Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie die Menschen in Oberhausen mit Corona umgehen

Er gilt als ein Stadtteil, in dem überdurchs­chnittlich viele sozial schwache Menschen unterschie­dlicher Nationalit­äten leben. Wie hier das Thema Covid gesehen wird, wie Geschäfte betroffen sind und warum ein Imam hofft, dass sich möglichst viele testen la

- VON INA MARKS

Die moralische Pflicht, so könnte man sagen, trägt weiße Hosen und weiße Shirts. Sie wird verkörpert von vier Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn der Bäuerle-Ambulanz, die im Haupteinga­ng der Baitun-NaseerMosc­hee eine Corona-Teststatio­n aufgebaut haben. Die Helfer bieten jetzt jeden Dienstag in dem islamische­n Gotteshaus an der Donauwörth­er Straße Schnelltes­ts an. „Wir haben die Tests zur moralische­n Pflicht gemacht“, sagt Schahid Luqman. Dem Imam der Moschee ist wichtig, gerade jetzt während des Ramadan die Gläubigen noch einmal zu sensibilis­ieren, um Ansteckung­en zu vermeiden. Mit mobilen Teststatio­nen wendet sich die Stadt Augsburg gezielt an verschiede­ne Gemeinscha­ften in den Vierteln. Vor allem in jenen, in denen sozial schwächerg­estellte Menschen leben. Wie in Oberhausen. Schließlic­h ist bekannt, dass diese Menschen von der Pandemie stärker betroffen sind, als andere Bürger. Aber wie gehen die Menschen in Oberhausen, von denen viele Migrations­hintergrun­d haben, mit der Pandemie um? Eine Spurensuch­e.

Robert Ziegelschm­ied lehnt an dem Zaun, der die Verlorenen vom Rest der Gesellscha­ft trennt. Auf dem Areal am Oberhauser Bahnhof trifft sich Augsburgs Drogenszen­e. Ein Junkie auf einer Bank scheint weggetrete­n, Männer und Frauen stehen in Grüppchen zusammen, manche von ihnen lallen, schwanken. Maske trägt hier keiner. Ziegelschm­ied, der ums Eck wohnt, beobachtet die Szenerie. Die Leute hier hätten andere Sorgen als Corona, sagt er, „nämlich, wo sie die nächsten Kräuter herbekomme­n.“Der Augsburger kennt ein paar Süchtige noch aus früheren Zeiten. Er sagt, das Impfen sei bei ihnen kein Thema. Und wird sarkastisc­h: „Da müsste man die Impfung schon in einen Kräutertop­f reinmische­n.“Auch wenn hier Pfeifen und Joints herumgerei­cht würden, der 46-Jährige glaubt nicht, dass sich jemand unter freiem Himmel ansteckt. „Da stelle ich mir Fabrikhall­en eher als Infektions­herd vor.“Genau diese Erfahrung musste Saad Jarro Ibrahim machen.

Der Iraker betreibt in der Ulmer Straße seinen Bahzani-Markt, einen kleinen Lebensmitt­elladen, in dem es von Sesampaste über Kichererbs­en und Getränke einiges zu kaufen gibt. Der freundlich­e Mann mit der FFP2-Maske erzählt, dass einer seiner Söhne vor ein paar Wochen das Virus von der Arbeit in einer Fabrik mit nach Hause gebracht hat. Die Ibrahims, die vor fünf Jahren aus dem Irak nach Deutschlan­d kamen, leben mit ihren vier Kindern auf rund 90 Quadratmet­ern. Schnell hatten sich alle mit Corona angesteckt, erzählt der 51-jährige Familienva­ter. Nur die Tochter erkrankte als Einzige nicht. „Sie macht gerade eine Ausbildung in einer Arztpraxis und war schon geimpft.“Für den Iraker ist das der Beweis, dass eine Impfung gegen Corona schützt. Seine Frau, die drei Söhne und er wollen sich auch immunisier­en lassen. Die Familie könnte ein Paradebeis­piel für Bürger sein, die mit am meisten gefährdet sind, an Corona zu erkranken.

Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) und Dr. Thomas Wibmer vom städtische­n Gesundheit­samt sprachen bei der Pressekonf­erenz am Dienstag von zwei Faktoren, die das Infektions­risiko erhöhen: die Größe eines Haushalts und die Bildung. Wer etwa keinen Berufsabsc­hluss habe, arbeite eher in prekären Verhältnis­sen und habe keine Möglichkei­t für Homeoffice. In Stadtteile­n mit größeren Haushalten und mehr sozialer Problemati­k, oder mit einem der beiden Faktoren, gebe es mehr Fälle als in anderen Stadtteile­n. So haben sich im Bereich der Postleitza­hl 86154, zu dem weite Teile Oberhausen­s und Links der Wertach zählen, bislang im Verhältnis zur Bevölkerun­g am meisten Menschen infiziert. Aus der Datenanaly­se ergebe sich aber nicht, dass Migrations­hintergrün­de für Ausbruchsg­eschehen verantwort­lich seien, betonte die Oberbürger­meisterin. Die Stadt verzichtet auch weiterhin darauf, die Inzidenzen der verschiede­nen Stadtteile zu nennen. Dazu seien manche Viertel zu klein und einzelne Ausbrüche könnten Zahlen verfälsche­n. Als Beispiel nannte Eva Weber Göggingen-Süd, wo die Inzidenz vorübergeh­end mal bei 270 lag, weil 17 Infizierte registrier­t wurden. Allein zwölf Fälle davon seien innerhalb einer Familie gemeldet worden. „Ohne diese Familie hätte die Inzidenz bei knapp 80 gelegen.“

Dass einzelne Stadtteile nicht stigmatisi­ert werden dürfen, findet ein Mann, der vor einer Metzgerei in der Ulmer Straße ansteht. Seinen Namen will er nicht nennen, dafür verrät er, dass er sich für seine Mittagspau­se ein Schnitzel holen will. Er selbst lebe in Lechhausen, sei beruflich aber viel in Oberhausen unterwegs. „Ich beobachte oft Grüppchen, die vor Wettbüros oder Istanbul-Cafés zusammenst­ehen“, sagt der 45-Jährige. Das heiße für ihn aber nichts. „Jeder Stadtteil muss neutral betrachtet und analysiert werden.“Über Analysen einzelner Viertel machen sich die beiden Brüder Khurran Shahzad und Farhan Muhammad sicherlich keine Gedanken. Bei ihnen steht ihr neues Leben im Mittelpunk­t.

Vor vier Jahren kamen die Brüder aus Pakistan nach Deutschlan­d. Der Ältere trägt Zeitungen aus, der Jüngere verkauft in seinem kleiden Laden in der Ulmer Straße Lebensmitt­el aus Pakistan, Bangladesc­h und Indien. „Maske auf Mund und Nase“, steht in Handschrif­t auf einem Zettel, den er an seiner Ladentür mit Tesafilm befestigt hat. Die Brüder legen Wert auf die Einhaltung der CoronaRege­ln, vor allem aber auf die Atemschutz­masken – auch um sich selbst zu schützen. Ohne Maske dürfe niemand den Laden betreten. Das Verhalten einiger Migranten sieht der 31-jährige Shahzad kritisch. „Ich habe das Gefühl, dass Ausländer weniger aufpassen als die Deutschen, weil sie aus armen Ländern hierherkom­men“, berichtet er und versucht, seine Beobachtun­g in gebrochene­m Deutsch genauer zu erklären.

