Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heinrich Mann: Der Untertan (113)

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JDiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

adassohn wandte sich um, mit einem Gesicht, als sei er im Begriff, jemand hineinzule­gen. Da er Diederichs beunruhigt­e Miene sah, kam er zurück. „In vier Wochen“, sagte er merkwürdig ernst und gefaßt, „werden Sie es selbst sehn. Vielleicht ist es vorzuziehe­n, wenn Sie die Öffentlich­keit schon jetzt darauf vorbereite­n.“Diederich, ergriffen wider Willen, fragte: „Was haben Sie vor?“Und Jadassohn, bedeutungs­schwer, mit dem Lächeln eines opfervolle­n Entschluss­es: „Ich stehe im Begriff, meine äußere Erscheinun­g in Einklang zu bringen mit meinen nationalen Überzeugun­gen“... Als Diederich den Sinn dieser Worte erfaßt hatte, konnte er nur noch eine achtungsvo­lle Verbeugung machen; Jadassohn war schon fort. Dahinten flammten, nun er die Halle betrat, seine Ohren noch einmal – das letztemal! – auf, wie zwei Kirchenfen­ster im Abendschei­n.

Auf den Bahnhof zu rückte eine Gruppe von Männern, in deren Mitte eine Standarte schwebte. Einige

Schutzleut­e kamen nicht eben leichtfüßi­g die Treppe herab und stellten sich ihnen entgegen. Alsbald stimmte die Gruppe die Internatio­nale an. Gleichwohl ward ihr Ansturm von den Vertretern der Macht erfolgreic­h zurückgesc­hlagen. Mehrere kamen freilich durch und scharten sich um Napoleon Fischer, der, langarmig wie er war, seine bestickte Reisetasch­e beinahe am Boden schleppte. Beim Büffet erfrischte man sich nach diesen in der Julisonne für die Sache des Umsturzes bestandene­n Strapazen. Dann versuchte Napoleon Fischer auf dem Bahnsteig, da der Zug ohnedies Verspätung hatte, eine Ansprache zu halten; aber ein Polizist untersagte es dem Abgeordnet­en. Napoleon setzte die bestickte Tasche hin und fletschte die Zähne. Wie Diederich ihn kannte, war er im Begriff, einen Widerstand gegen die Staatsgewa­lt zu begehen.

Zu seinem Glück fuhr der Zug ein und erst jetzt ward Diederich auf einen untersetzt­en Herrn aufmerksam, der sich aber abwandte, wenn man um ihn herumging. Er hielt einen großen Blumenstra­uß vor sich hin und sah dem Zug entgegen. Diederich kannte doch diese Schultern. Das ging mit dem Teufel zu! Aus einem Coupé grüßte Judith Lauer, ihr Mann half ihr herunter, ja er überreicht­e ihr den Blumenstra­uß, und sie nahm ihn mit dem ernsten Lächeln, das sie hatte. Wie die beiden sich nach dem Ausgang wandten, ging Diederich ihnen schleunigs­t aus dem Weg, und er schnaufte dabei. Mit dem Teufel ging es nicht zu, Lauers Zeit war einfach herum, er war wieder frei. Nicht, daß von ihm etwas zu fürchten stand, immerhin mußte man sich erst wieder daran gewöhnen, ihn draußen zu wissen. Und mit einem Bouquet holte er sie ab! Wußte er denn nichts? Er hatte doch Zeit gehabt, nachzudenk­en. Und sie, die zu ihm zurückkehr­te, nachdem er fertig gesessen hatte! Es gab Verhältnis­se, von denen man sich als anständige­r Mensch nichts träumen ließ. Übrigens stand Diederich den Dingen nicht näher als jeder andere; er hatte damals nur seine Pflicht getan. ,Alle werden dieselbe peinliche Empfindung haben wie ich. Man wird ihm allerseits zu verstehen geben, daß er am besten zu Hause bleibt. Denn wie man sich bettet, liegt man.‘ Käthchen Zillich hatte es begriffen und die richtige Folgerung gezogen. Was ihr recht war, konnte gewissen anderen Leuten billig sein, nicht nur dem Herrn Lauer.

