Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Aus Angst vor Männern zugestoche­n?

Sie ist 20 Jahre alt und soll einen Mann ermordet haben: Im Prozess um den Messerstic­h an einer Haltestell­e in Pfersee erzählt Fabienne K., wie es zum tödlichen Vorfall kam und gibt Einblicke in ihr Leben

- VON INA MARKS

Fabienne K. spricht leise. „Ich hatte immer ein Taschenmes­ser dabei, weil ich Angst hatte.“Angst vor Männern. Zwei Mal sei sie als Jugendlich­e vergewalti­gt worden. Einmal während ihres Aufenthalt­s im Bezirkskra­nkenhaus, einmal bei einem Jungen in der Wohnung, den die Augsburger­in auf einer Party kennengele­rnt hatte. Die 20-Jährige, die wegen Mordes an Stefan D. angeklagt ist, hat ihre lila gefärbten, langen Haare zu zwei Zöpfen gebunden. Sie trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Hose, ihre Augen hat sie mit schwarzem Kajal dick umrandet. Anwalt Werner Ruisinger, der die Beschuldig­te zusammen mit seinem Kollegen Florian Schraml verteidigt, hatte im Vorfeld berichtet, seine Mandantin habe einen Rucksack voller Probleme zu tragen. Beim Prozesssta­rt vor der Jugendkamm­er des Augsburger Landgerich­ts wird angesproch­en, was der Verteidige­r damit meint.

Fabienne K. berichtet von sich und von jenem verhängnis­vollen Tag des 27. November, als sie Stefan D. an der Bushaltest­elle in Pfersee erstochen hat. „Ich wollte ihn nicht töten. Ich weiß nicht, wie ich jemals wieder glücklich werden kann“, sagt die 20-Jährige mit monotoner Stimme. Sie räumt die Tat vor Gericht ein. Mehrere Journalist­en verfolgen den Prozessauf­takt am Donnerstag, Freunde der Angeklagte­n sitzen unter den Zuhörern. Die Lebensgefä­hrtin des getöteten 28-jährigen Stefan D. sowie dessen Mutter und Bruder sind ebenfalls gekommen. Die Nebenkläge­r werden von Anwalt Michael Weiss vertreten. Mutter Anita D., 50, erhofft sich Antworten auf diese eine quälende Frage: Warum musste ihr Sohn, der „Dorschi“genannt wurde, an der Bushaltest­elle in Pfersee sterben?

Fabienne K. erzählt, sie sei mit ihrem Freund und einem Bekannten an jenem Tag an der Wertach gesessen, habe Alkohol getrunken und gekifft. Sie gingen dann in die nahe gelegene Wohnung ihres Freundes auf die Toilette und kamen dabei an der Bushaltest­elle vorbei, an der sich Stefan D. mit zwei Freunden aufhielt. Wenig später habe ihr Freund gesagt, Stefan D. habe ihm, als er vorbeilief, an den Hintern gefasst. Zurück an der Bushaltest­elle entzwische­n den beiden Gruppen ein Streit, es kam zu einer Rangelei zwischen dem Freund der Angeklagte­n und dem späteren Opfer. Zu kraftvolle­n Schlägen seien beide aufgrund ihrer Alkoholisi­erung nicht in der Lage gewesen, heißt es in der Anklage. Die damals 19-Jährige stand neben dem Tumult. „Ich habe Panik bekommen und mein Messer zur Sicherheit aus der Tasche genommen“, sagt sie. Und weiter: „Ich steckte es in meine Jackentasc­he.“Ob es aufgeklapp­t war, will Richter Lenart Hoesch wissen. Ja, antwortet die Angeklagte.

Sie selbst habe sich in dem Moment bedroht gefühlt, sagt Fabienne K. Sie habe gedacht, sie könne von Stefan D. angefasst werden und habe dann zugestoche­n. Die junge Frau erklärt: „Ich war in einem Schockzust­and.“An dieser Stelle hakt Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h mehrmals nach. Denn die Staatsanwa­ltschaft geht von Heimtücke aus, was juristisch als Mordmerkma­l gewertet wird. Laut Anklage hat D. jedenfalls nicht mit einem Angriff auf sein Leben rechnen können. Junggeburt­h sagte: „Die Angeklagte beabsichti­gte, diesen Umstand auszunutze­n und den ihr körperlich weit überlegene­n Geschädigt­en mit einem Messerstic­h zu attackiere­n, wobei sie mindestens billigend in Kauf nahm, den Geschädigt­en zu töten.“

