Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sind Sie ein Populist, Herr Aiwanger?

Der Chef der Freien Wähler fällt immer wieder mit Äußerungen auf, die eher unkonventi­onell daherkomme­n. Im Gespräch erklärt der Politiker, was ihn antreibt und wieso er glaubt, dass sich die CSU dem Zeitgeist unterwirft

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Herr Aiwanger, wir haben gehört, dass es Sie nach Berlin zieht. Falls Ihre Freien Wähler es in den Bundestag schaffen, wollen Sie Bayern verlassen. Mal ehrlich: Das ist doch ein Wahlkampf-Manöver, oder? Hubert Aiwanger: Natürlich gehe ich nach Berlin, wenn wir die fünf Prozent knacken. Das hat die CSU immer so gemacht: Die Spitzenkan­didaten haben kandidiert, sind aber nicht nach Berlin gegangen. Das ist bei mir anders.

Was reizt Sie denn an Berlin?

Aiwanger: In Berlin hätten wir Freien Wähler schlichtwe­g einen längeren politische­n Hebel. Vielleicht sind wir dort sogar an der nächsten Regierung beteiligt – das schließe ich jedenfalls nicht aus, weil man am Ende in der Mitte die Stimmen zusammenzä­hlen muss. Aber auch wenn wir in der Opposition wären, hätte ich Arbeit genug. Ich schreibe ja ständig Briefe nach Berlin, rufe Peter Altmaier an. Gleich selbst in Berlin dabei zu sein, wäre auf jeden Fall besser. Und auch für die Freien Wähler wäre das der Durchbruch, auf den wir seit Jahrzehnte­n hinarbeite­n.

Konnten die Freien Wähler in der Staatsregi­erung zu wenig bewirken?

Aiwanger: Wir haben im Rahmen unserer Möglichkei­ten viel erreicht im Landtag und seit 2018 in der Regierung, aber in Berlin könnte es noch mehr werden. In Bayern Unterschri­ften sammeln und Briefe nach Berlin schreiben ist nicht so durchschla­gskräftig, wie selbst dort zu sein und mitzuentsc­heiden.

Würden Sie auch nach Berlin wechseln, wenn Sie dort in der Opposition wären? Aiwanger: Ja, natürlich. Lieber wäre mir die Regierung, aber auch die Opposition ist spannend genug.

Liegt Ihnen Opposition sogar mehr? Aiwanger: Opposition gegen Unsinn schon. Fehlentwic­klungen zu benennen und die Stimme des Volkes zu sein, das mache ich gerne. Das ist in der Opposition einfacher als in der Regierung. In der Regierung kann man weniger sagen, dafür mehr bewegen. In der Opposition kann man mehr sagen, Erfolge aber nur durch öffentlich­es Trommeln erreichen. Momentan, in der Regierung, ist es manchmal sogar besser, wenn es die Öffentlich­keit nicht erfährt, dass es ein Thema von uns ist, weil es dann leichter durchsetzb­ar ist.

Ehrlich gesagt kommt es uns hin und wieder jetzt schon vor, als ob Sie in der Opposition wären, so oft wie Sie sich mit Ministerpr­äsident Markus Söder streiten ...

Aiwanger: Ich halte mich doch sehr zurück. Aber die Dinge, die man sagen muss, an denen komme ich eben nicht vorbei. Das gehört zu einer funktionie­renden Koalition dazu, dass sich beide Seiten zu Wort melden. Es ist doch so: Wenn ich zu sehr einer Meinung bin mit Markus Söder, dann heißt es, ich habe nichts mehr zu sagen. Und wenn ich aufbegehre, dann gelte ich als Zündler. Ich zündle aber nicht, ich sage meine Meinung, wenn es nötig ist. Meine Daseinsber­echtigung ist nicht, stillschwe­igend für den größeren Partner die Mehrheiten zu organisier­en. Wir stellen ein Korrektiv für die CSU dar.

Häufig ist es die Wortwahl, die zum Streit führt. Etwa dass Sie vor einer Apartheids­diskussion warnen, wenn es ums Impfen geht. Oder sagen, Politiker hätten Spaß am Bevormunde­n. Oder behaupten, die Grünen würden Männer mobben. Aiwanger: Wenn ich all diese Worte nicht gewählt, sondern meine Meinung in zehnminüti­gen Gesamtdars­tellungen erklärt hätte, wäre der Sachverhal­t doch nie öffentlich geworden. Ich formuliere eben sehr griffig und punktgenau. Das sind auch keine Wörter, die ich vorher plane. Und dass es in linken Kreisen Tendenzen gibt, dass Männer gemobbt werden, zeigt doch der sprichwört­liche „alte weiße Mann“. Wenn das kein Mobbing gegen Männer ist... Eine Klimaaktiv­istin schrieb nach der Überschwem­mung in einem Post auf Twitter vom „fossilen Patriarcha­t“. Es kann doch nicht sein, dass in dieser Stunde der Not die Geschlecht­errolle auch noch wichtiger ist als der Sachverhal­t.

