Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Lange Wartelisten für Schwimmkurse
Die geschlossenen Hallenbäder haben Folgen für den Schwimmunterricht: Vor allem kleine Kinder haben bei dem wichtigen Unterricht das Nachsehen. Die Anmeldelisten für Kurse sind im Landkreis Augsburg lang
Landkreis Augsburg Das Telefon klingelt ohne große Pausen, die Mailbox ist überlastet. Die Schwimmschule Vorgeitz, die seit Jahrzehnten Unterricht im Gartenhallenbad Stadtbergen gibt, kann sich vor Anfragen von Eltern kaum retten. Wegen geschlossener Bäder gibt es einen Anmeldestau. Kommunen und Schulen lassen sich inzwischen neue Wege einfallen, um kleine Kinder fürs Wasser fit zu machen.
Die Deutsche Lebens-RettungsGesellschaft (DLRG) warnt seit Jahren, dass sich Kinder in Deutschland immer schlechter über Wasser halten können. Die Corona-Pandemie hat dieses Problem weiter verschärft: Bäder waren geschlossen, die Kurse fielen aus. Auch im Schulsport konnte kein Unterricht stattfinden. „Seit Jahren lernen sonst im Gartenhallenbad Hunderte von Kursteilnehmern das Schwimmen“, weiß der Stadtberger Stadtdirektor Holger Klug.
Grundsätzlich bietet die Schwimmschule Vorgeitz, die von Kindern aus dem ganzen Landkreis besucht wird, wieder ein reguläres Schwimmschulangebot mit verkleinerten Gruppen an. In diesen Zeiten steht die Halle der Schwimmschule aktuell alleine zur Verfügung. „Ein öffentlicher Badebetrieb findet in den Schwimmschulzeiten nur im Außenbereich unseres Bades statt. Ansonsten betreiben wir als Stadt unser Bad in festen Zeitfenstern getrennt für 45 Gäste im Hallen- oder im Außenbereich. Die Termine werden online vergeben“, erklärt Klug.
Für den Sommer hat die Stadt der Schwimmschule Vorgeitz nun einen Ferienschwimmkurs genehmigt. Aufgrund der Hygieneschutzmaßnahmen finden die Kurse aber nach wie vor in eingeschränkter Gruppengröße statt. „Die Warteliste wird immer länger. Aktuell ist mit einer Wartezeit von bis zu sechs Monaten zu rechnen“, sagt Stefan Vorgeitz. „Wir schaffen es momentan leider nicht, alle telefonischen
Anfragen zu beantworten. Deshalb haben wir auf der Homepage schon eine Onlinewarteliste erstellt.“Im Ferienintensivkurs haben 68 Kinder die Möglichkeit, ihr Seepferdchen zu machen. Bereits nach wenigen Stunden waren die Kurse fast restlos ausgebucht.
Auch Max Markmiller, Vorsitzender der Kreiswasserwacht, weist auf die Lücken hin, die das CoronaJahr hinterlassen hat: „Wir konnten im vergangenen Jahr keinen Anfängerkurs abschließen.“Das müsse nun nachgeholt werden. Doch einige Ortsgruppen würden immer noch auf Wasserflächen warten. Erst im Herbst werde die Wasserwacht neue Kurse ausschreiben. „Wir können die vielen Anfragen kaum bewältigen“, sagt Markmiller. Es werde wohl noch zwei Jahre dauern, um den Bedarf abzubauen. Denn derzeit stünden weder die
Wasserflächen noch Personal zur Verfügung, um zusätzliche Kurse anzubieten.
Für die größeren Kinder sieht die Leiterin der Grundschule Westendorf, Michaela Leinweber, kein allzu großes Problem. Die Dritt- und Viertklässler bekamen zwar im Winter keinen Unterricht im Bad der Meitinger Realschule, dafür gibt es jetzt Ersatzangebote im Freibad.
Mit Bussen wurden alle Westendorfer Schüler zum großen Schwimmtag gefahren. Leinweber, die selbst Schwimmunterricht gibt, findet dies besonders wichtig und möchte gerne weitere Stunden im Freien anbieten. „Das regelmäßige Üben ist wichtig und im Freibad kann man gut das Tauchen und Springen trainieren.“Defizite befürchtet Leinweber bei den Sechs- und Siebenjährigen, die sonst in Schwimmschulen Grundkenntnisse lernen. Hier müssten die Eltern schauen, dass die Kinder einen Platz in einem Kurs bekommen. Da aber niemand wisse, was der Herbst bringen wird und ob Bäder wieder öffnen dürfen, könnte das noch schwieriger werden.
Die Bayerische Regierung hat nun beschlossen, dass Erstklässler und Vorschulkinder nach den Ferien einen 50-Euro-Gutschein zum Erwerb des Frühschwimmerabzeichens „Seepferdchen“bekommen. Dadurch sollen die wegen der Pandemie ausgefallenen Schwimmkurse kompensiert und die Schwimmfähigkeit der Kinder unterstützt werden. „Was sollen die Eltern mit dem finanziellen Zuschuss anfangen, wenn es aktuell keine Möglichkeit gibt, einen Platz in einem Schwimmkurs zu erhalten? Sinnvoller wäre es unserer Meinung nach gewesen, Bäder und Kommunen, die ihre Schwimmhalle für Kurse zur Verfügung stellen, finanziell zu unterstützen“, sagt der Stadtberger Schwimmmeister Vorgeitz.
Wie schwierig die Lage ist, zeigt auch eine Kampagne des Kultusministeriums und der Wasserwacht Bayern. Unter dem Motto „Bayern schwimmt“haben Ehrenamtliche Videos erstellt, die Eltern und Lehrkräften helfen sollen, Kindern das Brustschwimmen beizubringen. Experten geben Tipps zum Beinschlag, erklären Baderegeln oder das Verhalten im Notfall. Die Clips können auf der Homepage oder dem Youtube-Kanal des BRK angesehen werden.
Die Bayerische Regierung hat Zuschüsse beschlossen
Diese Nachrichten sind alarmierend: Viele Kinder haben wegen geschlossener Bäder und ausgefallenen Schwimmunterrichts in den vergangenen eineinhalb Jahren nicht schwimmen gelernt. Und auch jetzt haben sie kaum Chancen, das Verpasste nachzuholen.
Das Angebot des Freistaats, Kindern kostenlosen Schwimmunterricht in den Ferien anzubieten, ist gut gemeint. Mehr aber auch nicht. Denn die Kurse sind überfüllt, die Wartelisten lang. Die Chancen, einen Platz zu ergattern, sind verschwindend gering. Wie so oft in dieser Pandemiezeit sind erneut die Kinder die Leidtragenden. Den Eltern bleibt letztlich – wie beim Homeschooling – wieder nur die Eigeninitiative, um das Defizit der Kinder abzufedern. Oft ins Freibad gehen und üben, üben, üben – bis hoffentlich der Name des Kindes in der Warteliste ganz nach oben rutscht. Denn Schwimmen ist (über)lebenswichtig.
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