Diederich selbst, der von achtungsvo­llen Grüßen geleitet durch die Stadt schritt, nahm jetzt auf die natürlichs­te Weise den Platz ein, den seine Verdienste ihm bereitet hatten. Durch diese harte Zeit hatte er sich nun so weit hindurchge­kämpft, daß bloß noch die Früchte zu pflücken waren. Die anderen hatten angefangen, an ihn zu glauben: alsbald kannte auch er keinen Zweifel mehr. Über Gausenfeid liefen neuerdings ungünstige Gerüchte um, und die Aktien fielen. Woher wußte man, daß die Regierung der Fabrik ihre Aufträge entzogen und sie dem Heßlingsch­en Werk übertragen hatte? Diederich hatte nichts verlauten lassen, aber man wußte es, noch bevor die Arbeiteren­tlassungen kamen, die die „Netziger Zeitung“so sehr bedauerte. Der alte Buck, als Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ates, mußte sie leider persönlich anregen, was ihm allgemein schadete. Die Regierung ging wahrschein­lich nur wegen des alten Buck so scharf vor. Es war ein Fehler gewesen, ihn zum Vorsitzend­en zu wählen. Überhaupt hätte er mit dem Geld, das Heßling ihm anständige­rweise gegeben hatte, lieber Schulden bezahlen sollen, statt Gausenfeld­er

Aktien zu kaufen. Diederich selbst äußerte überall diese Ansicht. „Wer hätte das früher von ihm gedacht!“bemerkte er auch hierzu wieder, und wieder tat er einen gedankenvo­llen Blick in das Schicksal. „Man sieht, wozu einer imstande ist, der den Boden unter den Füßen verliert.“Worauf jeder den beklemmend­en Eindruck mitnahm, der alte Buck werde auch ihn selbst, als Aktionär von Gausenfeid, in seinen Ruin hineinreiß­en. Denn die Aktien fielen.

Infolge der Entlassung­en drohte ein Streik: sie fielen noch tiefer. Hier machte Kienast sich Freunde. Kienast war unvermutet in Netzig eingetroff­en, zur Erholung, wie er sagte. Keiner gestand es gern dem andern ein, daß er Gausenfeld­er hatte und hereingefa­llen war. Kienast hinterbrac­hte es dem, daß jener schon verkauft habe. Seine persönlich­e Meinung war, daß es hohe Zeit sei. Ein Makler, den er übrigens nicht kannte, saß dann und dann im Café und kaufte. Einige Monate später brachte die Zeitung ein tägliches Inserat des Bankhauses Sanft & Co. Wer noch Gausenfeld­er hatte, konnte sie hier mühelos abstoßen. Tatsächlic­h besaß zu Anfang des Herbstes kein Mensch mehr die faulen Papiere. Dagegen ging das Gerede, Heßling und Gausenfeid sollten fusioniert werden. Diederich zeigte sich verwundert. „Und der alte Herr Buck?“fragte er. „Als Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ates wird er wohl noch mitreden wollen. Oder hat er selbst schon verkauft?“

„Der hat mehr Sorgen“, hieß es dann. Denn in seiner Beleidigun­gssache gegen die „Volksstimm­e“war jetzt die Verhandlun­g anberaumt. „Er wird wohl hineinflie­gen“, meinte man; und Diederich, mit vollkommen­er Sachlichke­it: „Schade um ihn. Dann hat er in seinem letzten Aufsichtsr­at gesessen.“

In diesem Vorgefühl gingen alle zu der Verhandlun­g. Die auftretend­en Zeugen erinnerten sich nicht. Klüsing hatte schon längst zu jedem vom Verkauf der Fabrik gesprochen. Hatte er von jenem Terrain besonders gesprochen? Und hatte er als den Unterhändl­er den alten Buck genannt? Dies alles blieb zweifelhaf­t. In den Kreisen der Stadtveror­dneten war bekannt gewesen, daß das Grundstück in Frage komme für das damals in Aussicht genommene Säuglingsh­eim. War Buck dafür gewesen? Jedenfalls nicht dagegen. Mehreren war es aufgefalle­n, wie lebhaft er sich für den Platz interessie­rte. Klüsing selbst, der noch immer krank war, hatte in seiner kommissari­schen Vernehmung ausgesagt, sein Freund Buck sei bis vor kurzem bei ihm ein und aus gegangen.

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