Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Helmut Kohls Misstrauen lebt weiter

In seinen letzten Lebensjahr­en witterte der Altkanzler überall Verräter. Seine Witwe fühlt sich verpflicht­et, diesen Kampf weiterzufü­hren – sogar gegen die Helmut-Kohl-Stiftung

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Helmut Kohl hat Gegner, Journalist­en, aber auch Parteifreu­nde oft spüren lassen, dass es ihm herzlich egal ist, was andere über ihn denken, sagen oder schreiben. Für die meisten Medien hatte er nur Verachtung übrig, viele politische und persönlich­e Freundscha­ften zerbrachen zum Ende seines Lebens. Doch je älter der Kanzler der Einheit wurde, desto mehr setzte ihm der Gedanke zu, was einmal über ihn in den Geschichts­büchern stehen würde. Bis zu seinem Tod kämpfte er juristisch gegen den Biografen Heribert Schwan, dem er sich zunächst anvertraut und ihm dann das Vertrauen wieder entzogen hatte. Er musste damit leben, dass sein Rivale Helmut Schmidt in hohem Alter zum populärste­n Deutschen wurde, während ihm selbst – diskrediti­ert von der Spendenaff­äre und gesundheit­lich schwer angeschlag­en – das letzte Kapitel als gefragter Elder Statesman verwehrt blieb. Nun hat der Bundestag mit großer Mehrheit beschlosse­n, eine Stiftung für Helmut Kohl zu gründen. Endlich Genugtuung für dessen Witwe? Endlich ein Zeichen der Versöhnung mit der CDU? Im Gegenteil.

Maike Kohl-Richter hat sich mit aller Macht gegen das Projekt gewehrt. „Das Vorhaben widerspric­ht dem letzten Willen meines Mannes“, sagt sie – und mutmaßt in einem Schreiben ihrer Anwälte, das unserer Redaktion vorliegt, es gehe bei der Stiftung „um Gesinnung, Ideologie, Zerstörung und Geschichts­fälschung“. Woher kommt nur diese Bitterkeit? Schon in Kohls letzten Lebensjahr­en hatten alte Weggefährt­en, aber auch die beiden Söhne kritisiert, dessen zweite Ehefrau bestimme nicht nur, wer noch Zugang zum Altkanzler bekommt, sondern beanspruch­e auch die Deutungsho­heit über das Lebenswerk der CDU-Ikone. Und genau darum geht es einer solchen Stiftung. Um eine Deutung. Sie soll an den vor vier Jahren gestorbene­n Politiker erinnern, aber auch sein Schaffen objektiv erforschen – mit all den Leistungen, aber eben auch seinen Fehlern. Nach Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt ist der Pfälzer der vierte Kanzler, dem diese Ehre zuteilwird. Doch zum Feiern ist niemandem zumute.

Schon um den passenden Ort für die Erinnerung­sstätte gibt es Streit. Während sich Bundesregi­erung und CDU einig sind, dass nur das wiedervere­inigte Berlin infrage kommt, ist Kohl-Richter überzeugt, dass die Stiftung in die pfälzische Heimat des Altkanzler­s gehöre und ihren Sitz in

Ludwigshaf­en-Oggersheim haben müsse. Sie hat bereits das Grundstück neben dem Bungalow erworben, in dem Kohl während der Bonner Republik mit seiner ersten Frau Hannelore und den Söhnen lebte.

Elf Seiten umfasst die Presseerkl­ärung von Kohl-Richters Anwälten. Die 57-Jährige beklagt darin, dass sie mit dem Angebot, einen Sitz im Kuratorium der Stiftung zu übernehmen, vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei, anstatt inhaltlich und konzeption­ell eingebunde­n zu werden. Deshalb sei sie auf diesen Vorschlag nicht eingegange­n. Die Vermutung, sie wolle in Oggersheim eine Art Kohl-Wallfahrts­ort errichten, lässt die Witwe zurückweis­en. „Unserer Mandantin ging es noch nie um ,tote‘ Denkmalspf­lege, Verherrlic­hung, Personenku­lt, Deutungsho­heit oder wohlfeile Worte. Ihr geht es um Inhalte, vorurteils­freie, quellenges­tützte Aufarbeitu­ng“, heißt es in dem Schreiben. Und das führt neben dem atmosphäri­schen zum zweiten großen Problem der Stiftung.

Viele der Akten, Dokumente und Briefwechs­el, die für eine solche Aufarbeitu­ng von Kohls Lebenswerk gebraucht werden, befinden sich im Besitz von dessen Alleinerbi­n Kohl-Richter. Einen Teil davon hatte der Altkanzler ursprüngli­ch der CDU-nahen Konrad-AdenauerSt­iftung zur Verfügung gestellt, jedoch später wieder nach Oggersheim kommen lassen – als Quellen für seine Memoiren. Dort liegen sie offenbar noch heute. Kohl-Richter dürfte wenig Interesse dran haben, sie freiwillig herauszurü­cken.

Sie ist überzeugt, im Sinne ihres Mannes zu handeln, der nie verwunden hatte, dass die CDU sich 1999 im Zuge der Spendenaff­äre von ihm abgewandt hatte. Die Verbitteru­ng darüber hat der Altkanzler seiner zweiten Ehefrau offenkundi­g vererbt. Wie schwer diese Hypothek wirkt, lässt sich am Ende des Schreibens ihrer Anwälte erahnen. Sie mutmaßen, die Stiftung diene womöglich gar nicht der objektiven Erinnerung an den Kanzler der Einheit, sondern einem ganz anderen Zweck: „Wie soll unsere Mandantin darauf vertrauen, dass die geplante, angeblich (wie erkennbar nicht) politisch unabhängig­e Stiftung nicht doch auf Linie der sogenannte­n Spendenaff­äre nur wieder die Fortsetzun­g des politische­n Kampfes gegen Helmut Kohl und seine Politik ist?“

Nichts deutet auf eine Versöhnung der CDU mit dem Mann hin, der die Partei ein Vierteljah­rhundert lang geprägt und das Land 16 Jahre lang als Bundeskanz­ler gelenkt hat.

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Die Alleinerbi­n: Maike Kohl‰Richter und Helmut Kohl im Jahr 2010.

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