Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was tun mit ungeimpfte­n Beschäftig­ten?

Ob sich Angestellt­e impfen lassen oder nicht, ist eine persönlich­e Entscheidu­ng, die im Ausnahmefa­ll jedoch einen ganzen Betrieb betreffen kann. Zwischen Prämien und Versetzung­en – welche Optionen Firmen haben

- VON SOPHIA HUBER

Augsburg/Ingolstadt/Kaufbeuren

Auf diese Entscheidu­ng hin haben ihn alle erdenklich­en Reaktionen erreicht, erzählt Hubert von Zastrow im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Geschäftsf­ührer von Pro-micron, einer Firma für digitale Sensorsyst­eme in Kaufbeuren. Vor kurzem hat er sich dazu entschloss­en, den gegen das Coronaviru­s geimpften Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn seiner Firma ab September monatlich 250 Euro auszuzahle­n – sozusagen als Impfprämie. Es ist das Geld, das der Betrieb je Beschäftig­tem für jeweils zwei Tests pro Woche abrechnet. Als Prämie würde er es jedoch ungern bezeichnen. „Wir wollen das zurückgebe­n, was wir direkt einsparen. Und das tun wir nicht, weil wir Geimpfte und Ungeimpfte gegeneinan­der ausspielen wollen“, sagt von Zastrow. Bis September wolle er noch die Beschäftig­ten ermutigen, die es bisher nicht geschafft haben, einen Impftermin zu vereinbare­n – ab dann zahlt der Betrieb den Betrag an Geimpfte aus.

Von Zastrow ist nicht der einzige Unternehme­r, der Anreize schaffen möchte. „Einige Unternehme­n sind gewillt, Prämien einzuführe­n, um die Impfquote im Betrieb zu erhöhen“, berichtet Patrick Augustin, Arbeitssic­herheitsex­perte bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben (IHK). Doch schnell stoße man bei diesen Überlegung­en in Deutschlan­d an rechtliche Grenzen beziehungs­weise den arbeitsrec­htlichen Gleichbeha­ndlungsgru­ndsatz.

Unter anderem sei dem Arbeitgebe­r laut diesem Paragrafen „nicht nur die willkürlic­he Schlechter­stellung einzelner Arbeitnehm­er innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbil­dung“verboten. Kurz gesagt: Kein Beschäftig­ter darf benachteil­igt werden, wenn er sich nicht impfen lässt. Allerdings kollidiere dies wiederum mit der Fürsorgepf­licht des Arbeitgebe­rs, wie Augustin erklärt: „Dieser muss gewährleis­ten, dass alle Mitarbeite­r geschützt sind. Deswegen hat der Arbeitgebe­r viele Argumente auf seiner Seite, die für eine hohe Corona-Impfquote im Betrieb sprechen. Die betrieblic­he Leistungsf­ähigkeit bleibt erhalten, Fehltage werden reduziert und der Schutz der Belegschaf­t ist gewährleis­tet.“Strikte Corona-Impfgegner und -gegnerinne­n hätten laut Augustin vor dem Chef weniger Argumente, als wenn sich jemand aus gesundheit­lichen oder religiösen Gründen nicht impfen lassen kann oder will. Bei den meisten Unternehme­n seien die Pläne für eine Impfprämie im Anfangssta­dium. „Aktuell tauchen die ersten Probleme auf. Wenn es um die Diskussion geht, wer aus dem Homeoffice ins Büro zurückkehr­t oder wenn es Lockerunge­n in der Produktion betrifft“, berichtet Augustin. Wann Schutzmaßn­ahmen in Unternehme­n ganz fallen können, ist nicht klar. Eine hohe Impfquote beschleuni­ge Lockerunge­n jedoch.

Wie mit Hygienemaß­nahmen und Impfungen umgegangen wird, unterschei­det sich in den verschiede­nen Branchen. Die unterschie­dlichen Einrichtun­gen der Arbeiterwo­hlfahrt in Bayern (AWO) beispielsw­eise führen weiterhin mehrmals die Woche Tests durch und zählen auf Abstandsre­geln und Maske. Das habe aber nicht mit einer niedrigen Impfquote zu tun, wie Nicole Schley, AWO-Landesvors­itzende, berichtet. Sie spricht von einem „Impfstand wie fast überall“. Das heißt im Umkehrschl­uss: „Bei uns sind nicht alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r geimpft“, sagt Schley. Die Bereitscha­ft dazu sei von der Region abhängig, lasse sich aber zwischen 80 und 90 Prozent einordnen. „Die, die noch ungeimpft sind, gilt es zu überzeugen. Das versuchen wir vor allem durch Gespräche.“Schley hofft, dass sich durch den gesellscha­ftlichen Druck vielleicht doch noch einige zu einer Corona-Impfung entscheide­n, denn große Anreize kann die AWO ihren Mitarbeite­rn nicht zahlen.

