Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Chaos rund um die Zweitimpfu­ng

Hausärzte sind massiv verärgert. Eigentlich erfolgt der zweite Piks mit AstraZenec­a nach zwölf Wochen. Minister Spahn verkürzte nun das Intervall. Welche Folgen das hat

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Katastroph­al sei diese Entscheidu­ng. Und unverantwo­rtlich. Das betont Gregor Blumtritt, ärztlicher Leiter der Impfzentre­n Kaufbeuren und Marktoberd­orf. Hintergrun­d für den massiven Ärger ist eine Entscheidu­ng von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU), das Intervall zwischen der Erst- und der Zweitimpfu­ng bei AstraZenec­a zu verkürzen: Von ursprüngli­ch zwölf auf vier Wochen. Bei Blumtritt steht sowohl im Impfzentru­m im Allgäu als auch in seiner Hausarztpr­axis in Kaufbeuren seitdem das Telefon nicht mehr still, weil so viele Menschen früher ihre Zweitimpfu­ng haben wollen. „Doch das ist gar nicht möglich“, hebt der Hausarzt hervor. „Wir haben immer noch nicht genügend Impfstoff.“Auch logistisch sei dies beim besten Willen nicht zu stemmen.

Die Gründe für den Wunsch nach einer rascheren Zweitimpfu­ng liegen für Blumtritt auf der Hand: „Die Menschen wollen endlich wieder die versproche­nen Freiheiten genießen, die vollständi­g Geimpfte nun haben. Sie wollen in den Urlaub fahren und einkaufen gehen.“Menschlich völlig nachvollzi­ehbar ist das für Blumtritt. „Ich kann die Leute wirklich gut verstehen, wir haben alle ein extrem hartes Jahr hinter uns.“Allerdings erinnert der Arzt auch daran, dass noch immer sehr viele kranke Menschen auf eine Erstimpfun­g warten, nachdem die Priorisier­ung immer weiter aufgehoben wird. Wichtigste­s Argument für Blumtritt ist aber der medizinisc­he Schutz, der durch ein kürzeres Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfu­ng abgeschwäc­ht wird. Zwar stimme es, dass bereits nach der ersten Impfung ein sehr hoher Schutz besteht, doch erst mit der verstärken­den zweiten erreiche man einen besseren Schutz.

Ganz so eindeutig ist für Professor Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, die aktuell verfügbare Datenlage nicht. In der Erststudie, die auch zur Zulassung von AstraZenec­a führte, sei bereits ein Zeitraum von vier bis zwölf Wochen für die Zweitimpfu­ng empfohlen worden, damit das Vakzin sowohl vor leichten wie vor schweren Infektione­n schützt. Ein verkürztes Intervall von vier bis zwölf Wochen gebe daher auch die offizielle Fachinform­ation her.

Wissenscha­ftlich betrachtet beruhe die Empfehlung bezüglich eines längeren Abstands von zwölf Wochen „auf statistisc­h nicht belastbare­n Subgruppen-Analysen der Zulassungs­studie und später nachgescho­benen Phase-2-Studien mit leicht erhöhter Wirksamkei­t“. Daher findet der Infektiolo­ge die Verkürzung des Intervalls auf vier Wochen prinzipiel­l nachvollzi­ehbar und medizinisc­h nicht per se bedenklich. Zumal er gerade bei Tumorpatie­nten oder Patienten mit anderen Grunderkra­nkungen eine schnelle Zweitimpfu­ng befürworte­t.

Auch werde AstraZenec­a dadurch aufgewerte­t, da viele Menschen möglichst schnell einen vollständi­gen Impfschutz haben wollen und bei AstraZenec­a bisher im Vergleich zu Biontech oder Moderna länger warten mussten. Eine eigenmächt­ige „Umbuchung“der Zweitimpfu­ng auf ein kürzeres Intervall ist aber auch für Wendtner mit Blick auf die Logistik in den Impfzentre­n nicht zu befürworte­n. Vielmehr könne nach Vorliegen belastbare­r Daten ein kürzeres Intervall bei künftigen Erstimpfun­gen und mit Blick auf Verfügbark­eiten von Impfstoff dann angedacht werden.

Brisant findet Wendtner auch die Frage, ob Menschen unter 60 Jahren mit einer Erstimpfun­g von AstraZenec­a jetzt wirklich switchen, also auf einen mRNA-Impfstoff umsteigen sollten? Gerade mit Blick auf die ausstehend­e Empfehlung durch die WHO, die noch keine ausreichen­de Datenlage für eine Kreuzimpfu­ng sieht, würde Wendtner nach einer Erst- auch eine Zweitimpfu­ng mit AstraZenec­a empfehlen.

Eine deutliche Absage bezüglich einer Verkürzung des Impfinterv­alls bei AstraZenec­a kommt dagegen von dem Immunologe­n Professor Carsten Watzl. Für ihn haben Studien gezeigt, dass die Effektivit­ät des Schutzes bei einem Abstand von weniger als sechs Wochen nur 55 Prozent beträgt und erst bei einem Abstand von zwölf Wochen bei über 80 Prozent liegt. Daher muss man seines Erachtens den Menschen klar sagen: „Wenn Sie Ihren Impfabstan­d bei AstraZenec­a verkürzen, um damit schneller in den Genuss von Lockerunge­n zu kommen, machen Sie das auf Kosten ihres Immunschut­zes!“

Auch der schwäbisch­e Bezirksvor­sitzende im Bayerische­n Hausärztev­erband, Dr. Jakob Berger, sagt: „Die Zweitimpfu­ng bei AstraZenec­a sollte nach zwölf Wochen erfolgen, weil nur so der beste Schutz in Kraft tritt.“Urlaubspla­nungen oder andere Freiheiten sind für den erfahrenen Hausarzt aus dem Landkreis Augsburg kein Argument, eine Impfung zu verschiebe­n. Ausnahmen seien nur beispielsw­eise Operatione­n oder eine Chemothera­pie. Berger berichtet, dass er und seine Kollegen noch immer viel Aufklärung­sarbeit für den immer wieder in die Schlagzeil­en geratenen Impfstoff von AstraZenec­a leisten müssten, auch bei Älteren.

Und auch der Präsident der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, Dr. Gerald Quitterer, warnt am Montag davor, den Abstand zu verkürzen: „Die Dosisinter­valle zu verringern, nur um schneller in den Genuss von mehr Freiheiten zu gelangen, anstatt auf die größere Impfsicher­heit zu setzen, ist nicht zielführen­d.“

Vor dem Hintergrun­d, dass jetzt so viele Menschen sich um einen schnellere­n, vollständi­gen Impfschutz bemühen, wäre es Hausarzt Blumtritt lieber gewesen, die Politik hätte die Freiheiten von Anfang an bereits nach der ersten Impfung zugesagt. „Jetzt wurde nur mal wieder ein großes Chaos angerichte­t. Und wir Hausärzte haben den Schwarzen Peter.“Wie aggressiv allerdings manche um ihre versproche­nen Freiheiten kämpfen, überrascht dann doch, erzählt Blumtritt: „Im Impfzentru­m haben uns manche sogar schon mit ihrem Anwalt gedroht, wenn sie nicht früher ihre Zweitimpfu­ng bekommen.“

Krebspatie­nten sollten schnell geimpft werden

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Foto: Alexander Kaya Die Botschaft von Minister Spahn ist: Grünes Licht für schnellere Zweitimpfu­ngen. Den Hausärzten treibt das die Zornesröte ins Gesicht.

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