Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In 2,5 Millionen Jahren ordentlich vorangekommen
Zum Uni-Jubiläum skizziert Hermann Parzinger, wie Innovation und Migration die Menschheit entwickelten
Fünfzig Jahre alt ist die Universität Augsburg geworden – und was hat sich in diesem halben Jahrhundert schon alles gewandelt von der Digitalisierung bis zur Vervielfältigung der Fächer und Fakultäten. Dass die Menschheit aber schon seit den Anfängen vor 2,5 Millionen Jahren innovativ und anpassungsfähig war, schilderte im Festvortrag zum UniJubiläum am Freitag der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, Hermann Parzinger.
Vor- und Frühgeschichte ist sein angestammtes Metier, dafür hat der Professor aus Bayern 1998 auch den Leibniz-Preis erhalten. Wie der
Fisch im Wasser wandelt er in den riesigen Spannen der menschlichen Entwicklung, die der Mensch wesentlich dem Einsatz seiner eigenen Fähigkeiten verdankt. Als er lernte, messerscharfe Kanten aus Stein zu brechen, begann er Fleisch zu essen, wurde muskulös und mobil. Vor allem aber hatte er den Dreh mit dem problemorientierten Denken heraus und verfeinerte es immer mehr. Bereits der Faustkeil des Homo erectus sei ästhetisch perfektioniert worden, so Parzinger. Als er anfing, in Gruppen das Wild zu jagen, setzte dies die Fähigkeit zur Verständigung voraus. Er begann zu sprechen – und sich am Feuer zu versammeln, das er zu bändigen lernte und das im
Rauch sein erjagtes Fleisch auf Vorrat haltbar machte.
Um 400 000 vor Christus trat er in Mitteleuropa auf, schnitzte sich hölzerne Speere mit Vorgewicht, die er treffsicher bis zu 70 Meter weit werfen konnte. Besonders der Neandertaler („der Beitrag Europas zur Humanevolution“) stellte Kunstobjekte in atemberaubender Vielfalt her. Er schnitzte den Löwenmenschen, formte die üppige Venus, malte Felsenbilder in herausragender perspektivischer Darstellung und ritzte Porträts in Schieferplatten. Er musizierte auf Flöten, erfand die Nähnadel. Als sich das Eis nach Norden zurückzog, standen ihm neue Räume offen. Der Mensch zog entweder den Rentierherden nach oder arrangierte sich mit den neuen Busch- und Baumlandschaften, erfand Pfeil und Bogen und zähmte sich als Jagdbegleiter den Wolf.
Völlig andere, für sein Sesshaftwerden äußerst günstige Bedingungen fand der Mensch im fruchtbaren Halbmond zwischen Mittelmeer und Zweistromland vor. Parzinger konstatierte einen fundamentalen Umbruch seiner Lebensweise seit dem zehnten Jahrtausend v. Chr. Er betrieb Ackerbau und Viehzucht, errichtete imposante Kultstätten für seine religiösen Rituale und siedelte in Städten. Als Migrant trug er seine Innovationen fort ins nördliche Afrika, nach Ägypten und Europa und vermischte sich dort munter mit dem Neandertaler, was sich bis heute im Genpool des Homo sapiens erhalten hat. Mitteleuropa erlebte nun auch große Veränderungen. Die Landschaft wurde gerodet und kultiviert, statt einzelner Höfe entstanden komplex organisierte Dörfer. „Stets hat der Mensch auf Umweltveränderungen mit Innovation und Migration reagiert“, schloss Parzinger seine kurzweilige Festrede.