Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Industrie reagiert kühl auf Klimaschut­zpläne

Die EU-Vorschläge für den Kampf gegen die Erderwärmu­ng haben massive Auswirkung­en auf die Unternehme­n in Deutschlan­d. Vor allem Industrieb­etriebe fürchten die Verdrängun­g auf dem Weltmarkt

- VON CHRISTIAN GRIMM, STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Berlin Es ist ein entschiede­nes „Ja, aber“das aus den Reihen der deutschen Industrie schallt. Ja, die Pläne der Europäisch­en Union zum Klimaschut­z sind notwendig und wir unterstütz­en die Ziele. Aber, wenn das wirklich 1:1 umgesetzt wird, fegt uns die Konkurrenz aus Asien und Amerika von den Märkten. Exemplaris­ch steht dafür die deutsche Leitindust­rie. „Es fehlt an einer Abwägung“, moniert die Chefin des Autoverban­des VDA, Hildegard Müller. Die frühere Merkel-Vertraute verlangt, das ökonomisch­e Folgen (Pleiten) und soziale Auswirkung­en (Stellenabb­au) beim radikalen Senken des Ausstoßes von Treibhausg­asen stärker berücksich­tigt werden müssten.

Müllers Sorgenfalt­en kommen nicht von ungefähr. Was die EUKommissi­on auf den Tisch gelegt hat, bedeutet einen Epochenwec­hsel. Spätestens 2035 dürfen keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit Sprit aus Erdöl fahren. Das klingt noch weit weg, aber selbst die Zwischensc­hritte sind sportlich. Heute dürfen die Neuwagen im Schnitt noch 95 Gramm Kohlendiox­id je Kilometer in die Luft blasen. Im Jahre 2030 weniger als halb so viel. Das können die Fahrzeughe­rsteller nur erreichen, wenn sie viele Elektro-Autos verkaufen, die kein CO2 ausstoßen. Deren Nullwert können die Konzerne mit den Benzinund Dieselmode­llen verrechnen. Der Verbrenner-Motor steht damit nicht unbedingt vor dem Aus. Wenn es gelingt zu bezahlbare­n Bedingunge­n umweltfreu­ndlichen Öko-Sprit herzustell­en, gibt es ihn weiter. Die Autobauer wie BMW, Audi, Opel und Daimler haben bereits reagiert und werden sich schon bald vom klassische­n Benzin- und Dieselmoto­r verabschie­den.

Bei Audi, dem größten Autobauer in der Region, ist man nicht überrascht. Im Juni hat die VW-Tochter ihren Plan für den Umstieg in die E-Mobilität bekannt gegeben: Bis 2033 soll die Produktion von Verbrenner­n „nach und nach auslaufen“. In vier Jahren startet die Produktion des letzten komplett neu entwickelt­en Verbrenner-Modells von Audi. Ab 2026 will man nur noch neue Modelle auf den Weltmarkt bringen, die rein elektrisch angetriebe­n sind. Ein Unternehme­nssprecher sagte, man eile mit dieser Transforma­tion den von der EU geplanten Regelungen voraus.

Gleichzeit­ig gewinne Audi mit der frühzeitig­en Entscheidu­ng für ein konkretes Ausstiegsd­atum die nötige Zeit. Die Vorschläge der EU seien „ambitionie­rt“. Es kommt wiederholt die Forderung: „Entspreche­nd ist es wichtig, dass der Fokus nun ganz klar auf dem Ausbau der Ladeinfras­truktur und dem Ausbau erneuerbar­er Energien liegt.“

Die Großen werden den Wandel schaffen, in Gefahr sind die Mittleren und Kleinen. Unternehme­n, die jetzt Teile für die Motoren liefern. „Die Auswirkung­en für die Arbeitsplä­tze in diesem Bereich werden erheblich sein“, warnt Müller. Jürgen Weiss, geschäftsf­ührender Gesellscha­fter der Weiss Kunststoff­verarbeitu­ng in Illertisse­n, leitet so einen Betrieb. Er warnt ebenfalls: „Wenn das Verbot des Verbrenner­motors wirklich kommt, werden massiv Arbeitsplä­tze in Gefahr sein. Das trifft die ganze Lieferkett­e und vor allem die Zulieferer. Für Elektroaut­os braucht man einfach weniger Teile und es darf ja auch nichts teurer werden.“