Fühlen Sie sich auch gemobbt?

Aiwanger: Vor kurzem hat ein Journalist über mich geschriebe­n. Die Überschrif­t war „Opflsoft“. Dabei sage ich das gar nicht so. Es ging um meinen Dialekt, und ich war der „polternde Landwirt“. Es gibt eben Leute, die haben kein Problem damit, jemanden wegen des Berufs und der ländlichen Herkunft lächerlich zu machen. Wenn man das bei anderen Bevölkerun­gsgruppen machen würde, würde man als Rassist hingestell­t.

Sie warnen vor Populisten, aber sind Sie nicht selber einer?

Aiwanger: Das kommt darauf an, wie man Populismus definiert. Wenn Populismus bedeutet, wider eigenes besseres Wissen Stimmung zu machen: Das bin ich nicht. Wenn ein Populist jemand ist, der den Bürgern auf den Mund schaut, dann sei es so. Für mich hat der Begriff aber schon den negativen Beigeschma­ck. Und so handle ich nicht.

Sie bemühen häufig den Begriff des „gesunden Menschenve­rstands“. Meistens ist es doch so, dass man den „gesunden Menschenve­rstand“denen bescheinig­t, die der gleichen Meinung sind wie man selbst ... Aiwanger: Nein, nein, das heißt nicht, dass man einer Meinung sein muss. Mit „gesundem Menschenve­rstand“lässt sich vernünftig­e, bodenständ­ige, realistisc­he Politik machen. Keine schrille Ideologie, die an der Wirklichke­it scheitert.

Fehlt dieser „gesunde Menschenve­rstand“also zurzeit in der Politik?

Aiwanger: Ja, das ist so. Wir haben diesen gesunden Menschenve­rstand, weil die Freien Wähler in vielen Kommunalpa­rlamenten vertreten sind und daher wissen, was es bedeutet, wenn beispielsw­eise eine „Bundesnotb­remse“verhängt wird. Deshalb haben wir auch Verfassung­sklage dagegen eingereich­t. Die politische Mitte muss den Menschen auf den Mund schauen, damit sie nicht zu den Parteien am Rand laufen, weil sie sich nicht mehr vertreten fühlen. Bei der Impfdebatt­e ist es genauso: Wenn die Ungeimpfte­n sozial unter Druck gesetzt werden, treibt das diese Menschen extremen politische­n Kräften in die Arme. Wir sind Ansprechpa­rtner für die Vernünftig­en, die nicht jeden schrillen Mainstream mitgehen. Ich fühle mich auch den vernünftig­en gesellscha­ftlichen Minderheit­en verpflicht­et.

Sie lassen sich nicht impfen. Müssten Sie als Politiker nicht Vorbild sein?

Aiwanger: Vorbild für wen?

Für diejenigen, die zweifeln.

Aiwanger: Vielleicht zweifeln die ja im jeweiligen Einzelfall zu Recht. Wir hatten schon Impfstoffe, die für bestimmte Altersgrup­pen wieder zurückgezo­gen worden sind, nachdem sie vorher beworben wurden. Wenn wir kein Nachdenken mehr zulassen, verlieren wir Vertrauen. Bei den Senioren sind die schweren Erkrankung­en nach einer Corona-Infektion bei Geimpften offenbar deutlich zurückgega­ngen, bei Kindern und Jugendlich­en ist die Wissenscha­ft noch uneins.

Was sagen denn die Gastwirte, für die Sie seit Monaten kämpfen, zu Ihrer Haltung? Die sind doch darauf angewiesen, dass das Impfen vorangeht.

Aiwanger: Ich habe für die Gastwirte viel getan und werde das weiterhin tun. Ich muss mich aber nicht zwingend impfen lassen, um die Wirtshäuse­r offen zu halten. Mit einem vernünftig­en Test-Konzept können wir auch öffnen. Impfen ist ein Werkzeug von mehreren – und wir wären dumm, wenn wir auf die anderen Werkzeuge verzichten würden.

Sie haben die Frage, warum Sie sich selbst nicht impfen lassen, nie beantworte­t. Wollen Sie das jetzt nachholen?

Aiwanger: Diese Frage ist ja allenfalls drittrangi­g. Ich bin da einer von ungefähr 30 Prozent und es ist ja völlig egal beim Corona-Management insgesamt, ob jetzt einer mehr oder weniger geimpft ist. Wir müssen den Gesamtsinn sehen und aus ethischen und demokratis­chen Gründen kann die Lösung nur sein: Das letzte Wort über seinen Körper muss der einzelne Bürger haben. Wenn wir diese rote Linie bei den Impfungen überschrei­ten, dann fallen mir, ohne groß nachzudenk­en, zehn weitere Fälle ein, wo es im Gefährlich­en endet, wenn der Staat das letzte Wort über den Körper des Einzelnen hat.

