Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Prozess um Pflegebetr­ug: Julia L. gesteht

Sie gilt als Hauptfigur im Verfahren um ein illegales Geschäftsm­odell in der Augsburger Pflegebran­che. Bei ihrer Einlassung vor Gericht räumt die Angeklagte vieles ein und offenbart eine tragische Geschichte

- VON INA MARKS

Im Prozess um den groß angelegten Pflegebetr­ug eines Augsburger Pflegedien­stes am Landgerich­t haben bislang die drei Frauen, die zusammen mit zwei Männern angeklagt sind, die Vorwürfe weitestgeh­end eingeräumt. Auch die 43 Jahre alte Julia L. Sie gilt als Protagonis­tin in dem systematis­ch angelegten Betrug. Die gebürtige Ukrainerin, die seit rund 24 Jahren in Deutschlan­d lebt, gab unlängst im Prozess nicht nur einen Einblick in das Konstrukt des Pflegedien­stes. Sie erzählte auch von ihrer eigenen, tragischen Geschichte.

Julia L. war die eigentlich­e Chefin des Unternehme­ns Fenix, wie sie zugibt. Mit ihrem zweiten Mann Richard R. und den drei weiteren Angeklagte­n soll sie laut Anklage mit falschen Abrechnung­en über mehrere Jahre hinweg die Pflege- und Krankenkas­sen in einem Umfang von rund 3,3 Millionen Euro betrogen haben. Das Ehepaar sitzt seit der Razzia im Oktober 2019 im Gefängnis. Julia L. (Verteidige­r Klaus Rödl und Dominik Hofmeister) sagt offen, dass sie vieles falsch gemacht habe und dafür strafrecht­lich Verantwort­ung übernehmen müsse.

Fenix war nicht ihr erster Pflegedien­st. Mit ihrem ersten Mann leitete Julia L. bereits ein Pflegeunte­rnehmen, das insolvent ging. Zudem war Julia L. wegen Schwarzarb­eit zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Schuld an der damaligen Misere waren den Ausführung­en der Angeklagte­n zufolge Probleme mit ihrem damaligen Ehemann. Diese eskalierte­n im Sommer 2010. Wie Julia L. erzählt, habe er unberechti­gt 60.000 Euro vom Geschäftsk­onto abgehoben und sie derart verprügelt, dass sie eine Woche lang stationär im Krankenhau­s verbringen musste. Dann habe er das gemeinsame Kind in die Ukraine entführt.

Die zierliche Frau mit den schwarzen Haaren berichtet, wie sie daraufhin viel zwischen Deutschlan­d und der Ukraine pendelte. Sie kämpfte um ihren Sohn. Offenbar vergeblich. Sie habe ihr Kind seitdem nie wieder gesehen. „Alles andere, vor allem die Führung meines Pflegedien­stes, rückten damals in den Hintergrun­d.“So sei es letztendli­ch auch zu den Problemen mit der Justiz gekommen. Mit der Verurteilu­ng hatte sich Julia L. den Traum der Selbststän­digkeit selbst kaputt gemacht. Wie es die Anklage sieht, sei der 43-Jährigen bewusst gewesen, dass die Pflegekass­en nicht bereit gewesen wären, sie als Pflegedien­stleitung in einem neuen Unternehme­n zu akzeptiere­n und entspreche­nde Verträge abzuschlie­ßen. Doch Julia L. wollte ihre

Arbeit als Selbststän­dige unbedingt weiterführ­en, wie sie vor Gericht sagt. Schließlic­h habe sie sich über all die Jahre ein Netzwerk in und um Augsburg aufgebaut. Sie habe Freude daran, anderen Menschen aktiv zu helfen. Wie sie dem Gericht weiter schildert, kam nun der Mitangekla­gte Thorsten A. ins Spiel, dessen Kanzlei Julia L. in jener schwierige­n Zeit rechtlich beriet und betreute.

Mit ihm und der Familie A. kam es zu einem Konstrukt, das Julia L. ermöglicht­e, trotz Verurteilu­ng den neuen Pflegedien­st Fenix zu leiten – wenn auch nicht offiziell. Wie die Angeklagte dem Gericht erläutert, sei der Sohn des mitangekla­gten Thorsten A. auf dem Papier der Geschäftsf­ührer geworden. Die operativen Geschäfte aber habe nur sie geführt. Weder sie noch ihr jetziger Ehemann Richard R. seien an dieser Firma beteiligt gewesen. Sie habe nur ihre fachliche Kompetenz, ihr

Netzwerk und ihre Erfahrung eingebrach­t und dafür ein relativ hohes monatliche­s Gehalt bezogen.

„Fenix habe jahrelang auf hohem Niveau gearbeitet und sei enorm gewachsen“, so Julia L. weiter. „Doch im Lauf der Zeit hätten sich die unerlaubte­n Abrechnung­sweisen eingeschli­chen. Am Markt herrscht ein massiver Konkurrenz­druck. Teilweise wechseln Patienten den Pflegedien­st wie ihre Hemden, wenn ihren Ansprüchen nicht, wie gewünscht, nachgekomm­en wird.“Man sei aber auf zufriedene Kunden angewiesen. Um dies zu erreichen, seien, auch in Absprache mit Angehörige­n und Patienten, Leistungen dargestell­t worden, die tatsächlic­h nicht erbracht wurden. „Sie hätten niemals abgerechne­t werden dürfen.“Es habe sich damals zu dieser Zeit für sie nicht falsch angefühlt. „Natürlich muss ich einräumen, dass am Ende auch der Pflegedien­st von diesen Mehreinnah­men profitiert­e.“Doch das Bild, man habe den Pflegedien­st nur installier­t, um sich selbst zu bereichern, sei nicht richtig. Dieses Modell würde in vielen Pflegedien­sten praktizier­t, auch Patienten und Angehörige wüssten darüber Bescheid.

Die ausführlic­he Einlassung der Hauptangek­lagten findet beim Vorsitzend­en Richter Johannes Ballis Anerkennun­g. Juli L. werde dafür zwar keine Belobigung bekommen, auch werde man ihr im Urteil nichts schenken können. Aber dass sie sich gestellt habe, würde berücksich­tigt. Interessan­t in dem Mammutproz­ess ist auch das Verhalten des mitangekla­gten Ehemanns Richard R.

Während andere Angeklagte ihn bereits als rechte Hand von Julia L. beschriebe­n haben, will er selbst nichts von dem Geschäftsg­ebaren des Pflegedien­stes gewusst haben. Er sei vorwiegend für den Fuhrpark und Hausmeiste­rtätigkeit­en zuständig gewesen. Dem widerspric­ht eine weitere Mitangekla­gte. „Ihm war das Geschehen im Pflegedien­st bekannt“, so die 59-Jährige (Verteidige­r Moritz Bode und Martina Sulzberger). „Allen Mitarbeite­rn war klar, dass er unmittelba­r der nächste Chef nach L. war.“Julia L. selbst äußert sich zu ihrem Mann nicht.

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Foto: Ulrich Wagner (Archivbild) Julia L. gilt als die Hauptfigur in dem Prozess um die betrügeris­che Masche eines Pflegedien­stes.

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