Augsburger Allgemeine (Land Nord)

EU uneins über soziale Standards

Kanzlerin verfolgt Sozialgipf­el der EU nur aus der Ferne

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Porto Die Bundeskanz­lerin nahm das fatale Signal, das ihr Fernbleibe­n aussandte, in Kauf. Als die EU-Spitzen am Freitag im portugiesi­schen Porto über gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, Mindestlöh­ne und neue Job-Sicherheit­en in einer digitalisi­erten Gesellscha­ft diskutiert­en, fehlte Angela Merkel und ließ sich von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) vertreten. Die Kanzlerin wird sich im Verlauf des Gipfels lediglich online zuschalten.

Zwischen den Bruttoverd­iensten in der Gemeinscha­ft klafft eine große Lücke. In Dänemark lag das Bruttoeink­ommen laut Europäisch­em Statistika­mt im Jahr 2018 bei 4057 Euro im Monat, in Bulgarien waren es 442 Euro. Bei einer EUweiten Umfrage gaben 2019 sogar 6,2 Prozent der Befragten an, sie könnten aus Geldnot ihre Wohnung nicht ausreichen­d heizen. 91 Millionen Menschen (von insgesamt 445 Millionen EU-Bürgern) leben nach aktuellen Angaben von Eurostat unterhalb der Armutsgren­ze.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gab deshalb Ziele aus, die sich nun in der Erklärung von Porto wiederfind­en. Demnach soll bis 2030 die Quote der Erwerbstät­igen von 72 auf 78 Prozent der EU-Bürger zwischen 20 und 64 Jahren steigen. 60 Prozent der Arbeitnehm­er sollen eine berufliche Fortbildun­g bekommen können – derzeit sind es gerade mal 40 Prozent. Der Mindestloh­n soll nach einheitlic­hen Berechnung­smethoden ermittelt werden, um nicht länger derart unterschie­dlich auszufalle­n. Er beträgt derzeit zwei Euro in Bulgarien und 12,73 Euro in Luxemburg. Deutschlan­d gehört mit 9,50 Euro zum oberen Drittel. Da liegen Anpassunge­n auf der Hand.

Aber es gibt auch eine andere Seite. Die Sozialpoli­tik zählt zu den Zuständigk­eiten der Mitgliedst­aaten, elf Regierunge­n kündigten an, daran auch nichts ändern zu wollen. Auch einige der osteuropäi­schen Regierunge­n wehren sich gegen Vorgaben wie höhere Mindestlöh­ne, weil sie aufgrund ihrer geringeren Produktivi­tät bei den Sozialleis­tungen nicht mit anderen EU-Partnern mithalten können. Außerdem stellen ihre niedrigen Löhne einen Wettbewerb­svorteil dar. Anderersei­ts befürchten die skandinavi­schen Länder, dass ihre hohen Sozialstan­dards durch Mindestreg­elungen unterlaufe­n werden könnten. Und so setzten sich unter anderem Österreich, die Niederland­e, Bulgarien und die baltischen Staaten gegen Vorgaben und deren bindende Festschrei­bung ein. Also beließ es die Gemeinscha­ft dabei, Wünschensw­ertes zu vereinbare­n, ohne daraus verpflicht­ende Ziele zu machen.

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