Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wenn der Verteidiger die Dolmetscherin rügt
In einem Erpressungsfall mit einem Nacktfoto droht das Verfahren zu platzen. Dann findet das Gericht eine Lösung
Wenn Angeklagte oder Zeugen der deutschen Sprache nicht mächtig sind, holt das Gericht einen Dolmetscher zu Hilfe. Weil es neben den geläufigen Fremdsprachen Englisch, Französisch, Türkisch oder Russisch auch viele seltene Sprachen und Dialekte gibt, können Richter beispielsweise aus einer bundesweiten Justizdatenbank unter mehr als 25.000 Dolmetschern denjenigen Übersetzer ordern, der zum Beispiel Berberisch (Algerien), Hindi (Indien), Davi und Paschtu (Afghanistan) oder eine afrikanische BantuSprache beherrscht. Aber: Übersetzt der Dolmetscher tatsächlich „treu und gewissenhaft“, wie er zuvor beeidet hat, also Wort für Wort, was für den Prozessverlauf ja entscheidend sein kann? Das ist nicht immer klar, wie ein Fall zeigt, den Amtsrichterin Andrea Hobert zu verhandeln hatte.
Ein 40-jähriger Rumäne ist der Erpressung angeklagt. Er soll seine Freundin dazu genötigt haben, ihm Geld in sein Heimatland zu überweisen – einmal 200 Euro und dann noch einmal 2000 Euro. Andernfalls werde er sie nicht in Ruhe lassen und ein Nacktfoto von ihr im Internet veröffentlichen. Die Frau zahlte laut Anklage im ersten Fall 150 Euro, ging dann aber zur Polizei.
Der Rumäne, dessen Worte eine Dolmetscherin übersetzt, bestreitet, teils auch über seinen Verteidiger Tido Hokema, die Vorwürfe. Er schildert, dass er die Frau, die Nichte seines Onkels, bei dem er wohnte, nur über Internet-Chats kennt.
„Wir haben uns nie persönlich getroffen.“Ja, man habe Nacktfotos ausgetauscht. Mehr sei nicht gewesen. Die Fernbeziehung via Internet endete schließlich Ende 2018, als sich die Frau – so der Angeklagte – mit anderen Männern einließ. Dass er die Frau erpresst habe, bestreitet der Angeklagte. Er sei damals in Rumänien bei der Beerdigung seines Vaters gewesen, habe kein Geld gehabt. In einem Telefonat habe seine Freundin freiwillig zugesagt, ihm 150 Euro per Western Union, einem Anbieter von Auslandsüberweisungen, zu überweisen. Was auch geschah. Später habe sie ihm dann angeboten, ihm monatlich 150 Euro zu überweisen – auch freiwillig, wie er laut Dolmetscherin beteuert.
Was er dann mit dem Nacktfoto seiner Freundin gemacht habe, will das Gericht wissen. Der Rumäne räumt ein, ein Foto der Tante des Opfers geschickt zu haben. „Ja warum denn?“fragt die Richterin. Was jetzt folgt und übersetzt wird, ist ein schier unverständliches Konglomerat an Halbsätzen, die wenig Sinn ergeben. Verteidiger Tido Hokema hakt ein. Er glaubt, die Dolmetscherin übersetze falsch. Die wehrt sich und sagt, sie übersetze das, was der Angeklagte sage. Nicht mehr oder weniger. Der Anwalt hat auch selbst einen Dolmetscher zum Prozess mitgebracht, der für seine Kanzlei arbeitet. Das Angebot, nun diesen einzusetzen, muss das Gericht freilich ablehnen. Denn Übersetzer müssen neutral sein. Weil der Verteidiger Zweifel an der vom Gericht bestellten Dolmetscherin hat, versucht die Protokollführerin, auf die Schnelle einen anderen Übersetzer für die rumänische Sprache zu finden, der ad hoc einspringen kann. Dies gelingt nicht.
In der Sitzungspause sind das Gericht, Staatsanwalt Thomas Kieferle und der Verteidiger nicht untätig. In einem kurzfristig anberaumten Verfahrensgespräch findet man eine Lösung, ohne den Prozess platzen zu lassen. Richterin Hobert stellt das Verfahren „wegen geringer Schuld“gegen Zahlung einer Geldauflage von 1400 Euro an eine gemeinnützige Organisation ein. Damit ist der Angeklagte einverstanden, dem die prozessuale Situation zuvor vor dem Gerichtssaal im Duett von zwei Dolmetschern erklärt wurde – von der gerügten Übersetzerin und dem Dolmetscher der Kanzlei.