Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bauer sucht Partei

Landwirte waren für die CSU immer ein ziemlich sicheres Wählerrese­rvoir. Das hat sich inzwischen geändert und dafür gibt es auch einige Gründe. Betrachtun­g einer Beziehung

- VON JOSEF KARG

Augsburg Ein Shitstorm im Internet kann unangenehm sein. Wenn aber 9000 Landwirte aus ganz Deutschlan­d bei einer Kundgebung am Brandenbur­ger Tor mit ihren Traktoren anrücken, weil ihnen die momentane Politik sozusagen stinkt, dann ist das noch einmal eine andere Qualität von Protest. So war es Anfang des Jahres zum Start der „Grünen Woche“in Berlin. Vor wenigen Tagen dann, als die CSU im oberbayeri­schen Kloster Seeon eine Klausurtag­ung abhielt, gingen erneut Landwirte auf die Straße. „Union heißt das Konstrukt, das den Bauern in die Suppe spuckt“, stand auf einem von mehreren Plakaten. „Für die Landwirtsc­haftspolit­ik der letzten Jahrzehnte war maßgeblich die CSU/CDU verantwort­lich. Allein in den letzten 16 Jahren haben bundesweit 80 000 Betriebe aufgehört! Leider haben wir keine Hoffnung mehr, dass unsere Sorgen und Probleme ernst genommen werden“, schrieb die Bewegung „Landwirtsc­haft verbindet Bayern“in einem offenen Brief nach ihrem „stillen Protest“.

Um die Stimmung ihrer Leser vor der Bundestags­wahl auszuloten, hat das Fachmagazi­n agrar heute vor geraumer Zeit eine Befragung durchführe­n lassen, welche Partei Landwirte aktuell wählen würden. Das Ergebnis ist überrasche­nd: Zum ersten Mal seit Beginn derartiger Befragunge­n würden CDU und CSU nicht von den Bauern bevorzugt. Mit 24 Prozent lag die FDP deutlich vorn, die Unionspart­eien, die traditione­ll die politische Heimat der Landwirte waren, hätten im Umfragezei­traum nur 18 Prozent der Stimmen.

Es wird deutlich: Es ist nicht gut bestellt um das Verhältnis der Union mit den Landwirten, einem lange Zeit als zuverlässi­g geltendes Wählerklie­ntel. Nicht erst seit gestern. Schon zu Adenauers Zeiten gab es Ärger und Proteste von Landwirten. Die Entwicklun­g der Wahlergebn­isse verdeutlic­ht aber, dass man aktuell auf ein historisch­es Stimmungst­ief zusteuert.

Bei der CSU hat man diese atmosphäri­schen Störungen längst wahrgenomm­en. Martin Schöffel, agrarpolit­ischer Sprecher der Partei, räumt gegenüber unserer Redaktion ein: „Ja, es gibt Herausford­erungen. Aber wir kämpfen um das Vertrauen der Bauern.“Dies sei allerdings nicht immer einfach, weil ständig neue Regelungen aus Brüssel kämen oder, wie bei dem Bienen-Volksbegeh­ren, auch Impulse aus der bürgerlich­en Basis. Da sei ein Gesetzgebu­ngsprozess in Gang gekommen, der nicht so einfach aufzuhalte­n gewesen sei.

Schöffel ist sich auch im Klaren darüber, dass die CSU sich nicht nur auf ungünstige Rahmenbedi­ngungen rausreden kann. Er betont: „Es müssen mehr Anreize geschaffen und auf Freiwillig­keit gesetzt werden, statt ständig neue ordnungsre­chtliche Vorgaben zu machen.“Die CSU versuche angesichts von immer noch gut 100000 Betrieben im Freistaat die Landwirte bei der Stange halten: „Bayern investiert mehr Geld als jemals zuvor in diesen Bereich.“Der Politiker kennt die zentralen Anliegen: mehr Planungssi­cherheit, bessere Rahmenbedi­ngungen und mehr Wertschätz­ung. Schöffel weiß aber auch, dass ein gesunder Kompromiss zwischen Nachhaltig­keit und Wirtschaft­lichkeit gefunden werden muss.

Rainer Seidl, einem der Vorstände der Protestbew­egung „Landwirtsc­haft verbindet Bayern“, geht es bei aller Kritik an den Regierende­n und allem Protest darum, die Entfremdun­g von Politik, Verbrauche­rn und Landwirtsc­haft zu überwinden: Viele Menschen könnten seiner Ansicht nach bäuerliche Arbeit gar nicht mehr nachvollzi­ehen. Darum habe das Ansehen der Landwirte in den vergangene­n Jahren schwer gelitten.

Es gebe viele Gründe, warum die Landwirte aus seiner Sicht zu Unrecht an den Pranger gestellt werden. Dazu gehörten die Diskussion um die Nitratbela­stung der Böden und der Gewässer ebenso wie die von ihnen kritisch gesehenen Auflagen in Zusammenha­ng mit dem Insektenst­erben sowie die Massentier­haltung. Nicht zuletzt die ständig neuen gesetzlich­en Bestimmung­en führten dazu, dass Landwirtsc­haftsbetri­ebe nicht mehr rentabel arbeiten können und so seit Jahrzehnte­n Höfe aussterben, weil gerade kleine und mittlere bäuerliche Betriebe ausbluten. Das Agrarpaket der Bundesregi­erung habe drastische Veränderun­gen und Restriktio­nen für die Landwirtsc­haft gebracht.

Symbolfoto: Jens Büttner, dpa

Beim Bayerische­n Bauernverb­and, seit jeher Gralshüter landwirtsc­haftlicher Interessen, denkt man ebenfalls intensiv über die Zukunft nach und hat einen offenen Diskussion­s- und Dialogproz­ess gestartet. Zehn Thesen wurden bereits erarbeitet. Die erste lautet: „Die bayerische Land- und Forstwirts­chaft ist 2040 das grüne Fundament von Gesellscha­ft und Wirtschaft.“Bleibt allerdings die Frage, wie das erklärte Ziel, führend in puncto Regionalit­ät, Nachhaltig­keit, Tierwohl und Klimaschut­z zu werden, erreicht werden soll. Und mit welcher Partei der Spagat zwischen all den verschiede­nen Interessen am besten gelingen kann.

Genau aus diesem Grund hat auch „Landwirtsc­haft verbindet Bayern“vor einigen Wochen alle im Bundestag sitzenden Parteien unter dem Motto „Bauer sucht Partei“eingeladen, sich live im Internet mit Landwirten und ihren Sorgen auseinande­rzusetzen. Alle Parteien kündigten an, Vertreter schicken zu wollen. Nur die CSU antwortete trotz mehrfacher Nachfrage nicht, sagte ein Sprecher der Bewegung und fand das „schade“.

Rund 100000 Agrarbetri­ebe in Bayern

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Viele Landwirte hadern mit der Politik, speziell den regierende­n Unionspart­eien. Gerade in Bayern mit seinen mehr als 100 000 landwirtsc­haftlichen Betrieben könnte das für die CSU zu einem immer größeren Problem werden.

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