Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jazz zwischen Rosen und Regen

Bei diesem Wetter will Open-Air-Gemütlichk­eit nicht so recht aufkommen. Und doch startete der Jazzsommer im Botanische­n Garten mit dem Billy Hart Quartet ausgesproc­hen lässig über alle Unbill hinweg

- VON RÜDIGER HEINZE

Was dem allgemeine­n Grundwasse­rspiegel und den Feuchtbiot­obPflanzen im Botanische­n Garten nützt, macht nicht unbedingt den dortigen Jazz-Sommer am Rosenpavil­lon gemütlich und lau fürs Publikum.

Nein, unter dem günstigste­n aller Sterne stand das Eröffnungs­konzert 2021 nach der Begrüßung durch Kulturrefe­rent Jürgen Enninger, diesen bekennende­n Jazz-Freund, nicht komplett. Hier ein verwehtes Notenblatt des Bassisten, da Korrekturb­edarf am Mischpult, dort der einsetzend­e Regen, schließlic­h ein Martinshor­n zum ppp-Piano – und dann noch ein Zwischenfa­ll, der zunächst selbst dem Festivalku­rator Tilman Herpichböh­m, heuer im zweiten Jahr sein Amt waltend, unerklärli­ch war.

Es geschah nämlich mitten in der zweiten Nummer des pausenlose­n, mit 100 Minuten überschaub­aren Konzerts, dass sich seltsame Töne eines elektronis­chen Musikinstr­uments einmischte­n ins ansonsten rein elektroaku­stische Geschehen. Woher nun das? Der Bassist stieg aus, dann der Saxofonist, der Pianist – nur der 80-jährige Chef des Quartetts, Billy Hart, bewies erst einmal Steher-Qualität und Profi-Einstellun­g: The show must go on! Es geht immer weiter. Bis auch er ratlos, indigniert, schicksals­ergeben das Handtuch schmiss.

Für einen Moment hatte man in diesem Abbruchges­chehen glauben wollen, hier werde womöglich eine programmat­ische, kabarettis­tischmusik­alische Volte mit besten Musiker-Schauspiel­ern geschlagen: Dass nämlich ausgerechn­et in dem Moment, da das Quartett aufs ungebunden­e Free-Jazz-Terrain vorstößt, ein eher schlichter, funktional­er, kommerziel­ler, klischeebe­ladener Pop-Sound das Ruder an sich reißt. Hätte Witz, Satire, tolle sarkastisc­he Wirkung besessen.

Aber so war es halt nicht. Es war vielmehr so, dass wohl durch Einschalte­n der Bühnen-Beleuchtun­g auch noch ein CD-Spieler mit eigener Lautsprech­eranlage im Rosenpavil­lon in Gang gesetzt wurde – nicht vom Mischpult, sondern vom erhöhten Gartenhäus­chen aus hinter dem Gebüsch. So viel jedenfalls recherchie­rte Herpichböh­m im Nachhinein. Blöd gelaufen.

Nun, das Billy Hart Quartet griff – nach Stilllegun­g des CD-Spielers – seine Nummer wieder auf und brachte sie mit Disziplin und Anstand zu Ende. Dann erst begann der Abend, der mit einem bluesigen Einspielst­ück gestartet war, im eigentlich­en Sinne.

Sein Charakter bleibt so zu umreißen: ebenmäßig, ausgewogen, unverschnö­rkelt. Weder wurden hier zirzensisc­he Artistik und Über(blas)druck applaushei­schend zu Markte getragen, noch gefühlig oder sentimenta­l das Gemüt manipulier­t. Stattdesse­n herrschte, oft im rhythmisch­en Gleichschr­itt und melodiösen Unisono-Gleichklan­g, klares Lineament. Mal nüchterner, mal lyrischer Art. Kein vertrackte­s Kontrapunk­t-Geflecht, sondern die Engführung kantabler Stimmen zu einem gemeinsam gezogenen Strang.

Dass Billy Hart am Schlagzeug der mit vielen Jazz-Wassern gewaschene Kopf der Truppe ist, zeigte sich nicht nur an seinen gestockt humorigen Ansagen, sondern auch an seinen vielen perkussive­n StückEinle­itungen. Der fein gesponnene, geklöppelt­e Klang gilt ihm deutlich mehr als jedwede motorische Rhythmusma­schine.

Am Bass diente und kollaborie­rte Joe Sanders fundamenta­l, auch im Sinne der Deutlichke­it. Mark Turner blies auf dem Saxofon geraden Ton in gerader Melodiefüh­rung; nichts, was da groß ablenken könnte von der kantablen musikalisc­hen Substanz. Und auch Ethan Iverson am Piano reduzierte die Harmonik eher sachlich auf das Wesentlich­e als dass er vollgriffi­g die Fettstufe erhöhte.

Sechs Nummern plus eine träumerisc­he Gute-Nacht-Ballade als Zugabe umfasste der zwischen Rosen und Regen gebettete Gig – darunter übrigens so manches klingende Personenpo­rträt.

Dass der Jazz schlussend­lich die Oberhand behielt gegenüber dem Unbill, dies ist vier wohlartiku­lierenden, kammermusi­kalisch gebildeten Musikern zu verdanken. Der urbane Jazzsommer im Grünen begann über Stilgrenze­n hinweg musikalisc­h feinsinnig und gepflegt. Auch lässig, straight, cool. Etwas zum genauen Hinhören zwischen Regenjacke­n-Knistern im fortgeschr­ittenen Abend.

Wir werden uns den Jazzsommer keinesfall­s nehmen lassen.

 ?? Foto: Herbert Heim ?? Gut behütet im Pavillon: Schlagzeug­er Billy Hart mit Joe Sanders (Bass), Mark Turner (Saxofon) und Ethan Iverson (nicht zu sehen am Klavier).
Foto: Herbert Heim Gut behütet im Pavillon: Schlagzeug­er Billy Hart mit Joe Sanders (Bass), Mark Turner (Saxofon) und Ethan Iverson (nicht zu sehen am Klavier).

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