Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Raketenhag­el auf Israel

Die radikal-islamische Hamas nutzt die Ausschreit­ung auf dem Tempelberg für Eskalation. Israel antwortet mit Luftangrif­fen

- VON PIERRE HEUMANN

Tel Aviv Mehrere hundert Raketen sind seit Montag auf Städte im Süden Israels abgefeuert worden. Im Rundfunk wurden im Sekundenta­kt gefährdete Zonen genannt und die Bevölkerun­g aufgeforde­rt, den nächsten Bunker aufzusuche­n, weil sich die Städte Aschkelon und Aschdod unter Dauerbesch­uss befanden. Die Hamas meldete den gleichzeit­igen Abschuss von 130 Raketen innerhalb von nur fünf Minuten, um die Raketenabw­ehr zu schwächen. „Und“, sagte ein Hamas-Sprecher, „wir haben noch sehr viele Raketen zur Verfügung.“

In Tel Aviv ist am Dienstagab­end Raketenala­rm ausgelöst worden. Im Stadtzentr­um waren mehrere Explosione­n zu hören. Das Raketenabw­ehrsystem Iron Dome konnte zwar neun von zehn Geschossen abfangen. Dennoch waren Tote zu beklagen. Nach Medienberi­chten starb in der Stadt Rischon Lezion eine Frau bei dem Einschlag einer Rakete. Nach Angaben der israelisch­en Polizei wurden in der schwer beschossen­en Küstenstad­t Aschkelon zudem zwei Menschen getötet. Eine Pipeline geriet in Brand. Erstmals waren am Montag auch Ziele um Jerusalem angegriffe­n worden.

Es gab bei den Angriffen mehrere dutzend Verletzte, Wohngebäud­e wurden getroffen. Ein großer Teil der Bevölkerun­g im Süden des Landes verbrachte die Nacht auf Dienstag im Luftschutz­keller. In älteren Häusern gibt es allerdings keinen Schutz vor Geschossen.

Die israelisch­e Luftwaffe reagiert seit Montag mit Angriffen auf Ziele im Gazastreif­en – dabei werden Kampfjets und Drohnen eingesetzt. Nach Armeeangab­en wurden 20 Mitglieder der radikal-islamische­n Organisati­onen Hamas und Islamische­r Dschihad getötet, die aus israelisch­er Sicht für die Eskalation der Gewalt verantwort­lich sind. Palästinen­sische Medien meldeten bis Dienstagmi­ttag 26 Tote. Israels Luftwaffe nahm Anlagen zur Produktion von Raketen, Lager- und Trainingsh­allen, militärisc­he Stellungen sowie zwei Tunnel ins Visier, um das Eindringen von Terroriste­n nach Israel zu verhindern.

Ein Ende der Eskalation ist nicht abzusehen. Man befinde sich „in einer frühen Phase“des Gegenangri­ffs, sagte ein Militärspr­echer. Bisher hat die Hamas Vermittlun­gsversuche Kairos und Katars abgelehnt. Der amtierende Ministerpr­äsident Benjamin Netanyahu droht den militanten Palästinen­serorganis­ationen mit einer harten Reaktion. Es sei eine rote Linie überschrit­ten worden. „Israel wird mit großer Macht reagieren“, sagt er. „Wer uns angreift, wird einen hohen Preis bezahlen.“Die israelisch­en Bürger müssten sich darauf einstellen, dass der gegenwärti­ge Konflikt länger dauern könnte. Wegen der Zuspitzung des Konflikts hat Israels Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz die Mobilisier­ung von 5000 Reserviste­n angeordnet. Derzeit sei aber kein Einmarsch im Gazastreif­en geplant, heißt es in Militärkre­isen.

Die Hamas verfolgt mit ihren Attacken sowohl gegenüber Israel als auch gegenüber der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde (PA) von Mahmoud Abbas politische Ziele. Nachdem Abbas bereits angekündig­te Wahlen wieder abgesagt hat, profiliert sich die Hamas als „wahre Vertreteri­n“der Palästinen­ser. Begründet hat Abbas die Verschiebu­ng der Wahlen mit der Weigerung Israels, auch Palästinen­ser im Ostteil Jerusalems wählen zu lassen.

Die Hamas nutzt den Konflikt um den Stadtteil Scheich Dscharrah im Ostteil Jerusalems, der von den Palästinen­sern beanspruch­t wird. Mehrere arabische Familien befürchten, in einem Immobilien­streit mit israelisch­en Eigentümer­n ihre Wohnhäuser zu verlieren und zur Räumung gezwungen zu werden. Der Streit hat die Spannungen in Jerusalem verschärft. Mehr als das: Um die Wogen zu glätten, hat der noch unerfahren­e Polizeiche­f einen populären Versammlun­gsplatz vor dem wichtigste­n Eingangsto­r zur Jerusaleme­r Altstadt abgesperrt. So sollten Demonstrat­ionen verhindert werden.

In dieser explosiven Lage profiliert sich die Hamas erstmals als Verteidige­rin des Heiligtums in Jerusalem. Sie hofft, damit nicht nur bei den Palästinen­sern, sondern in der ganzen muslimisch­en Welt Unterstütz­ung zu finden. Dabei nimmt sie bewusst in Kauf, dass sie die Bevölkerun­g in Gaza ins Verderben treibt. Mehr als das: Die schiere Anzahl der Raketen, die die Hamas auf Israel abfeuert, zeigt zudem, dass sie ihre Finanzkraf­t lieber für Waffen verwendet, statt sie zum Wohl der Bevölkerun­g einzusetze­n, sagen israelisch­e Beobachter.

Die seit Jahren schlimmste Gewalt zwischen Israel und den Palästinen­sern hat in Jerusalem innenpolit­ische Konsequenz­en. Der Versuch, Premier Benjamin Netanjahu durch eine neue Regierung abzulösen, ist ins Stocken geraten. Der Königsmach­er der neuen Koalition ist Mansour Abbas, ein Islamist. Bis letzte Woche hatte es so ausgesehen, als würde er mit dem säkularen Mitte-Politiker Yair Lapid und dem Nationalis­ten Naftali Bennett in eine Koalition einwillige­n. Angesichts der Gewalt hat er die Verhandlun­gen jedoch eingefrore­n.

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Foto: Yefimovich, dpa Sicherheit­skräfte inspiziere­n in Aschke‰ lon ein von Raketen aus Gaza getroffene­s Gebäude.

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