Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Retten, was noch übrig ist
Das Unwetter hat in Erftstadt-Blessem besonders gewütet. Nun dürfen die meisten Betroffenen in ihre Häuser zurück
Erftstadt Der obere Teil des massiven Eichenschranks ist unversehrt – hinter den Glastüren stecken Kinderfotos. „Gott sei Dank, wenigstens die Bilder von meinen Enkelchen sind noch da“, sagt Susanne Dunkel. Die 70-Jährige steht in ihrem Esszimmer in Erftstadt-Blessem (Nordrhein-Westfalen). Bis auf den Schrank ist der Raum leer, der Boden ist glitschig von Schlamm. Die Möbel liegen als braun verdreckter Sperrmüll vor dem Haus. „Ich wohne seit 46 Jahren hier – und jetzt so was. Was soll denn nun werden?“, fragt Dunkel und kann Tränen nicht unterdrücken.
Endlich durften die Bewohnerinnen und Bewohner des vom Hochwasser besonders stark getroffenen Ortes Blessem wieder in ihre Häuser. Viele Menschen waren unmittelbar nach der Katastrophe zwar kurz da, um die wichtigsten Habseligkeiten zu holen – mussten dann aber wieder weg, denn es galt ein Betretungsverbot. Ein Erdrutsch hatte einige Gebäude mitgerissen.
Auch jetzt ist ein Radius von 100 Metern um die Abbruchkante aus
Sicherheitsgründen noch immer Sperrgebiet. Für den Rest des Ortes ist das Betretungsverbot seit Donnerstagmorgen aufgehoben. Zum ersten Mal sehen die Menschen ihr Zuhause wieder, nachdem das Wasser abgeflossen ist und Schlamm zurückgelassen hat.
Entlang der Straßen, die schon geräumt sind, türmt sich kaputtes Mobiliar. Unzählige Helferinnen und Helfer packen mit an und holen das, was nicht mehr zu retten ist, aus den Häusern – auch bei Britta Simonis. „Ganz viele Freunde sind hier, um zu helfen – das ist wirklich toll“, sagt sie. Das meiste, was im Keller, in der Garage oder im Gästehäuschen stand, ist nicht mehr zu gebrauchen: Motorrad, Roller, Fitnessgeräte. Ein Freund drückt ihr ein neues Smartphone in die Hand: „Hier, für dich. Nimm es einfach.“
Bei Susanne Dunkel machen sich helfende Hände unterdessen an der schlammverkrusteten Wohnzimmergarnitur zu schaffen. „Haben Sie mal ein großes Messer?“, fragt eine Frau in Arbeitsklamotten. „Das Sofa hat sich verkantet, wir kriegen es nicht raus.“Dunkel zieht schwungvoll eine Küchenschublade auf – und zuckt zurück: Braunes Wasser schwappt ihr entgegen.
Das Obergeschoss mit den Schlafzimmern ist immerhin heil geblieben. Aber Übernachten will die Seniorin dort vorerst noch nicht: „Es gibt ja keinen Strom und kein Wasser.“Bis das wieder läuft, werde es noch Tage oder auch Wochen dauern, sagt der Landrat des RheinErft-Kreises, Frank Rock. So schnell wie möglich sollten große Transformatoren aufgestellt werden, um die Häuser mit Strom zu versorgen. Polizei und Feuerwehr hielten rund um die Uhr die Stellung, versichert Rock. Es gebe mobile Sirenen, um die Bevölkerung im Falle einer Erdbewegung oder sonstigen Gefahr zu warnen.
Susanne Dunkels Blick fällt wieder auf ihren Eichenschrank, wandert von den Fotos der Enkel im oberen hinunter zum unteren Teil. Der ist völlig aufgequollen und geborsten. „Dass nicht mal die Eiche das aushält – das hätte ich niemals gedacht.“