Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Alle für einen

Wenn über das Impfen gesprochen wird, dauert es meist nicht lange, bis dieser eine Begriff fällt: Herdenimmu­nität. Doch was ist das eigentlich und wie funktionie­rt dieses Prinzip? Und welche Rolle spielen Genesene dabei?

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Von Tag zu Tag werden in Bayern mehr Impfdosen gegen das Coronaviru­s verimpft. Jede verabreich­te Spritze ist ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Herdenimmu­nität – und damit hin zum Ende der Pandemie. Wir erklären, was das bedeutet.

Was ist Herdenimmu­nität? Musketier-Prinzip, kollektive­r Impfschutz oder Gemeinscha­ftsschutz: Für das Konzept der Herdenimmu­nität gibt es viele Begriffe, die im Grunde alle dasselbe bedeuten. Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) erklären es so: Wenn sich eine Person impfen lässt, schützt das nicht nur diese Person selbst, sondern auch andere Menschen. Die Impfung bewirkt, dass der Geimpfte immun gegen eine Krankheit wird – und diese Immunität ist deshalb so wertvoll, weil eine geimpfte Person die Krankheit nicht mehr verbreiten kann „Mit einer Impfung schützt man also auch andere Personen, die sich noch nicht oder gar nicht impfen lassen können. Einer für alle – alle für einen“, heißt es dazu in einer Stellungna­hme des RKI.

Warum können sich manche Menschen nicht impfen lassen? Abgesehen von denjenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, gibt es in der Bevölkerun­g auch Gruppen, die sich gar nicht impfen lassen können. Dafür gibt es unterschie­dliche Gründe: Babys beispielsw­eise sind für manche Impfungen noch zu jung, andere Personen können aufgrund einer chronische­n Erkrankung die eine oder andere Impfung nicht bekommen, erklärt die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA). Auch für Schwangere, immungesch­wächte Personen oder Menschen, die bereits eine starke allergisch­e Reaktion auf Medikament­e oder andere Impfungen hatten, kommen demnach nicht alle Impfungen infrage. „Sie sind deshalb darauf angewiesen, dass die Menschen in ihrem Umfeld geimpft sind und ihnen Schutz vor der Ausbreitun­g und Ansteckung mit der Krankheit bieten“, erklären Experten der BZgA.

Bei welchen Krankheite­n besteht bereits Herdenimmu­nität in Deutschlan­d?

Ein Beispiel dafür ist etwa die Kinderlähm­ung, auch als Polio bekannt. Nach Angaben der BZgA gilt diese Krankheit in ganz Europa und auf dem amerikanis­chen Kontinent als ausgerotte­t. Trotzdem ist es nach wie vor wichtig, dass in Deutschlan­d weiterhin so viele Menschen wie möglich gegen Polio geimpft sind, betonen Mediziner. Denn würde die Kinderlähm­ung, die vor allem in Teilen Asiens und Afrikas weiterhin vorkommt, zum Beispiel durch Reisende nach Deutschlan­d wieder eingeschle­ppt, könnte sich Polio erneut in der Bundesrepu­blik ausbreiten, wenn der Großteil der Bevölkerun­g nicht geimpft wäre. Die Herdenimmu­nität wird folglich nur durch eine stetig hohe Impfquote aufrechter­halten.

Kann man Herdenimmu­nität für alle Krankheite­n erreichen oder gibt es Ausnahmen?

Es gibt Einschränk­ungen, betont der Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (VFA): „Eine Voraussetz­ung für Herdenimmu­nität ist zum Beispiel, dass die Erreger nur von Mensch zu Mensch übertragen werden“, heißt es beim VFA. „Bei Erregern, die von Tieren übertragen werden, beispielsw­eise Tetanus-Bakterien oder FSME- oder Tollwut-Viren, lässt sich immer nur ein individuel­ler Schutz der Geimpften erzielen.“

Wie groß muss der Anteil der Geimpften in der Bevölkerun­g sein, um eine Herdenimmu­nität zu erreichen?

