Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wenn die Arbeit losgeht, ist Söder schlagarti­g weg“

Ludwig Hartmann, Fraktionsc­hef der Grünen im Landtag, geht mit der Klimapolit­ik der CSU scharf ins Gericht

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Herr Hartmann, im November verabschie­dete der Landtag Bayerns erstes Klimaschut­zgesetz. 30 Millionen Bäume in den nächsten fünf Jahren, neue Windkrafta­nlagen in den Staatswäld­ern, Ausbau des Öko-Landbaus: Alles Maßnahmen, die in den Ohren eines Grünen-Politikers doch wie Musik klingen. Warum stimmte Ihre Fraktion trotzdem gegen das Gesetz? Ludwig Hartmann: Das bayerische Klimaschut­zgesetz ist in meinen Augen kein Gesetz. Da ist nur von Können, Wollen, Sollen die Rede. Um verbindlic­he Vorgaben haben sich CSU und Freie Wähler gedrückt. Die Verantwort­ung für die Klimakrise wird auf unsere Kinder abgewälzt. So funktionie­rt Klimaschut­z aber nicht – wir müssen jetzt konkret und klar sagen: Das machen wir heute, das morgen, das in den nächsten fünf Jahren. Kein anderes Bundesland hat so ein schwaches Klimaschut­zgesetz wie Bayern.

Was hat die Staatsregi­erung Ihrer Meinung nach von konkretere­n Formulieru­ngen abgehalten?

Hartmann: Ministerpr­äsident Markus Söder brennt nicht für den Klimaschut­z. Er geht den Weg des geringsten Widerstand­es und macht Überschrif­tenpolitik: mit den knalligste­n, schnellen Headlines und ohne Bereitscha­ft zu handeln. Söder hat den Rollenwech­sel versucht, aber nicht geschafft. Wenn die Arbeit losgeht, das Diskutiere­n und Kämpfen für die Sache, ist er schlagarti­g weg. Die Energiewen­de ist eine gewaltige Aufgabe, die politisch aufwendig und anstrengen­d ist. Mit leeren Ankündigun­gen kommen wir hier zu keiner Lösung.

Was muss Ihrer Meinung nach konkret in einem bayerische­n Klimaschut­zgesetz stehen?

Hartmann: Eine Solarpflic­ht für Neubauten, schrittwei­se auch für den Bestand, die Abschaffun­g der 10H-Regelung, ab jetzt nur noch E-Autos bei Neuanschaf­fungen für den staatliche­n Fuhrpark. Außerdem brauchen wir einen Schattenpr­eis von 180 Euro pro Tonne CO2 bei allen staatliche­n Vorhaben, um die Investitio­nen in eine klimafreun­dliche Richtung zu lenken.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat kürzlich entschiede­n, dass das deutsche Klimaschut­zgesetz zum Teil verfassung­swidrig ist. Nach dem Urteil muss auch die Bayerische Staatsregi­erung jetzt nachbesser­n. Macht Ihnen das Hoffnung?

Hartmann: Das Urteil hat mich beeindruck­t. Das Gericht hat ganz klar gesagt, dass die Regierung langfristi­g und nicht nur bis zur nächsten

Wahl denken und handeln darf. Die Freiheit junger Menschen nachfolgen­der Generation­en ist genauso viel wert wie unsere Freiheit heute. Doch meiner Meinung nach hat Markus Söder nicht verstanden, worum es beim Klimaschut­z geht. Nämlich um eine deutliche CO2-Reduktion. Dafür müssen wir endlich auch der Windkraft in Bayern eine Heimat geben.

Die CSU will zwar an der umstritten­en 10H-Regel für Windräder festhal

Archivfoto: Marcus Merk ten, aber bestehende Anlagen modernisie­ren. Reicht das nicht aus? Hartmann: Nein, absolut nicht. Da werde ich wirklich wütend. Im Klartext heißt das nämlich, dass wir frühestens ab 2030 zu mehr Windkraft kommen. Denn die Bestandsan­lagen für Windenergi­e können erst nach 20 Jahren sinnvoll erneuert werden. Die meisten Anlagen sind aber erst zwischen 2010 und 2015 in Betrieb gegangen. Söders Lösung würde also erst in den 2030er Jahren greifen. Und das ist viel zu spät.

Deshalb muss jetzt die 10H-Regel, also dass eine Windkrafta­nlage das Zehnfache seiner Höhe von Wohnbebauu­ngen entfernt sein muss, sofort gestrichen werden.

Warum?

Hartmann: Die Zahlen zeigen ganz deutlich: Vor Einführung von 10H, 2013, gab es über 400 Genehmigun­gsanträge für Windräder, ein Jahr später gingen 160 in Betrieb. Viele davon in Bürgerhand. Dann kam die Staatsregi­erung 2014 mit 10H und hat die Entwicklun­g abgewürgt. Zum Vergleich: Vergangene­s Jahr wurden drei Anträge genehmigt, acht Anlagen gingen in Betrieb. Für Bayern als das größte Flächenlan­d in Deutschlan­d sind diese Zahlen ein Witz.

Und das Abschaffen von 10H löst dieses Problem?

Hartmann: Diese Maßnahme können wir sofort umsetzen. 10H bedeutet bei vielen Windrädern etwa zweieinhal­b Kilometer Abstand zur Wohnbebauu­ng. Da bleibt kein Standort mehr übrig. Unser Weg wäre: Bis 2030 bauen wir circa 1300 neue Windkrafta­nlagen. Damit würden wir die Anzahl der Anlagen verdoppeln. Wir könnten die Stromprodu­ktion aber verdreifac­hen – im Moment haben wir dank unseren Ingenieuri­nnen und Ingenieure­n am Markt die leistungss­tärksten Anlagen, die es je gab.

Und die werden hier nicht gebaut ... Hartmann: Das ist Irrsinn, auch volkswirts­chaftlich. Klimaschut­zpolitik ist auch Standortpo­litik. Wenn wir hier unseren eigenen Strom produziere­n, halten wir Wertschöpf­ung und Arbeitsplä­tze in Bayern und unsere Unternehme­n profitiere­n. Wir werden in Zukunft immer mehr Strom brauchen, auch für die Herstellun­g von Wasserstof­f. Wir dürfen doch das Geschäft der sauberen Stromgewin­nung nicht anderen überlassen. Hier verspielt Söder eine Chance. Wir können uns sicher sein: Unsere Kinder werden uns niemals vorwerfen, zu viele Windkrafta­nlagen gebaut zu haben.

Die Staatsregi­erung will im Mai Vorschläge für ein neues Klimaschut­zgesetz vorlegen. Was erwarten Sie? Hartmann: Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Wenn die SöderRegie­rung auch nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts nicht handelt, stehen wir in einem breiten Bündnis mit Fridays for Future, Bund Naturschut­z, LBV, SPD und ÖDP bereit, den Weg über ein Klimaschut­z-Volksbegeh­ren zu gehen.

Interview: Anna Katharina Schmid

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 ??  ?? Der Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Landtag, Ludwig Hartmann, fordert konkre‰ tere Maßnahmen in der Klimapolit­ik.
Der Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Landtag, Ludwig Hartmann, fordert konkre‰ tere Maßnahmen in der Klimapolit­ik.

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