – virtuellen – runden Tisch. Man hätte längst aufeinander zugehen können. Dann wäre mancher Ärger und Frust erspart geblieben. Wie etwa der, der durch die Äußerung provoziert wurde, dass für die Privathelfer die Menschen am Bahnhof nur Mittel zum Zweck seien, um etwas für ihr eigenes Ego zu tun. Dass den engagierten Bürgern so etwas sauer aufstößt, ist verständlich. Sicherlich haben sie in erster Linie Gutes im Sinn, unterstützen Menschen, mit denen es das Leben nicht gut gemeint hat. Sei es die Augsburgerin, die über Freunde, Bekannte und inzwischen über eine eigens gegründete Facebookgruppe Sachspenden erhält.
Längst gibt sie Kleidung und Co. nicht mehr nur an Süchtige und Obdachlose weiter, sondern auch an Augsburger, denen das monatliche Geld kaum noch zum Leben reicht und die sich an sie wenden. Da wäre auch die ausgebildete Küchenchefin. Gemeinsam mit ihrem Partner bringt die Köchin abends selbst zubereitetes Essen an den HelmutHaller-Platz. Ihr ist es wichtig, dass die Menschen noch eine warme Mahlzeit erhalten, bevor sie sich – wo auch immer – schlafen legen. Man komme damit dem SKM auch nicht in die Quere, sagt die Frau. Denn um diese Zeit habe das Wärmezelt des SKM mit seiner Essensausgabe schon geschlossen. Zudem achte man auf Hygiene, Maskenpflicht und Abstand, betont die Helferin. Bis zum Frühjahr wolle sie an zwei bis drei Abenden die Woche am Oberhauser Bahnhof warme Speisen liefern. Solch ein Engagement ist alles andere als selbstverständlich.
Bei allem Verständnis für die Sorgen und Befürchtungen der Sozialarbeiter, dass ihre Arbeit konterkariert werden könnte, wäre es schade, diese Energie und Hilfsbereitschaft der Bürger nicht zum Wohl der Süchtigen mit einzubinden. Sich zusammensetzen, sprechen, gemeinsame Ansätze und Lösungen finden – das sollte jetzt getan werden, anstatt sich kritisch zu beäugen. Schließlich kommen auch wieder andere Zeiten.
Die private Hilfe könne sich negativ auswirken