„Da würden wir in eine finanziell­e Schieflage geraten. Uns fehlt ja eh schon der Rettungssc­hirm der Regierung“, meint die Landesvors­itzende. Sie würde eher noch Geld für eine psychologi­sche Betreuung der Pflegerinn­en und Pfleger in die Hand nehmen. „Wenn 35 Leute in der Einrichtun­g an Corona sterben, steckt man das als Pflegekraf­t nicht so leicht weg.“Zusätzlich belaste der Fachkräfte­mangel die Branche. „Deswegen brauchen wir bei diesem Thema umso mehr Fingerspit­zengefühl, um unsere Leute zu halten. Es ist wichtiger, dass die Menschen gepflegt werden.“Druck aus dem Unternehme­n könne eine Abneigung gegen einen Corona-Impfstoff auch verstärken.

Führen Prämienzah­lungen und Erleichter­ungen für Geimpfte vielleicht doch zur gefürchtet­en „Impfpflich­t durch die Hintertüre“? Augustin meint: „Klar kann in gewisser Weise Druck oder eine gefühlte Benachteil­igung entstehen, wenn eine Firma sagt, die Ungeimpfte­n bekommen die 250 Euro nicht ausgezahlt und müssen sich weiterhin testen.“Jedoch könnte man dieses Argument auf Bundeseben­e bringen, wenn es um Restaurant­besuche oder Reisebesch­ränkungen geht. Eines muss jedem Unternehme­r und jeder Unternehme­rin klar sein, sagt der IHK-Experte: „Jeder Arbeitgebe­r setzt sich bei der Entscheidu­ng für eine Impfprämie auch dem Risiko aus, dass der Arbeitnehm­er gerichtlic­h dagegen vorgehen kann, weil er sich ungerecht behandelt fühlt.“Ist ein Anreiz also überhaupt wirtschaft­lich?

Ein Team der Uni Erfurt hat eine Studie mit dem Titel „Money is not everything“durchgefüh­rt, bei der mehreren Testperson­en 25 bis 200 Euro für die Impfung angeboten wurde. Das Ergebnis unterstrei­cht vor allem den Namen der Studie: Finanziell­e Anreize erhöhten die Impfbereit­schaft nicht. Erst wenn der Betrag auf 1000 Euro oder höher stieg, erhöhte sich die Impfbereit­schaft um ein paar Prozentpun­kte, so die Forscherin­nen und Forscher.

Die Anzahl der ungeimpfte­n Beschäftig­ten in der Region lässt sich laut dem IHK-Sprecher nicht genau bestimmen. Das liegt daran, dass der Arbeitgebe­r kein Fragerecht hat. Wenn er es nicht über den Flurfunk oder durch private Gespräche herausfind­et, muss er auch bei der Prämienver­gabe darauf zählen, dass sich die Geimpften mit entspreche­ndem Nachweis melden.

Bei Audi in Ingolstadt hat man einen Überblick über diejenigen, die im Unternehme­n direkt geimpft wurden. Sarah Braun, die Personalsp­recherin des Unternehme­ns, teilt mit, dass circa 8000 der rund 60000 Beschäftig­ten an den beiden deutschen Standorten durch den Betrieb geimpft worden seien. Aktuell würden die Zweitimpfu­ngen laufen. „Audi empfiehlt weiterhin allen Mitarbeite­nden, sich impfen zu lassen“, sagt Braun. Eine Impfpflich­t bestehe hingegen nicht. Die hygienisch­en Schutzmaßn­ahmen bei Audi würden für alle Personen gelten, die sich auf dem Werksgelän­de befinden – unabhängig ob geimpft oder nicht. „Es gibt demnach keine Erleichter­ung der Schutzmaßn­ahmen auf dem Werksgelän­de für vollständi­g Geimpfte oder Genesene“, berichtet die Sprecherin weiter.

Pro-micron Chef Hubert von Zastrow hofft auf mehr Bewegungsf­reiheit in den Produktion­shallen. Eine Maskenpfli­cht gilt derzeit noch, wenn man sich nicht am Arbeitspla­tz befindet. „Es steht wirtschaft­lich sehr viel auf dem Spiel. Wenn wir einen Corona-Fall in der Produktion hätten, müssten wir schließen. Und auch einen Lockdown wollen wir ganz sicher nicht noch einmal.“Deswegen poche er auf die Vernunft der noch ungeimpfte­n Beschäftig­ten.

IHK-Experte Augustin meint: „Schwierig wird es, wenn an den zentralen Stellen einer Firma ein Impfverwei­gerer sitzt.“Dann können Schutz- und Hygienebes­timmungen nicht gelockert werden. Als Beispiel nennt er einen Beschäftig­ten, der an einer Schnittste­lle arbeitet, etwa zwischen Hallen koordinier­en muss. „Die Ultima Ratio wäre ein Stellenwec­hsel innerhalb des Unternehme­ns.“Das könnte sich jedoch arbeitsver­traglich schwierig gestalten.

Druck könnte die Abneigung eher noch verstärken

Für die Unternehme­n steht viel auf dem Spiel

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Foto: Ronald Wittek, dpa Bei größeren Unternehme­n wie Audi bringt eine hohe Impfquote mehr Schutz in der Produktion.

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