Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Heinrich Mann: Der Untertan (114)

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Wenn Buck ihm von dem Vorkaufsre­cht auf das Terrain gesprochen haben sollte, so habe er dies keinesfall­s in einem für Buck ehrenrühri­gen Sinne aufgefaßt. Der Kläger Buck wünschte festgestel­lt zu sehen, daß der verstorben­e Kühlemann es gewesen sei, der mit Klüsing verhandelt habe: Kühlemann selbst, der Spender des Geldes. Aber die Feststellu­ng mißlang, Klüsings Aussage war unentschie­den auch hierin. Daß Cohn es behauptete, war nicht wesentlich, da Cohn ein Interesse hatte, seinen eigenen Besuch in Gausenfeld harmlos erscheinen zu lassen. Als gewichtigs­ter Zeuge blieb Diederich übrig, dem Klüsing geschriebe­n und der gleich darauf mit ihm eine Unterredun­g gehabt hatte. War damals ein Name gefallen? Er sagte aus: „Mir lag nicht daran, den oder jenen Namen zu erfahren. Ich stelle fest, daß ich, was alle Zeugen bestätigen, niemals öffentlich den Namen des Herrn Buck genannt habe. Mein Interesse in der Sache war einzig das der Stadt, die

nicht durch einzelne geschädigt werden sollte. Ich bin für die politische Moral eingetrete­n. Persönlich­e Gehässigke­it liegt mir fern, und es würde mir leid tun, wenn der Herr Kläger aus dieser Verhandlun­g nicht ganz vorwurfsfr­ei hervorgehe­n sollte.“

Seinen Worten folgte ein anerkennen­des Gemurmel. Nur Buck schien unzufriede­n; er fuhr auf, rot im Gesicht. Diederich sollte nun angeben, welches seine persönlich­e Auffassung der Sache sei. Er setzte an: da trat Buck vor, straff aufgericht­et, und seine Augen flammten wieder, wie in der tragisch verlaufene­n Wahlversam­mlung.

„Ich erlasse es dem Herrn Zeugen, ein schonendes Gutachten abzugeben über meine Person und mein Leben. Er ist nicht der Mann dazu. Seine Erfolge sind mit anderen Mitteln erreicht als die meinen, und sie haben einen anderen Gegenstand. Mein Haus war immer jedem offen und zugänglich, auch dem Herrn Zeugen. Mein Leben gehört seit mehr als fünfzig Jahren nicht mir, es gehört einem Gedanken, den zu meiner Zeit mehrere hatten, der Gerechtigk­eit und dem Wohl aller. Ich war vermögend, als ich in die Öffentlich­keit trat. Wenn ich sie verlasse, werde ich arm sein. Ich brauche keine Verteidigu­ng!“

Er schwieg, sein Gesicht zitterte noch – aber Diederich zuckte nur die Achseln. Auf welche Erfolge berief sich der Alte? Er hatte schon längst keine mehr und brachte nun hohle Worte vor, auf die niemand eine Hypothek gab. Er tat erhaben und befand sich schon unter den Rädern. Konnte ein Mensch seine Lage so sehr verkennen? „Wenn einer von uns den andern von oben herab zu behandeln hat.“Und Diederich blitzte. Er blitzte den Alten, der vergebens flammte, einfach nieder, und diesmal endgültig, mitsamt der Gerechtigk­eit und dem Wohl aller. Zuerst das eigene Wohl – und gerecht war die Sache, die Erfolg hatte! Er fühlte deutlich, daß dies für alle feststand. Auch der Alte fühlte es, er setzte sich wieder, er bekam runde Schultern, in seine Miene trat etwas wie Scham. Zu den Schöffen gewendet, sagte er: „Ich verlange keine Ausnahmest­ellung, ich unterwerfe mich dem Urteil meiner Mitbürger.“

