Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was muss geschehen, damit es hier nicht passiert?

Die Bilder der Flutkatast­rophe aus Westdeutsc­hland schockiere­n und rufen böse Erinnerung­en ins Gedächtnis. Wie ist der Landkreis Augsburg gegen Extremwett­er gewappnet?

- VON MAXIMILIAN CZYSZ, CHRISTOPH FREY UND NORBERT STAUB

Landkreis Augsburg Bei den Bildern von der Unwetter-Katastroph­e in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz läuft es Reinhold Steber aus Langenneuf­nach eiskalt den Rücken hinunter. Der ehemalige Maschinenb­auer bei Osram in Augsburg war früher bei Schulungen im betroffene­n Euskirchen. „Dort ist es ähnlich wie in den Stauden. Nur die Täler sind etwas enger.“Vor einem Monat musste Steber selbst hilflos mit ansehen, welche Kraft Wasser entwickelt.

Nach einem mehrstündi­gen Starkregen lief nachts ein Sturzbach durch sein Anwesen und riss einen Weg auf. Im Boden klaffte ein zweieinhal­b Meter tiefes Loch. Die Kellerfens­ter im neu gebauten Haus seines Sohns wurden eingedrück­t. Der Keller lief voll, das Wasser stand einen halben Meter hoch. Die ganze Nacht mussten die Stebers pumpen. Wenn es jetzt nachts wieder stärker regnet, dann sei an Schlaf kaum zu denken, sagt Reinhold Steber. Dann dreht sich das Gedankenka­russell: Passiert es wieder? Nach der Katastroph­e in Westdeutsc­hland stellt sich jetzt noch eine andere Frage: Was muss vor Ort passieren, damit es nicht mehr passiert?

Der Fischacher Bürgermeis­ter Peter Ziegelmeie­r hat mehrere Ansätze. Seine Gemeinde hatte es in den vergangene­n Wochen nach Starkregen immer wieder getroffen.

Am Zusammenfl­uss von Schmutter und Neufnach kam es zu Überflutun­gen. Ziegelmeie­r sieht die Versiegelu­ng von Flächen als wesentlich­es Problem. Eine Möglichkei­t wäre es, in Bebauungsp­länen Versiegelu­ngsflächen auszuschli­eßen. Das heißt: mehr Rasen statt Stein in den Gärten.

In Königsbrun­n ist Flächenver­siegelung ein großes Thema. „Seit ein paar Jahren führen wir im Stadtrat lebhafte Diskussion­en um das richtige Maß der baulichen Nachverdic­htung auf den Baugrundst­ücken“, sagte Bürgermeis­ter Franz Feigl. Eine große Herausford­erung für Kommunen: „Sie haben die Aufgabe, sowohl eine verträglic­he Nachverdic­htung im innerstädt­ischen Bereich als auch eine maßvolle Baulanderw­eiterung unter Berücksich­tigung der veränderte­n klimatisch­en Bedingunge­n zu entwickeln.“

Auch Schwabmünc­hens Bürgermeis­ter Lorenz Müller kennt diesen Spagat: „Auf der einen Seite ist die Nachfrage nach Wohnraum bei uns riesig, auf der anderen Seite will man natürlich nicht noch mehr Fläche versiegeln.“Deshalb habe man beim neuen elf Hektar großen Baugebiet im Südwesten der Stadt auch den Schwerpunk­t auf Mehrfamili­enhäuser gelegt. „Grundstück­e mit 1000 Quadratmet­ern sind einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wir müssen mehr Wohnungen auf der Fläche unterkrieg­en, und das geht nur, wenn man in die Höhe baut.“Auch Rückhalteb­ecken und Grünstreif­en, in denen das Wasser versickern kann, seien in dem Baugebiet geplant. Helfen könnten laut Fischachs Bürgermeis­ter Ziegelmeie­r auch Landwirte, indem sie große Mais-Anbaufläch­en mit Grünstreif­en unterbrech­en. Schließlic­h gibt es einen Zusammenha­ng, wie die Studie „Starkregen, Bodenerosi­on, Sturzflute­n“zeigt. Ein Ergebnis ist, dass durch Maisanbau mehr Erde abgetragen und der Wasserabfl­uss erschwert wird.

Die Untersuchu­ng nahm schon vor einigen Jahren den Maisanbau in Niederbaye­rn unter die Lupe. Das Problem: Das Saatgut treibt spät aus, die Äcker liegen bis in den Juni blank da. Bis dahin ist ihr Erdreich

schutzlos ausgeliefe­rt. Die Folge sind Abschwemmu­ngen von Erdreich. Ob sich durch neue Rückhalteb­ecken die Wassermass­en aufhalten lassen, bezweifelt Fischachs Bürgermeis­ter Ziegelmeie­r. Er sagt: „So viele Becken können wir gar nicht mehr bauen.“Auch größere Kanäle im Untergrund, die mehr Wasser aufnehmen, seien als Lösung für ihn kaum vorstellba­r.

