Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir müssen jetzt impfen wie die Weltmeiste­r“

Wie hoch sind die Risiken bei AstraZenec­a? Wie gut läuft Deutschlan­ds Impfkampag­ne? Wann muss nachgeimpf­t werden? Der Experte Carsten Watzl beantworte­t die wichtigste­n Fragen im Kampf gegen Corona

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Herr Professor Watzl, wie bewerten Sie als Immunologe den Stand der deutschen Impfkampag­ne?

Carsten Watzl: Wir haben eine gute Geschwindi­gkeit erreicht. Wir erreichen immer neue Rekorde, an denen wir über eine Million Menschen an einem Tag impfen können. Wichtig wäre es, dass wir es schaffen, jeden Tag ein Prozent der deutschen Bevölkerun­g, also mindestens 800000 Menschen zu impfen. Da wir immer mehr Impfstoff bekommen, müssen jetzt bald die Betriebsun­d Fachärzte mitmachen. Es ist aber traurig, wenn wir an Samstagen und Sonntagen einen Einbruch verzeichne­n. Diesen Sonntag waren es nur 272000 Impfungen. Hier haben wir noch Luft nach oben. Hier sind weiterhin die Impfzentre­n wichtig, die anders als die meisten Arztpraxen auch am Wochenende impfen.

Bringt eine Aufhebung der Priorisier­ung ein schnellere­s Tempo?

Watzl: Es ist problemati­sch, dass jetzt schon sehr früh über die Aufhebung von Priorisier­ungen gesprochen wird. Wir haben noch sehr viele Menschen in der Prioritäts­gruppe drei, die noch nicht geimpft sind. Sie haben ein deutlich höheres Risiko, an Corona zu erkranken oder einen schweren Verlauf zu erleiden. Wenn wir jetzt zu schnell freigeben, schützen wir nicht gut und früh genug die Menschen, die den Schutz am nötigsten haben. Wir haben hier noch viele Menschen mit Vorerkrank­ungen. Diese Risikogrup­pen und Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren haben schon sehr lange gewartet, bis sie endlich drankommen.

Die Politik hat den Mindestabs­tand der beiden Impfdosen von AstraZenec­a von zwölf auf vier Wochen verkürzt. Warum gilt das als umstritten?

Watzl: Wenn man den Impfabstan­d bei AstraZenec­a verkürzt, geht das auf Kosten der Wirksamkei­t, das heißt die Menschen bekommen dadurch einen schlechter­en Impfschutz. Es ist eine politische Entscheidu­ng. Man will für mehr Nachfrage sorgen und erklärt den Leuten, ihr könnt dann mit einer schnellen Zweitimpfu­ng im Sommer in den Urlaub fahren. Doch das ist eine riskante Strategie: Man schickt die Menschen mit einem schlechter­en Impfschutz ins Ausland und verzichtet zusätzlich noch auf die Quarantäne­pflicht bei ihrer Rückkehr. Hier fehlt derzeit sowohl vom Gesundheit­sministeri­um eine gründliche Risikobewe­rtung. Hier werden die Menschen und die Hausärzte mit dieser Frage allein gelassen, denn die Probleme werden nicht ausreichen­d kommunizie­rt. Man sollte den Menschen nicht aus Wahlkampfg­ründen einfach einen „Urlaub vollgeimpf­t“in Aussicht stellen, sondern einen möglichst guten Immunschut­z.

Warum ist die Wirkung nach zwölf Wochen Abstand besser?

Watzl: Bei der Entwicklun­g von AstraZenec­a gab es mehrere Studien, deshalb kamen verschiede­ne Impfinterv­alle zustande. Bei der Auswertung hat man festgestel­lt, dass die Wirksamkei­t bei zwölf Wochen am höchsten ist. Bei der ersten Impfung reagiert das Immunsyste­m nicht nur gegen das sogenannte Spike-Protein des Coronaviru­s, sondern auch gegen das zum WirkstoffT­ransport verwendete Adenovirus. Wenn man zu früh nachimpft, fängt das Immunsyste­m noch zu viele dieser Adenoviren ab und weniger Wirkstoff gelangt in die Zellen.

AstraZenec­a und Johnson & Johnson werden von der Ständigen Impfkommis­sion wegen der seltenen Nebenwirku­ng von Hirnvenent­hrombosen erst ab 60 Jahren empfohlen. Inzwischen gibt es 14 Todesfälle: neun Frauen, fünf Männer. Und fast 50 Fälle insgesamt. Hat man das Problem inzwischen therapeuti­sch besser im Griff?

Watzl: Man weiß inzwischen, dass sich ganz spezielle Autoantikö­rper gegen Blutplättc­hen bilden und diese Erkrankung verursache­n. Aktuell verstirbt noch jeder fünfte Patient, bei dem diese Nebenwirku­ng festgestel­lt wird. Man hat hier aber sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Therapie dazugelern­t und hofft, dass man die Schwere dieser Nebenwirku­ng abmildern kann und mehr Menschen überleben. Es ist eine sehr seltene Nebenwirku­ng, das Risiko, daran zu sterben, liegt zwischen eins zu 250000 bis 500000.

Wo liegen die Probleme bei der Risikoabwä­gung?

