Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ex-Frau im Wahn getötet: So läuft die Therapie ab
Wegen ihrer psychischen Störungen müssen zwei Männer nach Verbrechen in den sogenannten Maßregelvollzug. Wie der Alltag dort aussieht und wie er sich vom Gefängnis unterscheidet, erklärt der Ärztliche Direktor der Klinik
Graben/Gersthofen/Stadtbergen Der 69-jährige Mann, der im Wahn seine Frau in Graben bestialisch getötet hat und sich dann in Gersthofen umbringen wollte, wurde vom Landgericht Augsburg für schuldunfähig erklärt. Er muss jetzt ebenso wie ein 23-jähriger Stadtberger, der seine Großmutter mit einer Bettdecke ersticken wollte, in den Maßregelvollzug einer psychiatrischen Klinik. Aber was passiert dort? Und wie unterscheidet sich der Aufenthalt in der Klinik von einer Freiheitsstrafe im Gefängnis?
„Oberste Priorität hat, dass die Patienten wieder in ein Umfeld entlassen werden können, in dem sie nicht mehr rück- oder straffällig werden“, sagt Norbert Ormanns, der Ärztliche Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Kaufbeuren. Sie ist mit über 200 Plätzen die größte Einrichtung des Maßregelvollzugs in Schwaben. Seit 2018 ist sie auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses in einem modernen Neubau untergebracht. Derzeit werden in der forensischen Psychiatrie rund 230 Menschen behandelt. Etwa zwei
Drittel der Patienten leiden an einer Suchterkrankung. Wegen der Corona-Pandemie hat Ormanns keine Steigerung der Patientenzahlen im Maßregelvollzug festgestellt.
● Patienten Wer in den Maßregelvollzug kommt, entscheidet das Gericht. Es ordnet eine Unterbringung an. Grundvoraussetzung ist eine Straftat, die in Verbindung mit einer psychischen Erkrankung steht. Das kann beispielsweise eine Psychose, eine Persönlichkeitsstörung oder eine Suchterkrankung sein. Wann ein Patient wieder in die Freiheit kommt, entscheidet ebenfalls das Gericht. Dazu geben die Ärzte Stellungnahmen über den Therapieverlauf ab. Oft kommen auch externe Gutachter in die Klinik, die dann beurteilen sollen, ob ein Patient entlassen wird oder nicht.
● Therapie Die Behandlung im Maßregelvollzug unterscheidet sich nicht wesentlich von der Akutpsychiatrie. „Wir arbeiten mit den gleichen Standards, die in der allgemeinen Psychiatrie vorgegeben sind“, sagt Ormanns. Allerdings sei die Behandlung umfassender – schließlich sind die Patienten länger im Vollzug. Im Schnitt sind es fünf bis sechs Jahre. Im Zweifel könne es auch länger sein. Die Patienten haben ein komplettes Wochenprogramm mit Einzel- und Gruppengesprächen. Es gibt zum Beispiel eine Sporttherapie. Auch schulische Fortbildungen werden angeboten. Wer in der Lage dazu ist, kann einen Schulabschluss erwerben – bis hin zum Abitur. Auch eine Ausbildung in der Schreiner-Therapiewerkstatt ist möglich. Ormanns: „Je besser ein Patient qualifiziert ist, desto höher sind später die Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt. Und das vermindert die Rückfälligkeit.“Ältere Patienten werden entsprechend ihren Möglichkeiten betreut. „Das TherapieAngebot ist bei uns sehr individuell“, sagt der Ärztliche Direktor.
Entsprechend dem therapeutischen Fortschritt gibt es Lockerungen. Das können Ausgänge innerhalb des gesicherten Bereichs sein. Oder außerhalb mit Begleitung. „Das sind viele kleine Schritte. Je mehr sich ein Patient bewährt, desto größer werden die Freiheiten.“Am Ende der Therapie sei ein Patient mehr an dem Ort, an den er entlassen werden soll. Nach der Entlassung beginnt anders als in einem Gefängnis die sogenannte Führungsaufsicht. Das heißt: Ein Patient ist an die forensische Nachsorgeambulanz gebunden. Die Betreuung dauert in der Regel weitere drei bis fünf Jahre.
● Sicherheit Wie ein Gefängnis sieht die Forensische Klinik nicht aus. Hier sucht man Stacheldraht und Gitter an den Fenstern vergeblich. „Wir sind ein psychiatrisches Krankenhaus und keine JVA. Aber die Sicherungsmöglichkeiten sind ähnlich wie in einer JVA“, erklärt Ormanns. Die Fenster seien ausbruchsicher. Seit dem neuen Erweiterungsbau gibt es nur noch einen Eingangsbereich und eine Sicherheitszentrale. Das Projekt war eines der größten Krankenhaus-Bauvorhaben der vergangenen Jahre im Allgäu und hat 32,7 Millionen Euro gekostet.
● Rückfallquote Bei Suchtkranken ist sie laut Ormanns relativ hoch und bewege sich bei 30 bis 50 Prozent. Bei den anderen Patienten liege sie unter 20 Prozent.