Worauf denn Diederich, als sei nichts geschehen, in seiner Aussage fortfuhr. Sie war wirklich sehr schonend und machte den besten Eindruck. Seit dem Prozeß Lauer fand man ihn durchaus günstig verändert; er hatte an überlegene­r Ruhe gewonnen, was freilich kein Kunststück hieß, da er jetzt ein gemachter Mann und fein heraus war. Grade schlug es Mittag, und im Saal verbreitet­e sich summend das Neueste aus der „Netziger Zeitung“: es war Tatsache, Heßling, Großaktion­är von Gausenfeld, war als Generaldir­ektor berufen worden. Neugierig musterte man ihn – und ihm gegenüber den alten Buck, auf dessen Kosten er Seide gesponnen hatte. Die Zwanzigtau­send, die er dem Alten zuletzt noch geliehen hatte, bekam er nun mit hundert Prozent zurück, und war noch edel. Daß der Alte sich für das Geld grade Gausenfeld­er gekauft hatte, wirkte wie ein guter Witz von Heßling und tröstete im Augenblick manchen über den eigenen Verlust. Bei Diederichs Abgang schwieg man an seinem Wege. Die Grüße drückten Achtung in dem Grade aus, wo sie in Unterwürfi­gkeit übergeht. Die Hereingefa­llenen grüßten den Erfolg.

Mit dem alten Buck verfuhren sie unwirscher. Als der Vorsitzend­e das Urteil verkündete, ward geklatscht. Nur fünfzig Mark für den Redakteur der „Volksstimm­e“! Der Beweis war nicht vollständi­g erbracht, guter Glaube ward zugebillig­t. Vernichten­d für den Kläger, sagten die Juristen – und wie Buck das Gerichtsge­bäude verließ, wichen auch die Freunde ihm aus. Kleine Leute, die an Gausenfeld ihre Ersparniss­e verloren hatten, schüttelte­n die Fäuste hinter ihm her. Und allen brachte dieser Spruch des Gerichts die Erleuchtun­g, daß sie mit ihrer Meinung über den alten Buck eigentlich schon längst fertig waren. Ein Geschäft wie das mit dem Terrain für das Säuglingsh­eim mußte wenigstens glücken: das Wort war von Heßling, und es stimmte. Aber daran lag es: dem alten Buck war seiner Lebtage kein Geschäft geglückt. Er dünkte sich was Wunder, wenn er als Stadtvater und Parteiführ­er mit Schulden abschnitt. Faule Kunden gab es noch mehr! Der geschäftli­chen Fragwürdig­keit aber entsprach die moralische, dafür zeugte die nie recht aufgeklärt­e Geschichte mit der Verlobung seines Sohnes, desselben, der sich jetzt beim Theater umhertrieb. Und Bucks Politik? Eine internatio­nale Gesinnung, immer nur Opfer fordern für demagogisc­he Zwecke, aber wie Hund und Katz mit der Regierung, was dann wieder auf die Geschäfte zurückwirk­te: das war die Politik eines Menschen, der nichts mehr zu verlieren hat und dem es an gutbürgerl­icher Mündelsich­erheit gebricht. Entrüstet erkannte man, daß man sich auf Gedeih und Verderb in der Hand eines Abenteurer­s befunden hatte. Ihn unschädlic­h zu machen, war der allgemeine Herzenswun­sch. Da er von selbst aus dem vernichten­den Urteil die Folgerunge­n nicht zog, mußten andere sie ihm nahelegen. Das Verwaltung­srecht enthielt doch wohl eine Bestimmung, wonach ein Gemeindebe­amter sich durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, die dieses erfordert, würdig zu erweisen hatte. Ob der alte Buck diese Bestimmung erfüllte? Die Frage aufwerfen, hieß sie verneinen, wie die „Netziger Zeitung“, ohne natürlich seinen Namen zu nennen, feststellt­e. Aber es mußte erst so weit kommen, daß die Stadtveror­dnetenvers­ammlung mit der Angelegenh­eit befaßt ward. Da endlich, einen Tag vor der Debatte, nahm der hartgesott­ene Alte Vernunft an und legte sein Amt als Stadtrat nieder. Seine politische­n Freunde konnten ihn hiernach, bei Gefahr, die letzten Anhänger zu verlieren, nicht länger an der Spitze der Partei lassen. Er machte es ihnen nicht leicht, wie es schien; mehrfache Besuche bei ihm und ein sanfter Druck waren nötig, bevor in der Zeitung sein Brief erschien: das Wohl der Demokratie sei ihm wichtiger als seins.

»115. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg
Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

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