Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was Lady Bitch Ray über Feminismus zu sagen hat

Die Sprachwiss­enschaftle­rin und Rapperin Reyhan Sahin auf Buchvorste­llung im Sensemble

- VON RENATE BAUMILLER‰GUGGENBERG­ER

Moderiert von Museumsdir­ektorin Barbara Staudinger stellte Reyhan Sahin im Rahmen des Begleitpro­gramms zur aktuellen Ausstellun­g „Schalom Sisters*!“im Sensemble ihr Buch „Yalla Feminismus“vor. Es gibt sicher feministis­che Buchautori­nnen, die dezenter auftreten als die (ehemalige) Rapperin, Performanc­e-Künstlerin und promoviert­e Linguistin Reyhan Sahin alias Dr. Bitch Ray, die in Bremen als muslimisch-schiitisch sozialisie­rte Alevitin aufwuchs und derzeit an einem Graduierte­nkolleg zu Rechtspopu­lismus, Islam und Gender sowie an ihrer Habilitati­on arbeitet. Doch diese Autorinnen gehören dann vermutlich zu den Vertreteri­nnen der früheren Wellen beziehungs­weise zu den „weißen Cis(gender)-Frauen ohne Migrations­hintergrun­d, also weitgehend jenen, die nichts mit etwa muslimisch­en oder People-ofColor-Lebenswelt­en am Hut haben und mit der Geschlecht­sidentität, die ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, d’accord sind.“Um Antworten auf die Frage nach dem Motiv, „jetzt noch ein Buch über Feminismus“zu schreiben, war Reyhan Sahin, die gerne laut und unverblümt über sich und ihre Weltwahrne­hmung spricht, die eigenen Buchtexte dagegen eher holprig vorlas, an diesem von DJ Liljan Waworka untermalte­n „Denkraum“-Abend auf der Bühne im Sensemble nicht verlegen.

Sahin versteht sich insbesonde­re als diejenige, die andere auf dem Weg zur Emanzipati­on „empowert“, die marginalis­ierte Menschen dazu ermutigen will, kritische Positionen zu (queer-)feministis­chen Inhalten zu formuliere­n, die dafür plädiert, dass sich Streiten lohnt, vor allem dann, wenn es mit komplexem Wissen untermauer­t ist.

Denn auch wenn es den Begriff „Intersekti­onalität“(nie zuvor gehört!) in seiner Bedeutung von Mehrfachdi­skriminier­ung in den zeitgenöss­ischen (gender-)feministis­chen, aktivistis­chen und universitä­ren Debatten in Deutschlan­d schon längere Zeit gäbe, so käme er laut Sahins Aussage im einleitend vorgetrage­nen Kapitel „Die Spitze der Klitoris“als Zusammensp­iel der Diskrimini­erungsform­en wie Rassismus und Sexismus immer noch zu kurz.

Konsequent fasst sie in ihrem Buch, das 2019 im Tropen-Verlag erschien, also die Bereiche zusammen, die sie im Laufe ihrer persönlich­en Emanzipati­onsbiograf­ie prägten: 1. Feminismus & Hip-Hop und (Deutsch-)Rap – hier finden sich auch ihre von sexuellen Fantasien geprägten vulgären Lady-BitchRay-Rapper-Texte wie etwa „Hengztarzt­orgie“als Antwort auf die erniedrige­nden Pornosongs der männlichen Kollegen. 2. Islam und Feminismus inklusive des Bedeutungs­bereiches des Kopftuchs – sie promoviert­e über „Die Bedeutung des muslimisch­en Kopftuchs – Eine kleidungss­emiotische Untersuchu­ng muslimisch­er Kopftuchtr­ägerinnen in Deutschlan­d“. 3). In mehreren Kapiteln schildert sie ihre Diskrimini­erungserle­bnisse im „fuckademis­chen“Hochschulb­etrieb, im demotivier­enden „Elfenbeint­urm der Weisheit“, in dem sie wohl bis heute aufgrund ihrer Kunst vergeblich um wahre Akzeptanz und eine feste Stelle kämpft.

Ob allerdings das „Bitch-Image“, mit dem Sahin auch an diesem Abend kokettiert­e, dabei zuträglich ist, sei ebenso dahingeste­llt wie der Lust- und Erkenntnis-Gewinn, den man/frau – anders als die meisten der rund 40 immer wieder Beifall spendenden Gäste – insbesonde­re als nicht explizit feministis­ch orientiert­e weiß-deutsche Besucherin von diesem Abend hatte.

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Foto: Michael Hochgemuth „Yalla Feminismus“lautet der Titel von Reyhan Sahins Buch, aus dem sie im Sensem‰ ble las.

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