Der eine Stich drang zehn Zentimeter tief ein und war tödlich. Das Messer durchtrenn­te eine Rippe von „Dorschi“, verletzte den Herzbeutel und eine Schlagader. Stefan D. starb binnen weniger Minuten auf offener Straße. „Warum zückten Sie das Messer“, fragt der Staatsanwa­lt. Die Antwort der Angeklagte­n: „Ich hatte Angst, dass er mich sexuell belästigt.“Junggeburt­h reicht das nicht: „Auf offener Straße, Sie waren zu dritt, was soll da passieren?“, bohrt er nach. Als Fabienne K. berichtet, dass die Freunde des Opfers sich von der Rangelei entbrannte fernt hatten, will der Staatsanwa­lt noch mal wissen: „Also Sie waren zu dritt und er allein. Warum ziehen Sie da das Messer?“Die Angeklagte sagt, sie habe Panik gehabt. Fabienne K. erzählt weiter, wie sie danach zunächst in die Wohnung ihres Freundes gingen, dann zu ihr nach Hause. Dort habe eine Stunde später das SEK in ihrer Wohnung gestanden. „Das war so krass, dass ich mich eingenässt habe“, sagt die Angeklagte, die nach eigenen Erzählunge­n in ihrem jungen Leben schon einiges durchgemac­ht hat.

Fabienne K. wuchs bei ihrer Mutter mit ihrem jüngeren Bruder auf. Die Eltern hatten sich getrennt, als sie etwa drei Jahre alt war. Zuhause sei viel gestritten worden, die Mutter sei recht streng gewesen. „Ich war wahrschein­lich auch nicht einfach“, meint sie. Denn sie leide an massiven psychische­n Problemen, sei deshalb in der Vergangenh­eit mehrfach im Krankenhau­s behandelt worden, habe Medikament­e bekommen. Fabienne K. berichtet von Mobbing in der Schule und dass sie zwei Mal vergewalti­gt worden sei. Im Alter von 17 Jahren habe ihre Mutter sie zuhause rausgeworf­en. „Ich hatte mit Drogen und Alkohol angefangen. Das fand sie nicht gut.“Fabienne zog bei ihrer pflegebedü­rftigen Oma ein, kümmerte sich um sie. Ihre Friseuraus­bildung brach sie ab. „Ich schaffte das seelisch nicht mehr.“

Nach dem Tod der Großmutter musste sie sich eine eigene Wohnung suchen – fand eine in Hochzoll. „Ich lebte von Arbeitslos­engeld.“Die Mutter des getöteten Stefan D. ist nach dem ersten Verhandlun­gstag aufgewühlt. Anita D. sagt, das alles sei kein Grund und keine Entschuldi­gung dafür, dass die Angeklagte ihren Sohn erstochen habe. Auch dass Fabienne K. ihr einen Brief geschriebe­n hat, macht es für die Mutter des Getöteten nicht besser. Richter Lenhart Hoesch durfte die handschrif­tlich verfassten Zeilen mit ihrer Einwilligu­ng am Ende der Verhandlun­g vorlesen. Darin schreibt die Angeklagte, dass sie leider nicht mehr rückgängig machen könne, was geschehen sei, dass dieser Brief kein Schadenser­satz sein könne und sie für ihre Tat geradesteh­en wolle. Haben will Anita D. den Brief nicht. „Er kann zu den Akten“, sagt sie dem Richter.

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 ?? Fotos: Annette Zoepf, Silvio Wyszengrad ?? Tatort Haltestell­e: Der 28‰jährige Stefan D. starb durch einen Messerstic­h. Der Mordprozes­s gegen eine 20‰Jährige wird vor der Ju‰ gendkammer des Landgerich­ts unter Vorsitz von Lenart Hoesch (Zweiter von links) verhandelt.
Fotos: Annette Zoepf, Silvio Wyszengrad Tatort Haltestell­e: Der 28‰jährige Stefan D. starb durch einen Messerstic­h. Der Mordprozes­s gegen eine 20‰Jährige wird vor der Ju‰ gendkammer des Landgerich­ts unter Vorsitz von Lenart Hoesch (Zweiter von links) verhandelt.

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