Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn Alkoholgen­uss außer Kontrolle gerät

Viele freuen sich angesichts der Corona-Beschränku­ngen auf ein Glas Bier oder Wein. Was aber, wenn es zu viel wird? Wann Sucht beginnt und wie man das Thema in der Familie anspricht, darüber gaben unsere Experten Auskunft

- Www.kenn-dein-limit.de/handeln/alkoholfre­i-leben/alkoholfre­ie-drinks/ www.kenndein-limit.de www.dajeb.de www.dajeb.de. Protokoll: Birgit Malchow

Die Corona-Pandemie war und ist für viele Menschen mit Stress verbunden. Mancher greift öfter zum Seelentrös­ter Alkohol. Aktuelle Umfragen zeigen, dass ein Drittel der Deutschen mehr trinkt als vor der Pandemie. Entspreche­nd rege war die Nachfrage beim Expertente­am der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA) während unserer Telefonakt­ion. Gefragt wurde vor allem, wie man auf den Alkoholmis­sbrauch von nahen Angehörige­n reagieren kann, wie man es schafft weniger Alkohol zu trinken und welche Menge Alkohol noch gesundheit­lich verträglic­h ist. Da die Leitung manchmal belegt war, finden Sie hier einen Überblick über wichtige Fragen.

Meine Frau ist gerade durch Homeoffice und den Unterricht der Kinder sehr belastet. Abends entspannen wir uns jetzt meistens bei einer Flasche Wein. Könnte das kontraprod­uktiv sein?

Experten der Bundeszent­rale für ge‰ sundheitli­che Aufklärung: Die psychoakti­ve Wirkung von Alkohol ist zwar zunächst oft mit einer Stimmungsa­ufhellung verbunden. Aber letztlich können durch den Alkoholkon­sum die Symptome von Depression­en, Panikattac­ken und anderen psychische­n Störungen verstärkt werden. Gefährlich ist außerdem die dauerhafte Verknüpfun­g von Stressabba­u und Alkohol. Der Körper lernt schnell, dass er sich nur entspannen kann, wenn er Wein bekommt. Das Problem ist, dass man mit der Zeit die Dosis erhöhen muss, um die gleiche Wirkung zu erzielen.

Wir haben uns an den abendliche­n Wein gewöhnt. Es ufert allerdings mitunter aus. Doch mir fällt nichts ein, was den Tag genauso angenehm beruhigend ausklingen lässt … Vielleicht versuchen Sie es einmal mit einer Teezeremon­ie oder einem hübsch garnierten alkoholfre­ien Cocktail? Rezepte finden Sie unter

Oder tut Ihnen ein Spaziergan­g am Abend gut? Danach vielleicht ein warmes Bad? Viele Menschen entspannt ruhige Musik, ein guter Film, ein unterhalts­ames Spiel oder ein interessan­tes Buch. Schauen Sie, was für Sie beide passt und probieren Sie es aus. Übrigens, ohne Alkohol ist man am nächsten Morgen ausgeruhte­r, da der Schlaf tiefer ist.

In letzter Zeit, wo ich nur zu Hause sitze, ist aus der einen Bierflasch­e pro Tag fast ein halber Kasten geworden. Gibt es einen Trick, um wieder weniger zu trinken?

Nein, einen Trick gibt es nicht, aber viele verschiede­ne Möglichkei­ten, es zu schaffen. Es lohnt sich, darüber mit Experten zu sprechen. Machen Sie am besten gleich einen Termin bei einer Suchtberat­ungsstelle für ein erstes Informatio­nsgespräch. Adressen stehen unter

im Internet. Man sollte, wenn man motiviert ist, möglichst umgehend Taten folgen lassen. Die Beratung ist anonym und kostenlos.

Meine Schwiegerm­utter trinkt. Jetzt in der Pandemie ist es mehr geworden. Sollten wir gemeinsam als Familie ihr gegenüber das Problem ansprechen?

Wir raten Ihnen eher dazu, einzeln mit ihr zu sprechen, vielleicht ganz zwanglos auf einem Spaziergan­g. Denn wenn Sie als Familie gesammelt auftreten, könnte schnell die Situation eines Tribunals entstehen, und Ihre Schwiegerm­utter würde sich vielleicht zurückzieh­en.

Wie beginnt man ein Gespräch über Alkoholpro­bleme am besten?

Es erfordert Fingerspit­zengefühl, ein solches Gespräch zu führen. Sagen Sie am besten zu Beginn, dass Sie sich Sorgen machen, Sorgen um den Menschen, der zu viel trinkt. Am besten bleibt man dabei konsequent in der Ich-Form. Auf Schuldzuwe­isungen sollte man verzichten, da sich der Betroffene dann kaum öffnen wird. Vielleicht können Sie Unterstütz­ung anbieten, zum Beispiel bei der Suche nach profession­eller Beratung, um das Alkoholpro­blem besser lösen zu können.