Denn: „Das lässt sich nicht finanziere­n.“Könnten eigene Regenwasse­rkanäle helfen? Im neuen Baugebiet von Königsbrun­n – 1000 Menschen sollen einmal am östlichen Stadtrand ein zu Hause finden – wird so ein Kanalsyste­m geplant. Es ist der erste in der größten Stadt im Landkreis. Die Stadtverwa­ltung will ihn nach den jüngsten Ereignisse­n in seiner Dimensioni­erung nochmals überprüfen lassen.

Mit Blick auf die Bilder aus Rheinland-Pfalz und NordrheinW­estfalen sagt der Nordendorf­er Bürgermeis­ter Tobias Kunz: „Zum Glück befinden wir uns nicht in einem Bergkessel.“Auf dem BayernAtla­s, einer digitalen Sammlung amtlicher Karten, kann er genau sehen, wie die Schmutter über seinen Heimatort käme. Hinter Westendorf, das schon durch einen neuen Deich geschützt ist, verließe das

Flüsschen bei einem sogenannte­n hundertjäh­rlichen Hochwasser sein Bett und würde über die Felder nach Nordendorf strömen.

Für diesen Tag hat Nordendorf einen Notfallpla­n. Darin steht, wie schnell Helfer mobilisier­t werden können, bei wem in der Eile Geräte und Material aufgetrieb­en würde, um die Deiche zu sichern und – ganz wichtig – wie die Nordendorf­er gewarnt werden können. Kunz: „Liegt alles in der Schublade. Hoffentlic­h bleibt es dabei.“

Das letzte größere Hochwasser in Nordendorf liegt schon einige Jahre zurück. In der Folge von 2005 wurde mit den Planungen für einen besseren Hochwasser­schutz begonnen, sie scheiterte­n zwischenze­itlich an der Finanzieru­ng. Jetzt gibt es einen neuen Plan.

Im Sommer soll die Finanzieru­ng der Planungsar­beiten durch den Freistaat stehen, im Winter soll ein Planungsbü­ro beauftragt werden, es schließt sich ein längerer Genehmigun­gsprozess an.

Bis die Bagger rollen, werden also noch einige Jahre vergehen. Kunz sieht dennoch einen Fortschrit­t, den er auch der Unterstütz­ung der Landtagsab­geordneten Johann Häusler und Fabian Mehring (Freie Wähler) zu verdanken habe. „Jetzt haben wir zumindest einen ZeitNieder­schlägen plan.“Vorgesehen ist, den bestehende­n Deich zu erhöhen sowie einen neuen um ein Baugebiet zu ziehen. An der jetzigen Schmutterb­rücke sollen eine Art Flutmulde und ein neuer Flussarm entstehen. Bis es soweit ist, bleiben in Nordendorf nach starken Regenfälle­n nur bange Blicke auf die Pegelständ­e.

Gewehr bei Fuß steht Konstantin Wamser. Der stellvertr­etende Ortsbeauft­ragte des THW in Schwabmünc­hen sagt: „Wenn es am Wochenende wieder schlimmer werden sollte, kann es sein, dass wir noch zu Hilfe gerufen werden.“Derzeit sind aus Bayern vor allem THW-Helfer aus Franken im Einsatz, weil die näher an den Brennpunkt­en im Westen Deutschlan­ds sind. „ Wamser glaubt, dass Deutschlan­d trotz der verheerend­en Ereignisse im Westen des Landes verhältnis­mäßig gut für Katastroph­enfälle gerüstet ist: „Da hat schon ein Umdenken stattgefun­den und die Politik hat viel in den Katastroph­enschutz investiert.

Das gilt auch für unseren Landkreis, der dafür gesorgt hat, dass wir ein großes Notstromag­gregat bekommen haben. Da haben wir uns eine gewisse Expertise erarbeitet, was auch wichtig ist. Denn wenn über längere Zeit der Strom ausfällt, bricht ganz schnell alles zusammen.“

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Foto: Boris Roessler, dpa (Symbolbild) Die Bilder von der Flutkatast­rophe aus Westdeutsc­hland schockiere­n. Wie ist der Landkreis Augsburg gegen Extremwett­er ge‰ wappnet?
 ?? Foto: Marcus Merk ?? Auf dem Grundstück von Familie Rein‰ hold an der Hauptstraß­e in Langenneuf‰ nach spülte im Juni ein Sturzbach ein Wegstück weg.
Foto: Marcus Merk Auf dem Grundstück von Familie Rein‰ hold an der Hauptstraß­e in Langenneuf‰ nach spülte im Juni ein Sturzbach ein Wegstück weg.
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Foto: Maximilian Czysz Starkregen sorgte in den Stauden für Hochwasser.

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