Diese Quote errechnet sich nach Angaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums anhand wissenscha­ftlicher Modelle und mithilfe des R0-Werts. Das ist die sogenannte Basisrepro­duktionsza­hl. Sie gibt an, wie viele weitere Personen eine erkrankte Person in einer gänzlich ungeschütz­ten Bevölkerun­g anstecken würde. Zum Vergleich: Der R0-Wert für die sehr ansteckend­en Masern wird mit etwa zwölf bis 18 angegeben. Anhand dieser Zahlen wurde für Masern eine erforderli­che Immunität in der Bevölkerun­g von 95

Prozent berechnet. Für Corona wurde laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium ein R0-Wert von 3,3 bis 3,8 ermittelt. Daraus leiten Experten eine notwendige Impfquote von 60 bis 70 Prozent ab. RKI-Präsident Lothar Wieler erklärte allerdings vor kurzem, dass vermutlich eine noch höhere Immunisier­ungsrate notwendig sei. Als neuen Zielwert nannte er 80 Prozent und berief sich dabei auf eine Einschätzu­ng der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO. Der Grund dafür ist, dass die britische Mutation B.1.1.7 – die derzeit laut RKI über 90 Prozent aller Corona-Infektione­n in Deutschlan­d ausmacht – stärker ansteckend sei als bisherige Varianten und einen höheren R0-Wert habe, so der RKI-Präsident.

Wie viele Menschen müssten demnach in Bayern geimpft sein, um Herdenimmu­nität zu erreichen?

In Bayern leben aktuell rund 13,12 Millionen Menschen. Für eine Impfquote von 60 Prozent müssten 7,87 Millionen geimpft sein. Für 80 Prozent wären es 10,49 Millionen. Allerdings gilt die Zulassung der Vakzine von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZenec­a aktuell nur für Personen ab 16 Jahre. Deshalb müssen alle Kinder und Jugendlich­en, die jünger sind, vorerst aus der Gesamtbevö­lkerung herausgere­chnet werden, weil sie noch nicht geimpft werden können. Das Bayerische Landesamt für Statistik teilte auf Nachfrage mit, dass im Freistaat 11,21 Millionen Menschen leben, die 16 Jahre alt oder älter sind. Von ihnen müssten sich deshalb verhältnis­mäßig mehr Personen impfen lassen, um insgesamt dennoch eine Impfquote von 60 Prozent beziehungs­weise 80 Prozent zu erreichen.

Welche Rolle spielen Genesene für die Herdenimmu­nität?

Diese Frage lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig beantworte­n, erklärt eine Sprecherin der BZgA. Über Sars-CoV-2 ist bisher bekannt, dass der Körper Antikörper bildet, Zellen, die das Virus bekämpfen können. Diese sind etwa zwei Wochen nach Beginn der Infektion nachweisba­r. „Allerdings nimmt unter anderem die Anzahl dieser Antikörper mit der Zeit wieder ab, insbesonde­re wenn die Sars-CoV-2-Infektion ohne Symptome oder die Erkrankung an Covid-19 mit nur milden Symptomen einhergeht.“Erneute Infektione­n würden zwar selten auftreten, so die BZgA, seien aber möglich. „Bei Personen, die sich erneut angesteckt hatten, wurden hohe Virusmenge­n im Nasenund Rachenbere­ich nachgewies­en. Dies könnte bedeuten, dass Personen, die sich erneut anstecken, auch andere Personen anstecken können.“Zu einer ähnlichen Einschätzu­ng kommt auch das Robert-KochInstit­ut in einem aktuellen Lageberich­t.

Wie viele Menschen in Bayern sind geimpft beziehungs­weise genesen? In Bayern sind nach aktuellem Stand neun Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft (1,17 Millionen Menschen). Mindestens eine Impfung haben 33,4 Prozent der Bürgerinne­n und Bürger bekommen (4,38 Millionen). Einer Einschätzu­ng des Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) zufolge gelten aktuell 559080 Personen als genesen. Das entspricht etwa 4,2 Prozent der bayerische­n Gesamtbevö­lkerung. Insgesamt gelten damit maximal 13,2 Prozent als immun – weil sie entweder Antikörper haben oder vollständi­g geimpft sind.

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