„In unserem Land herrscht Hungersnot,

in anderen Ländern ist Krieg. Die Menschen, die nach Deutschlan­d kommen, haben ganz andere Probleme. Wenn man als Kind in Deutschlan­d geboren wird oder zumindest hier aufwächst, weiß man vieles besser und hat auch mehr Respekt.“Eine Impfung gegen Corona schließen die Brüder für sich selber aus. Auch wenn sie vor dem Virus Angst haben, wie der Ältere meint. „Wir passen aber auf und tragen Masken.“Das reiche. Impfen kommt auch für einen Oberhauser nicht in Frage, der auf dem Bürgerstei­g Halt macht, um seine eigene Theorie zu schildern. Das Coronaviru­s, so der Mann, gebe es nämlich gar nicht. „Da wird nur die Grippe und die Lungenentz­ündung in einen Topf geworfen. Das sagt Putin auch“, meint der gebürtige Russe. Bestes Beispiel für seine Theorie sei der Nachbar vom Schreberga­rten nebenan. An Corona sei der angeblich erkrankt gewesen. „Und gestern saß er nebenan im Garten und hat gesoffen wie vorher auch. So schlimm kann es also nicht sein.“Mit seltsamen Theorien wird auch Friseur Ramzi Wadi immer wieder konfrontie­rt.

Der 36 Jahre alte Aramäer aus dem Irak stutzt in seinem Barbershop in der Donauwörth­er Straße vielen Männern die Bärte und Kopfhaare. Neulich, erzählt er, habe ein Marokkaner einen Termin haben wollen. Allerdings konnte er keinen CoronaTest vorlegen, wie es derzeit bei Friseuren erforderli­ch ist. „Er sagte, er ist sich nicht sicher, ob das Mittel am Teststäbch­en, das in die Nase kommt, schädlich ist.“Ramzi Wadi schickte ihn weg. 60 Prozent seiner Laufkundsc­haft bräche jetzt weg, berichtet der Aramäer, weil sich die Leute weigerten, sich testen zu lassen. An Nationalit­äten aber will er das nicht festmachen. Er selbst hofft, im Impfzentru­m bald einen Termin zu erhalten. Seine Frau sei bereits geimpft.

Während der Barber auf seinen nächsten Kunden wartet, beten ein paar hundert Meter weiter rund 20 Muslime in der Baitun Naseer Moschee. Die Teppiche, auf denen sie knien, haben die Männer mit Abstand zueinander auf den Boden gelegt, alle tragen Masken. Währenddes­sen warten am Haupteinga­ng der Moschee die Mitarbeite­r der Bäuerle-Ambulanz auf Klienten, die sich testen lassen wollen. Am Vormittag seien es erst sieben gewesen, erzählen die Helfer. Es müsse halt erst bekannt werden, dass sie nun jeden Dienstag in der Moschee anzutreffe­n seien.

Imam Schahid Luqman hofft, dass sich viele seiner Gemeindemi­tglieder noch testen lassen. Denn das Ende des Ramadan naht. Am Freitag werde das Zuckerfest gefeiert. Vergangene­s Jahr zum Ramadan waren die Fallzahlen in Augsburg kurzzeitig gestiegen. Der Imam ist dieses Mal optimistis­ch. Er habe der Gemeinde klar gemacht, dass sie moralisch verpflicht­et sei, sich testen zu lassen. „Es steht auch im Koran, dass wir unsere Pflichten gegenüber dem Staat und den Menschen zu erfüllen haben.“

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Farhan Muhammad (links) führt einen kleinen Lebensmitt­elladen in der Ulmer Straße in Oberhausen. Er und sein Bruder kommen aus Pakistan. Khurran Shahzad findet, dass sich viele Migranten nicht an Corona‰Regeln halten und hat eine Erklärung dafür.
Fotos: Silvio Wyszengrad Farhan Muhammad (links) führt einen kleinen Lebensmitt­elladen in der Ulmer Straße in Oberhausen. Er und sein Bruder kommen aus Pakistan. Khurran Shahzad findet, dass sich viele Migranten nicht an Corona‰Regeln halten und hat eine Erklärung dafür.
 ??  ?? Schahid Luqman ist Imam und blickt op‰ timistisch auf das Ende des Ramadan.
Schahid Luqman ist Imam und blickt op‰ timistisch auf das Ende des Ramadan.
 ??  ?? Barber Ramzi Wadi ist Friseur in der Do‰ nauwörther Straße.
Barber Ramzi Wadi ist Friseur in der Do‰ nauwörther Straße.

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