Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mutter kämpft um Entschädig­ung

Als 2017 ein 36-Jähriger auf der A8 von einem Geisterfah­rer getötet wird, ist seine Freundin schwanger. Sie streitet nun mit der Versicheru­ng, die der Tochter das Hinterblie­benengeld verwehrt

- VON MICHAEL SIEGEL

Augsburg Von einem Tag auf den anderen ist das gemeinsame Leben vorbei. Als die Polizei vor ihrer Tür steht, begleitet von Mitglieder­n des Kriseninte­rventionst­eams, ist ihr sofort klar, dass etwas Entsetzlic­hes passiert ist. Sie ist bereits in Panik. Ihr Lebensgefä­hrte war seit Stunden nicht zu erreichen, was so gar nicht zu dem 36-Jährigen passte. Der Mann, der bald Vater werden sollte, war tot. Ein Geisterfah­rer fuhr auf der A8 bei Leipheim im Landkreis Günzburg in seinen Wagen. Das war im November 2017. Bis heute kämpft die Mutter einer nun dreijährig­en Tochter um finanziell­e Entschädig­ung. Jetzt ist der Fall vor Gericht.

Konkret geht es um die Frage: Steht einem Kind, das beim Unfalltod seines Vaters noch nicht geboren war, Hinterblie­benengeld zu? Diese Frage hat nun die Außenstell­e des Münchner Oberlandes­gerichts in Augsburg zu klären. Klägerin ist die Tochter des Unternehme­rs aus dem Landkreis Aichach-Friedberg.

Der 36-Jährige war damals auf der Rückfahrt von einer Geschäftsr­eise in Nordrhein-Westfalen. Es war nicht mehr sehr weit nach Hause, als sein Wagen mit dem Auto eines 58-jährigen Geisterfah­rers kollidiert­e. Die Wucht des Zusammenst­oßes war groß, der Unternehme­r starb noch an der Unfallstel­le, er hatte keine Chance. Der 58-jährige Geisterfah­rer überlebte zunächst schwer verletzt. Doch auch er ist dann im Frühjahr 2018 gestorben. Vernommen werden konnte er aufgrund seines Gesundheit­szustandes nie.

Durch den Unfall geriet die finanziell­e Situation der Hinterblie­benen aus dem Lot. Die Mutter der klagenden Dreijährig­en und ihr Verteidige­r Marc Sturm beriefen sich in der Verhandlun­g vor Gericht darauf, dass ein ungeborene­s Kind in ähnlicher Weise ein „besonderes Näheverhäl­tnis“zu seinem Vater haben könne wie etwa Neugeboren­e, Behinderte, Autisten oder demente Personen. Die beklagte Württember­gische Versicheru­ng lehnt eine Zahlung im Falle der damals ungeborene­n Tochter allerdings ab. Sie beruft sich auf die gesetzlich­e Grundlage im Bürgerlich­en Gesetzbuch. Der Fall des sogenannte­n „Nasciturus“, ein bereits gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind, sei nicht vergessen, sondern bewusst nicht aufgeführt worden.

Die heute 39-jährige Mutter der Klägerin versteht nach eigenen Worten nicht, dass die leibliche Tochter von ihr und dem getöteten Vater anders behandelt wird als ihre anderen, damals bereits geborenen Kinder. Sowohl eine Tochter der Mutter aus einer früheren Beziehung als auch zwei Söhne des Vaters mit anderen Frauen hätten Hinterblie­benengeld zwischen 5000 und 10 000 Euro erhalten.

Rechtsanwä­ltin Sibille Bucka, die die beklagte Württember­gische Versicheru­ng vor Gericht vertrat, nahm in Anspruch, dass es für eine Leistung an die Klägerin keine Rechtsgrun­dlage gebe, anders als bei anderen Hinterblie­benen, die Zahlungen erhalten hätten. Sie zog einen Vergleich mit einer Verjährung, die einen klaren Zeitpunkt kenne – ähnlich wie im vorliegend­en Fall der Zusammenha­ng zwischen dem Unfallzeit­punkt und der Geburt des Kindes.

Das Oberlandes­gericht wurde von beiden Parteien angerufen, die jeweils Berufung gegen vorangegan­gene Entscheidu­ngen des Landgerich­ts Memmingen eingelegt hatten. Neben der Frage des Anspruchs auf Hinterblie­benengeld ging es dabei um die Kosten für die Nachlasspf­lege. Weil zu der Erbengemei­nschaft des getöteten 36-Jährigen mehrere minderjähr­ige Kinder zählen, sei, so wurde ausgeführt, ein Nachlasspf­leger nötig geworden. Die hierfür entstanden­en Kosten von rund 20000 Euro möchten die Hinterblie­benen von der Versicheru­ng des Unfallveru­rsachers erstattet haben. Dies hatte das Landgerich­t bejaht, das Oberlandes­gericht ließ aber durchblick­en, dafür – ebenso wie die Versicheru­ng – keine Rechtsgrun­dlage zu erkennen.

Nach Einschätzu­ng des Vorsitzend­en Richters Hans Uwe Kahl sei eine außergeric­htliche Einigung in dem Fall nicht zu erkennen. Folglich werde die Kammer eine Entscheidu­ng treffen und diese am 5. August verkünden.

 ?? Archivfoto: Mario Obeser ?? Ein Geisterfah­rer tötete auf der A8 bei Leipheim im Landkreis Günzburg 2017 einen 36‰jährigen Vater. Seine Lebensgefä­hrtin und die heute dreijährig­e Tochter kämpfen im‰ mer noch um eine finanziell­e Entschädig­ung. Jetzt ist der Fall vor Gericht.
Archivfoto: Mario Obeser Ein Geisterfah­rer tötete auf der A8 bei Leipheim im Landkreis Günzburg 2017 einen 36‰jährigen Vater. Seine Lebensgefä­hrtin und die heute dreijährig­e Tochter kämpfen im‰ mer noch um eine finanziell­e Entschädig­ung. Jetzt ist der Fall vor Gericht.

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