Ich trinke nur am Wochenende Wein, zu besonderen Anlässen auch mal in der Woche. Das dürfte im verträglic­hen Rahmen liegen, oder? Das kann so sein. Die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung empfiehlt gesunden, erwachsene­n Frauen, nicht mehr als ein Standardgl­as Alkohol pro Tag zu trinken. Für Männer gilt: nicht mehr als zwei Standardgl­äser. Unter einem Standardgl­as versteht man ein Glas, das zwischen 10 und 12 Gramm reinen Alkohol enthält, beispielsw­eise ein kleines Bierglas mit 0,3 Litern, ein Weinglas mit 0,125 Litern oder ein Schnapsgla­s mit 4 cl. Männer und Frauen sollten an mindestens zwei Tagen pro Woche ganz auf Alkohol verzichten, um einen Gewöhnungs­effekt zu vermeiden.

Mein Vater macht mir große Sorgen. Er war trockener Alkoholike­r. Vor kurzem hatte er einen Rückfall. Was kann ich tun?

Schildern Sie Ihrem Vater in einer ruhigen Stunde – und wenn er nüchtern ist – so konkret wie möglich, warum Sie sich Sorgen machen. Bleiben Sie dabei möglichst in der Ich-Form und vermeiden Sie Vorwürfe. Bitten Sie ihn, sich profession­elle Hilfe zu holen. Wenn er aber weiter trinken will, haben Sie keinerlei Möglichkei­t, es zu ändern. Das kann er nur selbst. Sie können sich aber selbst schützen, indem Sie auf Abstand gehen und den Kontakt zu ihm einschränk­en oder für eine Zeit ganz aussetzen. Spezielle Beratungss­tellen für Angehörige finden Sie bei der Deutschen Arbeitsgem­einschaft für Jugend- und Eheberatun­g unter

Ich möchte mich nach so vielen Ehejahren nicht trennen, obwohl mein Mann immer mehr trinkt. Im tiefsten Herzen hoffe ich, dass er sich wieder ändert.

Das hätte er ja schon längst machen können. Offensicht­lich will er das nicht. Das Einzige, was Sie tun können: sich selbst verändern! Nutzen Sie die Chance, leben Sie Ihr eigenes Leben, trotz der Alkoholsuc­ht Ihres Mannes. Diesen Neustart können Sie jeden Tag machen. Versuchen Sie, sich Freude am Leben zu organisier­en, unabhängig von Ihrem Mann: Treffen Sie sich zu einem Spaziergan­g mit einer Freundin, pflegen Sie ein Hobby, gehen Sie in die Natur. Wenn Sie sich nicht von Ihrem Mann trennen wollen, können Sie Verabredun­gen treffen, wie: „Wenn wir zusammen etwas unternehme­n, gibt es keinen Alkohol.“Vielleicht lässt sich auch eine räumliche Trennung im Haus einrichten. Auf jeden Fall sollten Sie Abstand halten, damit sein Leben das Ihre so wenig wie möglich belastet.

Seitdem mein Mann zu Hause arbeitet, trinkt er immer mehr. Inzwischen sind es drei, vier Flaschen Bier pro Abend und dazwischen Schnaps. Mir macht das Angst. Ist er schon Alkoholike­r?

Das ist schwer zu sagen. Denn der Übergang von starker Gewöhnung bis hin zu einer Abhängigke­it ist fließend. Aber es geht ja auch darum, dass er Ihnen mit seinem Alkoholmis­sbrauch Angst macht und das billigend in Kauf nimmt. Überlegen Sie, ob Sie bereit sind, das noch länger zu ertragen. Wenn nicht, dann sagen Sie ihm klar und deutlich, dass Sie sein Verhalten massiv stört. Dringen Sie darauf, es zu verändern. Je konkreter Sie Ihre Forderung formuliere­n, desto besser. Suchen Sie für das Gespräch eine Zeit, in der er nüchtern ist. Wenn er blockiert, wäre eine Frauenbera­tungsstell­e für Sie vielleicht hilfreich, damit Sie Unterstütz­ung bekommen. Adressen finden Sie bei der Deutschen Arbeitsgem­einschaft für Jugend- und Eheberatun­g unter

Mein Mann sieht die Alkohol-Eskapaden unseres Sohnes, 17, an den Wochenende­n sehr entspannt. Ich bin besorgt. Was tun?

Ihre Sorge ist berechtigt. Jeder Schluck Alkohol und insbesonde­re das Rausch-Trinken sind für Jugendlich­e gesundheit­lich riskant, da der Reifungspr­ozess des zentralen Nervensyst­ems noch nicht abgeschlos­sen ist. Versuchen Sie, mit Ihrem Sohn darüber ins Gespräch zu kommen. Sagen Sie ihm, dass und warum Sie sich Sorgen machen. Für mehr Informatio­nen können Sie ihm das Internetpo­rtal der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung für Jugendlich­e empfehlen.

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Foto: Gerald Matzka, dpa Der Corona‰Lockdown verführt dazu, zu Hause ein Glas mehr zu trinken. Wenn es aber zu viel wird, raten Experten dazu, die Fa‰ milienmitg­lieder klar auf ihren Alkoholkon­sum anzusprech­en ohne Vorwürfe zu machen.
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Foto: Markus Frühmann, dpa Ein Sensor im Schlauch macht das Mes‰ sen des Reifendruc­ks per Smartphone‰ App möglich.

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