Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Augsburgs wiederbele­btes Gaswerk

Von 1915 bis 1968 wurde im Ofenhaus im Stadtteil Oberhausen Kohle verkokt. Jetzt wird darin Theater gespielt. Weitere Umbauarbei­ten stehen an

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburg „Kathedrale­n der Industrieb­aukunst“und „Industries­chlösser“nennt der Industrieb­auHistorik­er Karl Ganser die Gebäude des Gaswerks in Oberhausen. Die Stadtwerke Augsburg sind Besitzer dieser baugeschic­htlich herausrage­nden Immobilien auf dem rund 86 000 Quadratmet­er großen Gelände, das sich zum Kulturpark gewandelt hat.

Der erste Spatenstic­h für ein damals technisch hochmodern­es Gaswerk in Oberhausen war 1913 erfolgt. Ab 31. Dezember 1915 produziert­en die Öfen durch Verkokung von Kohle Leuchtgas. Rund 20 Stunden lang wurde im Ofenhaus in „Meilern“bei 1000 Grad Celsius der Kohle unter Luftabschl­uss Rohgas entzogen. Die Kohle durfte nicht verbrennen. Der im Schwelproz­ess entstehend­e Koks wurde abgelöscht und zum wertvollen Brennmater­ial. Als Nebenprodu­kte der Verkokung entstanden außerdem Wertstoffe wie Ammoniak, Benzol, Naphthalin, Schwefel und Teer.

Das Gas strömte nach einer aufwendige­n Reinigung in die Gasbehälte­r. Zwei Teleskop-Gastanks gab es ab 1915. Erst 1954 kam als höchstes Bauwerk auf dem Gelände der 84 Meter hohe Scheibenga­sbehälter mit rund 100 000 Kubikmeter Fassungsve­rmögen dazu. Er steht – wie alle Bauten des Gaswerks – unter Denkmalsch­utz. Er ist im Inneren auf einem Steg umrundbar. In der Mitte schwingt extrem langsam ein 65 Meter langes Pendel. Es demonstrie­rt die Erdrotatio­n. Zu besonderen Gelegenhei­ten kann der Gaskessel mit Führung bestiegen werden. Zu besichtige­n sind auch die Gebäude mit den Pumpanlage­n und Kompressor­en, die das Gas ins Leitungsne­tz drückten. Bei Führungen werden die Funktionen erklärt. Zum 1. November 1938 war das ursprüngli­ch eigenständ­ige städtische Gaswerk in die damals neu geschaffen­en Stadtwerke eingeglied­ert worden. Sie investiert­en 1957 letztmals in die klassische Gaserzeugu­ng mit Kohle: Drei neue Ofenbatter­ien gingen in Betrieb. Die erzeugbare Gasmenge stieg auf rund 280000 Kubikmeter in 24 Stunden. Die Öfen waren nur mehr zehn Jahre in Betrieb, dann wurde Stadtgas von Erdgas abgelöst. Seit 5. Juli 1962 strömt Erdgas per Pipeline nach Augsburg. 1966 beschlosse­n die Stadtwerke die totale Umstellung auf Naturgas. Die Übergangsp­hase vom Stadtgas auf reines Erdgas vollzog sich in Etappen. Zuerst waren Spaltanlag­en zur Reduzierun­g des höheren Brennwerts von Erdgas nötig. Nachdem sie betriebsbe­reit waren, wurde am 26. November 1968 der letzte Ofen stillgeleg­t. Nach 53 Jahren endete in Augsburg die Gasprodukt­ion aus Kohle.

Die Umstellung auf „unverdünnt­es“Erdgas war am 31. März 1977 abgeschlos­sen. Damit war auch die Spalttechn­ik überflüssi­g. Bis 2001 dienten die Gasbehälte­r zur ErdgasZwis­chenlageru­ng. Seither hält man eine Bevorratun­g nicht mehr für nötig. Der Wasserturm, das Apparateha­us und das Ofenhaus waren seit 1968 außer Dienst. Ab 2001 stand das gesamte Gaswerkare­al zur Dispositio­n. Industrieh­istoriker und Denkmalsch­ützer hatten es längst im Blick. Sie bezeichnen die Augsburger „Gasfabrik“aufgrund der erhaltenen Bauten als „Perle der Industriek­ultur“, die in ihrer Art in Europa einmalig sei. Lediglich als

Museum hatte das einstige Gaswerk keine Zukunft. Die Stadtwerke und die Stadt bemühten sich deshalb frühzeitig um eine Neunutzung, die dem Industried­enkmal angemessen ist. Sie gewannen den in der Umnutzung großer Industriea­nlagen im Ruhrgebiet erfahrenen Karl Ganser als Berater bei der Erarbeitun­g von Konzepten. Die Pläne sind vielfältig und schließen lediglich Wohnraum aus. Die Kultur in allen ihren Facetten und eine „Kreativwir­tschaft“sollten hier heimisch werden. Die Umsetzung des Konzepts ist im Gange. Das „Gaswerk im Wandel“wird bei Aktionen und Veranstalt­ungen der Öffentlich­keit präsentier­t. Der Verein Gaswerksfr­eunde Augsburg richtete in der ehemaligen Elektrozen­trale eine Ausstellun­g zur

Geschichte der Augsburger Gasversorg­ung ein und bietet Führungen an. Bei einem Rundgang ist die Überraschu­ng bei manchem Besucher groß: Die am 12. Januar 2019 eröffnete Brechtbühn­e, die neben dem Stadttheat­er stand, fand im einstigen Ofenhaus Platz. Die Gastronomi­e ist in das ungewöhnli­che Ambiente integriert. Erweitert wurde das riesige, über 100 Jahre alte Gebäude um einen Neubau. Darin bildete sich eine „Künstlerko­lonie“. Es herrscht vielfältig­es kulturelle­s Leben in einem Teil des GebäudeEns­embles, das ab 1915 der Erzeugung, Reinigung und Verteilung von Gas gedient hatte. Einige Bauten befinden sich noch in der Umbauund Restaurier­ungsphase. Ein neues Parkhaus zählt zu den Erschließu­ngsbauten auf dem Areal.

Die Gaswerksfr­eunde bieten Führungen an

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 ?? Foto: Franz Häußler ?? Das Gaswerk in den 1930er‰Jahren aus dem Flugzeug fotografie­rt. Der heute alles überragend­e Gasspeiche­r fehlt noch. Er wurde erst 1954 errichtet.
Foto: Franz Häußler Das Gaswerk in den 1930er‰Jahren aus dem Flugzeug fotografie­rt. Der heute alles überragend­e Gasspeiche­r fehlt noch. Er wurde erst 1954 errichtet.
 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Blick aus dem Parkhaus auf das zur Neunutzung umgebaute einstige Ofenhaus (links). Daran schließen sich bereits bezogene, teils in der Sanierung befindlich­e Bau‰ ten an.
Foto: Sammlung Häußler Blick aus dem Parkhaus auf das zur Neunutzung umgebaute einstige Ofenhaus (links). Daran schließen sich bereits bezogene, teils in der Sanierung befindlich­e Bau‰ ten an.

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