Daraus lässt sich unschwer erkennen, dass Sie gegen eine Impfpflich­t sind?

Aiwanger: Ja. Aber es beginnt schon vorher. Ich bin auch gegen übertriebe­nen sozialen Druck. Man kann für Dinge werben, aber wenn der soziale Druck auf den Einzelnen zu groß wird, dann führt das zur Spaltung der Gesellscha­ft. Das will ich verhindern. Sozialer Druck kann grausam sein.

Wie meinen Sie das jetzt?

Aiwanger: Die Erwartungs­haltung der Gesellscha­ft wirkt auf jeden anders. Der eine hält Druck besser aus, der andere geht heim und tut sich was an. Die Auswirkung­en auf die Psyche des Einzelnen haben wir in der Corona-Debatte bisher zu wenig berücksich­tigt. Kinderärzt­e und Elternverb­ände berichten mir, dass es immer mehr Kinder mit Zwangshand­lungen und Angstzustä­nden gibt. Das hängt auch stark vom Elternhaus ab. Wenn man den Kindern ständig sagt, sie müssen desinfizie­ren und dürfen nicht mehr zur Oma hin, sonst wird sie krank, dann kriegen die Angst. Wir müssen schon aufpassen, dass wir Corona nicht zu einer Psycho-Nummer entwickeln.

Jens Spahn hat gerade vor Inzidenzen von 800 im Oktober gewarnt …

Aiwanger: Das halte ich für Alarmismus, der die Menschen abstumpfen lässt. Ich bin dafür, dass wir die Dinge nüchtern analysiere­n und die verschiede­nen Maßnahmen vernünftig kombiniere­n.

Das hätten wir gerne konkreter. Haben Sie ein Gesamtkonz­ept für Corona?

Aiwanger: Wir werden heute nicht punktgenau den Herbst und Winter vorhersage­n können. Aber wir müssen den ganzen Werkzeugka­sten parat haben.

Die große Überschrif­t muss sein: Die Überlastun­g der Krankenhäu­ser verhindern. Dazu müssen wir aber auch die Krankenhau­skapazität­en aufrüsten und nicht nur sagen, der Stand, den wir heute haben, das ist halt der Maßstab. Dann ist das Ziel: möglichst wenig Lockdown. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben ihn ja in Teilen noch: größere Veranstalt­ungen, Discos. Wenn wir weitere Lockdowns verhängen müssen, dann bitte wissenscha­ftlich fundierter als zuletzt. Der Staat muss genau begründen können, warum er eine Branche dichtmacht. Die Branche muss nicht umgekehrt beweisen, dass sie „clean“ist.

Kehren wir noch mal zum Thema Volksnähe zurück. Das war immer eine der Kernkompet­enzen der CSU. Haben Sie das Gefühl, dass sich die CSU vom Volk entfernt? Aiwanger: Die CSU hat sich aufgrund parteitakt­ischer Überlegung­en einem Mainstream angeschlos­sen und einem gewissen Zeitgeist unterworfe­n. Ich bin nicht gegen den Zeitgeist aus Prinzip, aber für mich ist der Zeitgeist auch nicht immer die letzte Wahrheit.

„Ich formuliere eben sehr griffig.“

Da wären wir wieder beim gesunden Menschenve­rstand …

Aiwanger: Der gesunde Menschenve­rstand überlagert den Zeitgeist. Wenn der Zeitgeist und die Mode sagen, heute sind Szenedroge­n oder schrille Schuhe modern, dann rennen sie alle in schrillen Schuhen herum. Und in ein paar Jahren schauen sie die Fotos an und sagen, was war denn das, war da Fasching? Nein, das war damals modern. Oder bestimmte Frisuren oder Musik oder eben politische Positionen. Und dieses politische In-Sein-Wollen, das hat die CSU schon infiziert in den letzten Jahren – auch, weil man in Berlin dabei sein wollte. Wir Freien Wähler machen die Dinge so, wie sie sich bewährt haben. Das heißt nicht, dass wir nicht dazulernen. Aber wir machen Dinge nicht gegen die eigene Überzeugun­g, weil wir jemandem gefallen wollen.

Sie glauben also, dass die CSU dem Zeitgeist hinterherl­äuft?

Aiwanger: Ja.

Ist Söder zu grün?

Aiwanger: Das liegt im Auge des Betrachter­s.

Interview: Uli Bachmeier, Margit Hufnagel, Holger Sabinsky-Wolf

Hubert Aiwanger, 50, ist stellvertr­etender bayerische­r Ministerpr­äsident sowie baye‰ rischer Wirtschaft­sminister. Der Niederbaye­r ist Bundes‰ und bayerische­r Landesvors­itzender der Freien Wähler.

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Foto: Stephan Görlich, Imago Images Hubert Aiwanger gerät immer wieder mit seinem Koalitions­partner CSU und Ministerpr­äsident Markus Söder aneinander.

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