Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein Abschied und ein Neuanfang mit Zauber
Kanzlerin Angela Merkel ist noch einmal im Weißen Haus zu Gast. Das Signal ihres Besuchs: Ein Neustart nach den verheerenden Trump-Jahren. Doch nicht alle Konflikte können im Vier-Augen-Gespräch mit Joe Biden ausgeräumt werden
Washington Von der Anspannung früherer Jahre war nichts zu spüren, als Joe Biden am frühen Donnerstagnachmittag die Besucherin aus Deutschland im Oval Office empfing. Germany sei „bad“, richtig schlecht, hatte der Amtsvorgänger an diesem Ort öfter gewütet. Nun schwärmte der Präsident von den „sehr engen“Beziehungen über den Atlantik und begrüßte die deutsche Kanzlerin als „eine großartige Freundin“.
Die Zeiten haben sich deutlich geändert, seit Angela Merkel vor drei Jahren zum letzten Mal im Weißen Haus war. Und an diesem schwülheißen Juli-Tag in Washington war das überdeutlich zu spüren. Mit einem symbolträchtigen Termin am Morgen hatte die Visite der Kanzlerin begonnen. Um 9.03 Uhr fuhr sie mit einem schweren Chevrolet-SUV vor der Residenz von Vizepräsidentin Kamala Harris vor. Harris ist die erste Frau in diesem Amt, und Merkel war der erste ausländische Staatsgast, den sie begrüßen durfte. Auf den in Amerika inzwischen wieder üblichen Handschlag verzichtete die corona-bewusste Kanzlerin. Stattdessen griff sie sich im asiatischen Stil mit der Hand ans Herz und nickte freundlich. Harris sagte, sie sei geehrt, die Kanzlerin zu treffen, was man angesichts der Popularität von Merkel in linksliberalen US-Kreisen, wo die Deutsche zu Trump-Zeiten teilweise zur Weltenretterin verklärt wurde, durchaus ernst nehmen kann.
Merkel betonte in ihrer Erwiderung die Notwendigkeit, gemeinsam „demokratische Werte zu schaffen“. Eine aus Ostdeutschland stammende deutsche Kanzlerin und eine Schwarze US-Vizepräsidentin mit jamaikanisch-indischen Wurzeln – es ist vielleicht das stärkste Sinnbild für den gesellschaftlichen Wandel. Doch es zeigt nur die halbe Wahrheit.
Tatsächlich befand sich Merkel auf Abschiedstour, und die anfängliche Euphorie für Harris hat in den USA angesichts ihrer schwachen Performance deutlich gelitten. Das liegt auch an ihren undankbaren Aufgaben: Sie soll die Flüchtlingsbewegung an der Grenze zu Mexiko stoppen und die inzwischen schleppende Impfkampagne in Fahrt bringen. Mit beiden Themen hat auch Merkel reichliche Erfahrung.
Eigentlich hätte als nächster Programmpunkt ein persönlicher Höhepunkt für Merkel angestanden: Zwar ist die Ehrendoktorwürde der Johns-Hopkins-Universität schon die 18. derartige Auszeichnung, die sie erhielt. Doch zu dieser Hochschule hat die Physikerin wegen deren Orientierung am Humboldtschen Bildungsideal und ihrer Arbeit während der Corona-Pandemie ein besonderes Verhältnis. Und die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit: Von der Elite-Uni wird sie als „globale Führungspersönlichkeit von beispielloser Entschlossenheit und Integrität“und als „Leuchtfeuer für die Welt in Krisenzeiten“
gewürdigt. Das waren große Worte. Doch bevor die Kanzlerin die akademische Ehrung entgegennahm, wurde sie von den schockierenden Nachrichten über die verheerenden Unwetter in der Heimat eingeholt.
Eilig wurde ein Termin für ein Pressestatement eingeschoben. „Meine Gedanken sind bei Ihnen“, versicherte die Kanzlerin den Opfern der Katastrophe in der 6000 Kilometer entfernten Heimat, von ihr eine „Tragödie“genannt. In einem harten Gegenschnitt der Umstände und Gefühle saß sie kurz darauf im Talar auf der Bühne der HopkinsFiliale in Washington und hörte eine euphorische Würdigung ihres Lebenswerks. Als Dank sprach Merkel über den Kampf gegen die CoronaPandemie, bei dem niemand nachlassen dürfe, über die historischen Verbindungen zwischen Deutschland und Amerika und über die Bedeutung einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“.
Bei der mehrstündigen Zusammenkunft mit Biden wurde es dann, erst unter vier Augen, dann im größeren Kreis konkreter. Breit war das Spektrum der besprochenen Themen – von Afghanistan über die russischen Cyberattacken bis zur Stärkung der Demokratie gegen autokratische Mächte. Keineswegs überall sind die Regierungschefs einer Meinung. Während Biden China als Gegner betrachtet, sieht Merkel in Peking einen Wettbewerber. Auch von der durch den US-Präsidenten unterstützten Aufhebung der Impf-Patente hält sie nichts. Und schließlich schwebt über allem noch der Konflikt über die Gaspipeline Nord Stream 2. Konkrete Ergebnisse, dämpften die Strippenzieher im Vorfeld die Erwartungen, seien von dem Treffen nicht zu erwarten.