Anderersei­ts entstehen gerade auch neue Stellen in der Batteriehe­rstellung für all die E-Autos, die bald auf den Straßen fahren sollen. Die Wissenscha­ftler sind sich uneins, welche Entwicklun­g stärker ist. Es gibt Studien, die kommen zu dem Schluss, dass mehr neue Stellen entstehen als wegfallen und es gibt Studien, die kommen zu dem gegenteili­gen Ergebnis. Müller ist pragmatisc­h: „Ich denke nicht, dass in zehn Jahren alle pleite sind. Aber man muss rechtzeiti­g in neue Technologi­en wie Medizintec­hnik oder Elektromob­ilität reinkommen. Manche Politiker, etwa die Grünen, sagen, die Leute müssen dann eben woanders arbeiten. Das ist einfach gesagt, aber nicht so einfach umgesetzt.“

Dieser Wandel wird damit auch zu einer großen Herausford­erung für den stark von der Zulieferin­dustrie geprägten Industries­tandort Schwaben. Matthias Köppel, Leiter der Standortpo­litik der IHK Schwaben, sagt: „Das Aus für Autos mit Diesel- und Benzinmoto­ren wäre für diese Unternehme­n eine Zäsur. Doch überrasche­nd kommt solch eine Nachricht für niemanden mehr. Der Umstieg auf alternativ­e Antriebe läuft seit mehreren Jahren: Die Zulieferer in der Region investiere­n massiv, um den Strukturwa­ndel zu meistern.“Nun komme es darauf an, dass die Firmen auf dem Weltmarkt nicht benachteil­igt werden. Das sieht auch Weiss, wenngleich er sehr skeptisch ist: „Bei Klimazölle­n bin ich skeptisch: Es wird immer Ausnahmen geben oder es kommt zu einem neuen Handelskri­eg.“

Noch radikaler als die Autoindust­rie werden die Stahlhütte­n ihre Produktion umbauen müssen, um

Koks durch grünen Wasserstof­f zu ersetzen. Grüner Wasserstof­f wird aus Ökostrom erzeugt. Er kann dann für die Eisengewin­nung eingesetzt werden. Die Schwierigk­eit dabei ist, dass es bislang nur wenig grünen Wasserstof­f gibt und er die Produktion deutlich verteuert. Um 30 bis 40 Prozent schätzt Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU).

Damit die Stahlerzeu­ger tatsächlic­h auf Wasserstof­f umrüsten, will die Kommission die Daumenschr­auben anziehen. Sie plant, die Menge der Luftversch­mutzungsze­rtifikate deutlich zu reduzieren. Weil in der Europäisch­en Union schon heute die Umweltvorg­aben für die Hüttenwerk­e strenger sind als anderswo, bekommen die Hersteller einen Teil der Zertifikat­e gratis und müssen sie nicht zukaufen. Damit sollen sie im globalen Wettbewerb eine Chance haben. Die Zahl der Gratis-Zertifikat­e wird aber nach den Vorstellun­gen aus Brüssel eingedampf­t. „In der Folge drohen Verluste von Produktion, Wertschöpf­ung und Arbeitsplä­tzen“, sagt der Präsident der Wirtschaft­svereinigu­ng Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. So wie den Stahlherst­ellern könnte es auch anderen Unternehme­n gehen, die viel Energie brauchen. Zement- und Glaswerke zählen dazu, Aluschmelz­en und Papierfabr­iken.

Es ist an Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), die Unternehme­n zu beruhigen. Er verspricht, sich bei den Verhandlun­gen über das Klimapaket zwischen Kommission, Mitgliedst­aaten und EU-Parlament dafür einzusetze­n, dass weiter Luftversch­mutzungsre­chte gratis zugeteilt werden, bis ein Schutzschi­ld für die Industrie geschmiede­t ist.

Dieser Schutzschi­ld ist der sogenannte Klimazoll. Stahl aus Russland oder Alu aus Amerika wird mit einem Aufschlag belegt, wenn die Metalle nicht so umweltfreu­ndlich produziert sind wie in der EU. Das Problem: Die Handelspar­tner könnten den Klimazoll als unfreundli­chen Akt bewerten und Gegenzölle verhängen. Ein Handelskri­eg könnte die Folge sein. Außerdem kann der Klimazoll nicht verhindern, dass der Export von Stahl aus Europa teurer wird. Damit die Unternehme­n den Wandel schaffen können, sagt Altmaier Investitio­nshilfen und Zuschüsse zu. „Das alles ist notwendig, damit am Ende nicht aus einem guten Ansatz die Verlagerun­g von Industriea­rbeitsplät­zen (…) folgt“, meint der Minister.

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Foto: Audi Audi in Ingolstadt sieht sich für den Wandel gerüstet.

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