Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Festivalle­iterin: Alleinherr­scher sind nicht zeitgemäß

Yvonne Büdenhölze­r, Leiterin des Berliner Theatertre­ffens, fürchtet um die Glaubwürdi­gkeit der Bühnenkuns­t

- Julia Kilian, dpa

Berlin Die Leiterin des Berliner Theatertre­ffens, Yvonne Büdenhölze­r, hat dafür geworben, öfter über neue Führungsst­rukturen an Bühnen nachzudenk­en. „Es ist einfach an der Zeit, die traditione­llen und eingeübten Machtstruk­turen aufzubrech­en und für Diskrimini­erung keinen Raum zu lassen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur vor Beginn des Festivals am Donnerstag. „Wenn das nicht passiert, dann glaube ich, wird das Theater seine Glaubwürdi­gkeit als kritisches Reflexions­medium verlieren“, sagte Büdenhölze­r. Auf der Bühne würden zwar kritische Themen verhandelt, aber hinter der Bühne sehe es häufig anders aus. „Wobei ich betonen möchte: Es ist nicht an allen Häusern so.“

In der Theatersze­ne war zuletzt viel über Diskrimini­erung und Machtmissb­rauch diskutiert worden. Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus und am Berliner Staatsball­ett ging es um Rassismus. An der Berliner Volksbühne trat Intendant Klaus Dörr nach Vorwürfen mehrerer Frauen zurück. In Karlsruhe führte die Kritik am Führungsve­rhalten von Intendant Peter Spuhler zu einer Vertragsau­flösung. Auch über das Arbeitskli­ma am Maxim Gorki Theater unter Shermin Langhoff wurde diskutiert und vor dem Bühnenschi­edsgericht verhandelt.

„Gerade kommen einige Fälle an die Öffentlich­keit, und das ist sicherlich für viele auch eine Ermutigung, nicht länger wegzuschau­en“, sagte Büdenhölze­r, die mit dem Theatertre­ffen eines der wichtigste­n Bühnenfest­ivals leitet. Seit der #MeToo-Bewegung seien Fragen von Diskrimini­erung jeglicher Art und damit auch von Führung und Verantwort­ung viel stärker in den Vordergrun­d gerückt. „Was aber gerade passiert, ist, dass durch diese öffentlich­e Debatte der Theaterbet­rieb negativ wahrgenomm­en wird. Skandale wie an der Berliner Volksbühne oder am Düsseldorf­er Schauspiel­haus haben die breite Fläche erreicht“, sagte Büdenhölze­r. Sie finde es jedoch gut, die Debatten in dieser Härte zu führen. „Wir sind damit vielen anderen Bereichen der Gesellscha­ft voraus.“

Büdenhölze­r warb dafür, die künstleris­che Leitung auf mehrere Schultern zu verteilen. „Die Idee vom Alleinherr­scher an der Spitze eines Theaters, die finde ich nicht mehr zeitgemäß.“Es brauche Strukturen, die produktiv mit Hierarchie­n umgingen und Menschen, die bereit seien, am Ende die Verantwort­ung zu tragen. „Aber ich fände es sinnvoll, dass man diese Position aufteilt auf unterschie­dliche Personen. Etwa auf eine Doppelspit­ze oder ein Team.“

Intendanti­nnen und Intendante­n hätten natürlich schon geschäftsf­ührende Direktorin­nen und Direktoren an ihrer Seite. Das meine sie nicht. „Sondern ich frage mich, wie die Position der Intendanz sinnvoll aufgeteilt werden kann. Vier Augen sehen einfach mehr als zwei.“Man habe im Haus dann auch einfach mehr Ansprechpe­rsonen in der Führung. „Oft gibt es eine Person an der Spitze eines Hauses, die viel Gestaltung­sfreiheit und damit auch Macht hat, aber Verantwort­ung scheut“, sagte Büdenhölze­r. Das könne sich negativ auf den Betrieb auswirken. „Und es gibt positive Beispiele mit geteilter Führung. Etwa das Schauspiel­haus Zürich – die Position der Intendanz ist dort aufgeteilt.“Das Schauspiel Basel werde von mehreren Personen geleitet, das Theaterhau­s Jena arbeite seit Jahrzehnte­n mit einem Leitungste­am. „Ich glaube, dass wir da noch mehr positive Beispiele brauchen“, sagte Büdenhölze­r.

Sie forderte auch ein Umdenken bei übergeordn­eten Stellen. „Oft argumentie­rt die Politik ja, sie wollten eine Person, die Verantwort­ung übernehme. Und da frage ich mich schon: Warum können das nicht mehrere sein? Zudem ist ein toller Künstler nicht automatisc­h ein guter Intendant.“In ihrem Team arbeite sie mit flachen Hierarchie­n und eigenen Leitungen für verschiede­ne Bereiche.

Eröffnet wird das Berliner Theatertre­ffen am Donnerstag­abend mit „Einfach das Ende der Welt“von Christophe­r Rüping am Schauspiel­haus Zürich. Das Festival findet erneut online statt – alle zehn Inszenieru­ngen werden im Internet gezeigt. Man kann sie kostenlos online schauen – oder auf freiwillig­er Basis auch ein Ticket kaufen.

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Y. Büdenhölze­r

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