Watzl: Beispielsw­eise ist unklar, ob Männer wirklich ein wesentlich geringeres Risiko der Hirnvenent­hrombose als Impf-Nebenwirku­ng haben als Frauen. Denn sie treten in Einzelfäll­en auch bei jüngeren Männern auf. Das Risiko einer schweren Corona-Erkrankung ist bei jüngeren aber deutlich seltener als bei älteren. Bei der Abwägungsf­rage spielt zudem eine Rolle, wie hoch die Inzidenzza­hlen aktuell sind und wie hoch das individuel­le Ansteckung­srisiko zum Beispiel im Beruf ist. All dies spielt eine Rolle, ob man sich jetzt mit AstraZenec­a impfen lassen soll oder noch zwei Monate wartet und auf mRNA-Impfstoff setzt. Im Moment würde die Risikoabwä­gung einer AstraZenec­a-Impfung bei ho

Infektions­zahlen zum Beispiel für eine 40-Jährige noch positiv ausfallen, für eine 30-Jährige eher nicht.

Ab welchem Zeitpunkt werden die Impfungen sich deutlich auf die Infektions­zahlen in Deutschlan­d auswirken? Watzl: Das werden wir vielleicht gar nicht merken, weil uns dabei der Sommer zuvorkommt. Die Herausford­erung wird sein, dass es dann nicht zur Impfmüdigk­eit in der Bevölkerun­g kommt und viele denken, Corona sei vorbei. Wir müssen im Sommer impfen wie die Weltmeiste­r, weil wir dann in Deutschlan­d den meisten Impfstoff zur Verfügung haben. Der Test folgt im Herbst. Denn eine vierte Welle wird kommen. Aber wie sehr wir sie im Gesundheit­ssystem und mit Einschränk­ungen spüren werden, hängt davon ab, wie gut wir vorher beim

Impfen waren. Das Virus wird uns nicht verlassen.

Zeichnet sich ab, dass man wegen der Mutationen nachimpfen muss?

Watzl: Aus immunologi­scher Sicht bereiten die bekannten Mutationen derzeit keine Sorgen. Die schlimmste ist nach wie vor die südafrikan­ische Variante. Hier zeigt der Johnson-&-Johnson-Impfstoff immer noch über 60 Prozent Effektivit­ät und Biontech über 75 Prozent zum Schutz vor Erkrankung, schwere Verläufe werden über 90 Prozent verhindert. Von daher zeichnet sich kein dringender Bedarf ab, bald nachimpfen zu müssen.

Muss man wegen nachlassen­dem Impfschutz nachimpfen?

Watzl: Mit zunehmende­n Daten ist zu beobachten, dass bestimmte Patienteng­ruppen schlechter auf Imphen fungen ansprechen als andere. Wir sehen auch in einem geringen einstellig­en Prozentber­eich von über 80-jährigen, dass sie trotz Zweifachim­pfung so gut wie keine Antikörper entwickeln. Ähnliches beobachtet man bei Leukämie- und Transplant­ationspati­enten. Hier könnte es sein, dass eine Nachimpfun­g effektiv sein könnte. Großbritan­nien will alle über 60-Jährigen noch ein drittes Mal impfen, um diesen Problemen zu begegnen. Für die Allgemeinb­evölkerung könnte der Impfschutz durchaus ein paar Jahre anhalten.

Gibt es Patienteng­ruppen, die man derzeit nicht impfen kann?

Watzl: Das einzige Ausschluss­kriterium ist, wenn eine Allergie gegen Inhaltssto­ffe eines Impfmittel­s vorliegt. Dann kann man aber auf ein anderes Präparat ausweichen. Derzeit gilt die Zulassung in Europa für Biontech ab 16 Jahren, für andere ab 18. Für Kinder soll bald ein Impfstoff auf den Markt kommen. Für Schwangere gibt es in Deutschlan­d noch keine Empfehlung, sich impfen zu lassen. In Frankreich wird dagegen ab dem zweiten Trimester geimpft, in Großbritan­nien und den USA werden generell auch Schwangere auf freiwillig­er Basis mit mRNA-Impfstoffe­n geimpft. Bei einer Studie mit 35000 geimpften Schwangere­n wurden keine Probleme festgestel­lt. Deshalb ist zu erwarten, dass auch in Deutschlan­d zumindest ab dem zweiten Trimester bald auch eine Impfung für Schwangere empfohlen werden könnte.

Derzeit werden Genesene ein halbes Jahr lang Geimpften gleichgest­ellt. Wie sicher ist das für die Betroffene­n? Watzl: Der Nachweis über eine überstande­ne Infektion ist nur bedingt aussagefäh­ig, weil die Antikörper­antwort sehr unterschie­dlich von Patient zu Patient ausfällt: Es gibt Menschen, die haben auch deutlich mehr als sechs Monate nach ihrer Infektion so viele Antikörper im Blut wie ein Geimpfter. Andere haben drei Monate nach der Infektion kaum noch messbare. Durchschni­ttlich bietet eine durchgemac­hte Infektion laut einer dänischen Studie binnen sieben Monaten einen 80-prozentige­n Schutz vor einer erneuten Ansteckung. Die Genesenen sind deshalb nicht ganz so sicher wie die zweifach Geimpften.

Interview: Michael Pohl

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Foto: Patrick Pleul, dpa Millionen warten auf die Spritze: Noch wirken sich die Impfungen kaum auf die Inzi‰ denzzahlen aus, sagt Immunexper­te Carsten Watzl.
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Carsten Watzl ist Professor an der Universitä­t Dort‰ mund und Generalsek­retär der Deutschen Gesell‰ schaft für Immunologi­e.

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