Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Bauer sucht Partei
Landwirte waren für die CSU immer ein ziemlich sicheres Wählerreservoir. Das hat sich inzwischen geändert und dafür gibt es auch einige Gründe. Betrachtung einer Beziehung
Augsburg Ein Shitstorm im Internet kann unangenehm sein. Wenn aber 9000 Landwirte aus ganz Deutschland bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor mit ihren Traktoren anrücken, weil ihnen die momentane Politik sozusagen stinkt, dann ist das noch einmal eine andere Qualität von Protest. So war es Anfang des Jahres zum Start der „Grünen Woche“in Berlin. Vor wenigen Tagen dann, als die CSU im oberbayerischen Kloster Seeon eine Klausurtagung abhielt, gingen erneut Landwirte auf die Straße. „Union heißt das Konstrukt, das den Bauern in die Suppe spuckt“, stand auf einem von mehreren Plakaten. „Für die Landwirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte war maßgeblich die CSU/CDU verantwortlich. Allein in den letzten 16 Jahren haben bundesweit 80 000 Betriebe aufgehört! Leider haben wir keine Hoffnung mehr, dass unsere Sorgen und Probleme ernst genommen werden“, schrieb die Bewegung „Landwirtschaft verbindet Bayern“in einem offenen Brief nach ihrem „stillen Protest“.
Um die Stimmung ihrer Leser vor der Bundestagswahl auszuloten, hat das Fachmagazin agrar heute vor geraumer Zeit eine Befragung durchführen lassen, welche Partei Landwirte aktuell wählen würden. Das Ergebnis ist überraschend: Zum ersten Mal seit Beginn derartiger Befragungen würden CDU und CSU nicht von den Bauern bevorzugt. Mit 24 Prozent lag die FDP deutlich vorn, die Unionsparteien, die traditionell die politische Heimat der Landwirte waren, hätten im Umfragezeitraum nur 18 Prozent der Stimmen.
Es wird deutlich: Es ist nicht gut bestellt um das Verhältnis der Union mit den Landwirten, einem lange Zeit als zuverlässig geltendes Wählerklientel. Nicht erst seit gestern. Schon zu Adenauers Zeiten gab es Ärger und Proteste von Landwirten. Die Entwicklung der Wahlergebnisse verdeutlicht aber, dass man aktuell auf ein historisches Stimmungstief zusteuert.
Bei der CSU hat man diese atmosphärischen Störungen längst wahrgenommen. Martin Schöffel, agrarpolitischer Sprecher der Partei, räumt gegenüber unserer Redaktion ein: „Ja, es gibt Herausforderungen. Aber wir kämpfen um das Vertrauen der Bauern.“Dies sei allerdings nicht immer einfach, weil ständig neue Regelungen aus Brüssel kämen oder, wie bei dem Bienen-Volksbegehren, auch Impulse aus der bürgerlichen Basis. Da sei ein Gesetzgebungsprozess in Gang gekommen, der nicht so einfach aufzuhalten gewesen sei.
Schöffel ist sich auch im Klaren darüber, dass die CSU sich nicht nur auf ungünstige Rahmenbedingungen rausreden kann. Er betont: „Es müssen mehr Anreize geschaffen und auf Freiwilligkeit gesetzt werden, statt ständig neue ordnungsrechtliche Vorgaben zu machen.“Die CSU versuche angesichts von immer noch gut 100000 Betrieben im Freistaat die Landwirte bei der Stange halten: „Bayern investiert mehr Geld als jemals zuvor in diesen Bereich.“Der Politiker kennt die zentralen Anliegen: mehr Planungssicherheit, bessere Rahmenbedingungen und mehr Wertschätzung. Schöffel weiß aber auch, dass ein gesunder Kompromiss zwischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit gefunden werden muss.
Rainer Seidl, einem der Vorstände der Protestbewegung „Landwirtschaft verbindet Bayern“, geht es bei aller Kritik an den Regierenden und allem Protest darum, die Entfremdung von Politik, Verbrauchern und Landwirtschaft zu überwinden: Viele Menschen könnten seiner Ansicht nach bäuerliche Arbeit gar nicht mehr nachvollziehen. Darum habe das Ansehen der Landwirte in den vergangenen Jahren schwer gelitten.
Es gebe viele Gründe, warum die Landwirte aus seiner Sicht zu Unrecht an den Pranger gestellt werden. Dazu gehörten die Diskussion um die Nitratbelastung der Böden und der Gewässer ebenso wie die von ihnen kritisch gesehenen Auflagen in Zusammenhang mit dem Insektensterben sowie die Massentierhaltung. Nicht zuletzt die ständig neuen gesetzlichen Bestimmungen führten dazu, dass Landwirtschaftsbetriebe nicht mehr rentabel arbeiten können und so seit Jahrzehnten Höfe aussterben, weil gerade kleine und mittlere bäuerliche Betriebe ausbluten. Das Agrarpaket der Bundesregierung habe drastische Veränderungen und Restriktionen für die Landwirtschaft gebracht.
Symbolfoto: Jens Büttner, dpa
Beim Bayerischen Bauernverband, seit jeher Gralshüter landwirtschaftlicher Interessen, denkt man ebenfalls intensiv über die Zukunft nach und hat einen offenen Diskussions- und Dialogprozess gestartet. Zehn Thesen wurden bereits erarbeitet. Die erste lautet: „Die bayerische Land- und Forstwirtschaft ist 2040 das grüne Fundament von Gesellschaft und Wirtschaft.“Bleibt allerdings die Frage, wie das erklärte Ziel, führend in puncto Regionalität, Nachhaltigkeit, Tierwohl und Klimaschutz zu werden, erreicht werden soll. Und mit welcher Partei der Spagat zwischen all den verschiedenen Interessen am besten gelingen kann.
Genau aus diesem Grund hat auch „Landwirtschaft verbindet Bayern“vor einigen Wochen alle im Bundestag sitzenden Parteien unter dem Motto „Bauer sucht Partei“eingeladen, sich live im Internet mit Landwirten und ihren Sorgen auseinanderzusetzen. Alle Parteien kündigten an, Vertreter schicken zu wollen. Nur die CSU antwortete trotz mehrfacher Nachfrage nicht, sagte ein Sprecher der Bewegung und fand das „schade“.
Rund 100000 Agrarbetriebe in Bayern