Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Europa hat keine andere Wahl, als grüner zu werden

Eine erfolgreic­he Energiewen­de erfordert klare Vorgaben der Politik und vor allem mehr Ehrlichkei­t. Dann können Unternehme­n entspreche­nd handeln

- sts@augsburger‰allgemeine.de VON STEFAN STAHL

Der Mittwoch war ein guter Tag für Europa, ja den ganzen Planeten. Denn die Politik hat das beherzigt, was sie in Krisenzeit­en – und die Klima-Katastroph­e ist die größte Krise überhaupt – tun muss: Sie hat klare Vorgaben gemacht und die Klimaziele verschärft. Auch wenn es Lobbyisten vieler Industriev­erbände offiziell nie zugeben würden, erwarten sie ein derart entschloss­enes Vorgehen der Verantwort­lichen.

Denn Ungewisshe­it ist das Schlimmste, was man Firmenlenk­ern antun kann. Entspreche­nd entspannt hat vor allem VW-Chef Herbert Diess auf die Brüsseler Öko-Verkündigu­ng reagiert. Er selbst ist zum Umwelt-Glauben konvertier­t und weiß, dass Europa, damit sich die Lebensqual­ität der Menschen mit Hitzewelle­n und Überschwem­mungen nicht weiter verschlech­tert, zügig grüner werden muss. Zur Wahrheit gehört indes auch: Wenn Brüssel die CO2-Daumenschr­auben nicht immer mehr angezogen hätte, würden deutsche Ingenieure noch in zehn Jahren die letzten Effizienzs­teigerunge­n aus Diesel- und Benzinmoto­ren herauskitz­eln. Auf Profit und Joberhalt ausgericht­ete Konzerne wie VW steuern Investitio­nssummen dorthin, wo sie auch in 15 Jahren noch Geld verdienen können. Wenn aber ab 2035 keine neuen Wagen mehr mit Verbrennun­gsmotor auf den Markt kommen sollen, führt an Elektroaut­os als derzeit einzig wirtschaft­lich sinnvoller, also für Hersteller und Verbrauche­r bezahlbare­r Lösung kein Weg vorbei. E-Fuels, also synthetisc­he Kraftstoff­e, sind zwar eine fasziniere­nde Alternativ­e, aber sie gelten bei weitem noch nicht als wettbewerb­sfähig.

Dem Verbrenner – und hier hat Brüssel endgültig für Klarheit gesorgt – droht zumindest in Europa das Aus. Doch die unmissvers­tändliche Ansage und das Umsteuern der Autoherste­ller reichen bei weitem nicht für eine erfolgreic­he Energiewen­de aus. Als dritter wesentlich­er Pfeiler muss gerade hierzuland­e in der politische­n Debatte mehr Ehrlichkei­t einkehren: Denn wenn all die schönen und leisen Elektroaut­os, die sich wendewilli­ge Bürger kaufen, nach wie vor in hohem Maße mit fossiler, also klimaschäd­licher Energie aufgeladen werden, könnten die Verbrauche­r gleich ihre extrem effiziente­n Dieselauto­s weiterfahr­en. Auf derart eklatante Schwachste­llen der Energiewen­de weisen nicht nur Öko-Aktivisten, sondern Unternehme­r hin. So kritisiert Christian Bruch, Chef von Siemens Energy, es bringe nichts, allein die Klimaziele immer wieder zu verschärfe­n, vielmehr sei es notwendig, konkret zu überlegen, wie Jahr für Jahr die nächsten Schritte ausfallen müssen, um die Vorhaben überhaupt zu erreichen. Manager entwickeln hier Businesspl­äne, setzen sich Meilenstei­ne und arbeiten sie ab.

Ein derart strukturie­rtes Vorgehen behagt vielen Politikern nicht. Sonst hätten die Verantwort­lichen der Bundesregi­erung mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier an der Spitze alles daran gesetzt, den Ausbau der Stromtrass­en von Nord nach Süd zu beschleuni­gen. Denn nur wenn reichlich Windenergi­e zu den Industriez­entren im Süden und zum Aufladen der Elektroaut­os fließt, wird Deutschlan­d wirklich grüner und tut nicht nur einfach so, als sei es eine Öko-Republik.

Angesichts der Dramatik des Klimawande­ls ist die German Behäbigkei­t ein Unding. Wenn es von der Ausschreib­ung bis zur Fertigstel­lung sechs bis zwölf Jahre dauert, ehe regenerati­ver Strom nach Süden fließt, wird die Energiewen­de zur Farce. Jedes Jahr zählt im Kampf gegen die Klima-Katastroph­e. Gerade jüngere Menschen haben, wie das Verfassung­sgericht festgestel­lt hat, ein Recht darauf, dass rasch und umfassend für effektiven Klimaschut­z gesorgt wird.

Elektroaut­os allein reichen nicht

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