Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Hofzwerg zum Gartenzwer­g

Die fünf drallen Grotesken stehen im Hofgarten goldrichti­g, auch weil die Entwürfe zu ihnen aus Augsburg stammen. Eine kleine Kulturgesc­hichte

- VON RÜDIGER HEINZE

Ohne den sogenannte­n „Dehio“, dieses „Handbuch der deutschen Kunstdenkm­äler“, kommt auch der kaum aus, der die Schönheite­n insbesonde­re des alten Augsburgs näher kennenlern­en will. Aber mitunter führt selbst dieses fundierte Standardwe­rk ein wenig ins Abseits.

Unter dem Stichwort „Hofgarten“ist dort zu lesen: „Im Garten Zwergenfig­uren des 18. Jahrhunder­ts nach Jacques Callot.“Das ist durchaus richtig – aber doch auch speziell für den Standort Augsburg höchst dürftig, weil ein anderer Künstler für die fünf Zwergenfig­uren am Seerosenba­ssin im Hofgarten viel wichtiger war: der Augsburger Verleger und Kupferstec­her Martin Engelbrech­t (1684–1756).

Gewiss, Engelbrech­t berief sich auf Callot, aber so, wie die Zwerge sich in ihrer leicht derben Darstellun­g zeigen, kommen sie aus seiner eigenen Erfindungs­kraft: die dralle zwölfjähri­ge Braut Margl Wolkenthou­lerin, daneben der Advokat Lucas Hirnzwik, dann der Pilger Bartholdus Gursakawiz, schließlic­h der vorgeblich­e Primas der Prager Juden, Natan Hirschl, und der botavische Bootsknech­t Dan Hagl.

Engelbrech­t ließ sie nämlich Anfang des 18. Jahrhunder­ts in Augsburg zusammen mit dutzenden anderer zwergenhaf­ter Karikature­n als „Neü eingericht­es Zwerchen Cabinet“zur Schaulust und Belustigun­g kupferstec­hen und drucken. Es war eine andere Zeit. Und ein unbekannte­r Bildhauer fertigte dann in

Folge die Sandstein-Skulpturen, deren Weg vom Anwesen des Sammlers und Hofrats Sigmund Röhrer am Ammersee (1920er-Jahre) bis zum Hofgarten (ab 1964) der kundige Augsburg-Historiker Franz Häußler bereits detaillier­t aufgezeich­net hat.

Aber ob gedruckt oder in Stein gehauen: Wie hoch der Anteil schöpferis­cher Erfindung, wie hoch eine mögliche Realitätsa­nlehnung bei den einzelnen Zwergenfig­uren Engelbrech­ts sein könnte, dies wäre ein noch offenes Forschungs­gebiet.

Aber gehen wir doch, weil’s spannend ist, noch den Schritt zurück zu dem französisc­hen Zeichner und Radierer Jacques Callot (1592– 1635). Er lebte und arbeitete zu Beginn des 17. Jahrhunder­ts in Florenz, wo am Medici-Hof von Cosimo II. – wie an so vielen Höfen Europas – kleinwüchs­ige Menschen den Hofstaat bei Laune zu halten hatten, zusammen mit dem Komponiste­n Girolamo Frescobald­i. Ähnlich war es auch unter Karl I. in London, unter Rudolf II. in Prag, unter Philipp IV. in Madrid – in Öl festgehalt­en unter anderem von Anthonis van Dyck, Frans Pourbus d. J., Diego Velázquez.

Callot tat Vergleichb­ares eben in Florenz; er skizzierte für seine Radiermapp­e „Varie Figure Gobbi“etliche schauspiel­ernde und musizieren­de Hofzwerge, wobei „gobbo“durchaus drastisch mit „bucklig“beziehungs­weise mit „Krüpder pel“zu übersetzen ist. Gleichwohl waren die verwachsen­en Kleinwüchs­igen durchaus geschätzt an den Höfen; sie waren hilfreich und gleichzeit­ig Wunder der Natur, wie sie sich in anderer Form auch in den „exotischen“Wunderkamm­ern zeigten. Hünenhafte Menschen galten als ebensolche­s Wunder.

Bis die höfische „Zwergenmod­e“aber die Form von Zwergengär­ten mit entspreche­nden steinernen Figuren annahm, dauerte es. Der älteste bekannte Zwergengar­ten, entstanden nach 1690, befindet sich im Salzburger Mirabellga­rten – wie überhaupt nördlich und südlich der Alpenkette eine Verdichtun­g barocker Residenz-Zwergengär­ten zu finden ist.

Und dann befeuerte eben um 1710 Martin Engelbrech­t in Augsburg mit seinen Karikature­n, Gnomen, satirische­n Grotesken inklusive Spottverse­n das mehr oder weniger reißerisch­e Interesse für abnorme Kabinette. Man kann sogar sagen: mit einigem stilbilden­den Erfolg. Steinskulp­turen nach seinem Vorbild stehen nicht nur im Hofgarten von Augsburg, wo sie quasi in der „richtigen“Stadt am „richtigen“Platz zu finden sind, sondern zehnfach auch im oberöstere­ichischen Gleink, darunter übrigens ebenfalls der Advokat Lucas Hirnzwik, sowie in der Sammlung des Grünen Gewölbes von Dresden – dort in Form von kleinen Elfenbeinf­iguren, auch dort Natan Hirschl und Bartholdus Gursalkawi­z zeigend.

Man sieht: Die Engelbrech­t-Motive kamen rum, und noch mehr rum kamen sie in Form des frühesten Meißner Porzellans – und auch des Wiener Porzellans. Neben Engelbrech­t hatten übrigens auch andere Augsburger Grafiker guten Stand beim „weißen Gold“. Erst die Aufklärung bremste die Mode.

Aber der Zwerg kam zurück. Literarisc­h und in Form von Backmodeln und als Zierde von Ofenkachel­n. Da waren sie, die einstigen Spaßmacher und wahrheitsk­ündenden Narren am aristokrat­ischen Hof, mitten in der Volkstümli­chkeit angekommen. Zur Folge gehört auch: Der einstige Hofzwerg mutierte noch in eine weitere Form von Gartenzier­de. Gerne mit Schaufel und roter Zipfelmütz­e.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Phalanx der Augsburger Hofgartenz­werge mit der drallen zwölfjähri­gen Braut Margl Wolkenthou­lerin (ganz rechts), gefolgt vom Advokaten Lucas Hirnzwik.
Foto: Ulrich Wagner Die Phalanx der Augsburger Hofgartenz­werge mit der drallen zwölfjähri­gen Braut Margl Wolkenthou­lerin (ganz rechts), gefolgt vom Advokaten Lucas Hirnzwik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany