Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit baskischer Wurstigkei­t

Beinahe unbemerkt hat Javi Martínez seinen Abschied verkündet. Dabei wären ohne den Spanier mit Hang zur Schlawiner­ei einige Triumphe nicht möglich gewesen

- VON TILMANN MEHL

München Das war früher viel Geld. Ein Satz, dem großelterl­iche Erfahrung inne liegt. Als 100000 Mark für ein Reihenhaus noch viel Geld war. Oder der Lutscher 5 Pfennig kostete – also das komplette Taschengel­d. Nun sind 40 Millionen Euro auch heute viel Geld. Dort, wo erwerbsmäß­ig Fußball gespielt wird, stellt die Summe aber keine Seltenheit dar. Vor neun Jahren aber, da galt selbst den Festgeldba­yern der Betrag als obszön. Jupp Heynckes hatte es sich aber nun mal in den Kopf gesetzt. Diesen einen Spieler wollte er und sonst keinen. Javi oder nix, praktisch.

Die Münchner hatten im Sommer 2012 einige schmerzhaf­te Niederlage­n erlitten. In der Liga kamen sie nicht an den Dortmunder­n vorbei, die sie zudem auch noch mit einem 5:2 im Pokalendsp­iel demütigten. Und dann war ja noch dieses Spiel, dessen Erwähnung allein in München immer noch erschreckt­e Gesichter hinterläss­t. Das Finale Dahoam gilt dem FC Bayern als schmerzhaf­teste Niederlage der Vereinsges­chichte. Da wollten die Bosse mal nicht so sein. Klar, mit Christian Nerlinger musste zumindest ein Verantwort­licher gehen, aber Heynckes warfen sie nichts vor (wie es auch schwerfäll­t, Nerlinger Schuld an der Urgewalt Drogbas und verschosse­nen Elfmetern zuzuschrei­ben).

Sie brachten also jene 40 Millionen Euro auf, die Athletic Bilbao gemäß der Ausstiegsk­lausel zu erhalten hatte und nicht wenige Fans wunderten sich, was die Münchner denn nun mit diesem großgewach­senen Defensivsp­ieler wollen. Erstes Spiel, erster Ballkontak­t. An seinem 24. Geburtstag war er für Bastian Schweinste­iger eingewechs­elt worden, da stand es schon 6:1 gegen den VfB Stuttgart. Drei Sekunden auf dem Feld, Ballannahm­e, 30 Meter Flugball auf Thomas Müller, ein Raunen ging durchs Stadion. Um Sicherheit zu gewinnen, werden die ersten Pässe gerne einfach gehalten. Martínez hatte davon offenbar noch nichts gehört. Thomas Müller bezeichnet­e Martínez in späteren Jahren mal als Schlawiner. Eine Ehrenbezei­chnung, die als letzter ausländisc­her Spieler Claudio Pizarro trug.

Martínez hat sich im Münchner Nachtleben einen ähnlichen Status wie der Peruaner erarbeitet – wer sich im Münchner Nachtleben auskennt, weiß, dass das nicht nur Spaß ist. Martínez aber hat es nicht zur Legende gebracht, weil er einen feinen Ball auf Müller spielte und an der Bar zu überzeugen wusste. Ohne Martínez hätten die Bayern 2013 nicht das Triple gewonnen. Der Spanier gab der Mannschaft mit seiner baskisch-bajuwarisc­hen Wurstigkei­t Halt, als die Lahms,

Schweinste­igers und Robbens im Finale verängstig­t über den Londoner Rasen geisterten. Martínez war es auch, der mit seinem Tor im Supercup-Finale 2013 gegen den FC Chelsea so etwas Ähnliches wie eine Revanche ermöglicht­e. Sieben Jahre später war es wieder Martínez, der mit seinem Tor in der Verlängeru­ng gegen den FC Sevilla den Triumph wiederholt­e.

Da zählte er schon längst nur noch zu den Ergänzungs­spielern. Vor wenigen Tagen gaben Martínez und der FC Bayern bekannt, dass sie die erfolgreic­he Zusammenar­beit nicht mehr fortsetzen wollen. Das kommt nicht überrasche­nd. Während die Münchner um den Verbleib

David Alabas kämpften und es um Jérôme Boateng zumindest diplomatis­che Verwicklun­gen auf der Führungset­age gab, sorgte die Vertragssi­tuation des Spaniers nicht für Kontrovers­en.

Hansi Flick aber betonte ausdrückli­ch, dass die Mannschaft in den letzten drei Spielen der Saison drei verdiente Spieler gebührend verabschie­den will. Martínez ist einer von ihnen. Seit er 2012 nach München gewechselt ist, hat er in jedem Jahr die Meistersch­aft gewonnen. Bezwingen die Münchner am Samstag Borussia Mönchengla­dbach (18.30 Uhr), ist der 32-Jährige neunfacher deutscher Meister. Und wären ihm nicht allzu oft Sehnen,

Muskeln und Gelenke in die Quere gekommen, hätte er der Mannschaft möglicherw­eise zu mehr als jenen zwei Triumphen in der Champions League verhelfen können, die er errang.

Über die Investitio­n von 40 Millionen Euro wundert sich heute niemand mehr. Auch weil der damalige Rekordtran­sfer derart gelang, wird kaum noch die Nase gerümpft, wenn die Münchner über 80 Millionen Euro für Lucas Hernández zahlen. Martínez wird noch drei Mal im Kader der Münchner stehen. Er wird kein Raunen mehr von den Rängen hören. Bei seinem Abschied aber wären es ohnehin eher Seufzer des Bedauerns gewesen.

 ?? Foto: Sebastian El‰Saqqa, Witters ?? Bitte geh nicht! Joshua Kimmich mag Javi Martínez nicht loslassen. Doch nach dieser Saison ist Schluss für den 32‰Jährigen beim FC Bayern. Ein Meistertit­el soll es dann bitte aber schon sein zum Abschied.
Foto: Sebastian El‰Saqqa, Witters Bitte geh nicht! Joshua Kimmich mag Javi Martínez nicht loslassen. Doch nach dieser Saison ist Schluss für den 32‰Jährigen beim FC Bayern. Ein Meistertit­el soll es dann bitte aber schon sein zum Abschied.

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