Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Tagsüber nur überleben“

Tennisspie­ler Philipp Kohlschrei­ber über die Bedingunge­n in Tokio, sein letztes Match bei Olympische­n Spielen und seine Abreise aus Japan

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Herr Kohlschrei­ber, als Sie im dritten Satz gleich ein Break geschafft hatten, schien alles in Richtung eines Sieges gegen den an Nummer 3 gesetzten Stefanos Tsitsipas zu laufen. Was ist dann passiert?

Kohlschrei­ber: Es war tatsächlic­h ein Match, in dem viel drin war. Wir hatten beide kleine Aufs und Abs. Ich habe es dann aber verpasst, so ein bisschen Abstand reinzubeko­mmen. Das Break vor war zwar gut, aber dann in dem Aufschlags­piel setze ich nicht richtig nach. Dann passiert ein leichter Fehler, es steht 30 beide und schon wird es eben wieder enger. Er hat in dem Moment vielleicht gemerkt, dass es nicht ganz rund läuft bei mir. Dann gibt man dem Gegner einfach die Möglichkei­t, wieder ranzukomme­n. Ich habe es nicht geschafft, die Sache im dritten Satz nach Hause zu spielen.

Was sehr ärgerlich ist, denn ein Sieg schien in greifbarer Nähe. Kohlschrei­ber: Fand ich auch, das war heute definitiv ein machbares Ding. Ich habe nach dem ersten Satz ganz gut in mein Spiel reingefund­en. Man sieht, dass es hier sehr unangenehm ist, wenn einer mit viel Topspin agiert. Das habe ich eineinhalb Sätze sehr gut geschafft – dann aber ein paar Flüchtigke­itsfehler gemacht. Er hat mir sehr viel weniger Fehler gegeben.

Was ist Ihnen durch Kopf gegangen, als Sie die Auslosung gesehen haben? Schwerer hätten Sie es in der ersten Runde kaum erwischen können. Kohlschrei­ber: In der Auslosung muss man nehmen, was kommt. Die letzten beiden Turniere in Wimbledon und Hamburg hat er ja jeweils schnell verloren und für seine Verhältnis­se wenig Matchpraxi­s gehabt.

In Tokio herrschen untertags Temperatur­en weit jenseits der 30 Grad, die Luftfeucht­igkeit ist hoch. Wie waren die Bedingunge­n für Sie auf dem Platz? Immerhin durften Sie in den frühen Abendstund­en spielen. Kohlschrei­ber: Man konnte tagsüber nur überleben, abends ist es dann aber traumhaft zu spielen. Als Sportler schwitzt man ja ganz gerne, hier vielleicht ein bisschen mehr. Dazu kommt, dass die Bälle noch mal deutlich schneller fliegen. Man hat gesehen, dass auch Stefanos oft leichte Fehler gemacht hat, wo man sich fragt: Warum macht der den? Aber man muss einfach sagen, dass der Boden den Drall extrem annimmt. Der Ball federt sehr gut und hoch weg. Das sind sehr gute Bedingunge­n für mich.

Das waren höchstwahr­scheinlich Ihre letzten Olympische­n Spiele. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Kohlschrei­ber: Das Ausscheide­n aus einem Wettbewerb ist immer traurig und bitter. Vor allem, weil ich heute eine wirklich gute Möglichkei­t hatte, einen Topspieler zu besiegen. Das waren definitiv meine letzten Olympische­n Spiele. Es war eine tolle Zeit, die aber, vielleicht meinem Alter geschuldet, ein bisschen mehr Kraft gekostet hat. Ich will nicht sagen, dass die Maske nervt. Aber man hat sie eben ständig auf. Man muss überall darauf achten, sich und andere zu schützen. Doch trotz der ganzen Besonderhe­iten war es eine tolle Erfahrung. Schade natürlich, dass man keine anderen Wettkampfs­tätten besuchen kann.

War es trotzdem gut, die Spiele überhaupt stattfinde­n zu lassen? Kohlschrei­ber: Ja, auf jeden Fall. Weil die Sportler dafür ihr ganzes Leben lang trainieren und sich auf den Höhepunkt vorbereite­n. Wenn erst nach acht Jahren wieder Olympische Spiele stattgefun­den hätten, wäre das für einige zappendust­er geworden. Schön, dass ich jetzt noch mal dabei war. Ich hätte gerne noch mehr gezeigt und geliefert.

Und jetzt müssen Sie Japan fluchtarti­g verlassen?

Kohlschrei­ber: Ja, so ungefähr. Innerhalb von 48 Stunden muss man das olympische Dorf verlassen, also auch Japan. Das finde ich aber gar nicht schlimm, denn es schwebt ja immer so ein bisschen die Angst mit, dass man irgendwo einen positiven Coronatest bekommt und dann zwei Wochen in Quarantäne muss. Das ist die Horrorvors­tellung schlechthi­n. Deswegen packe ich jetzt meine sieben Sachen und fliege nach Hause. Interview: Andreas Kornes

Die Karriere von Philipp Kohlschrei‰ ber neigt sich dem Ende entge‰ gen. Der 37‰Jährige Augsburger un‰ terlag zum Olympia‰Auftakt gegen den French‰Open‰Finalisten Stefanos Tsitsipas mit 3:6, 6:3, 3:6. In der Tenniswelt­rangliste liegt Kohlschrei‰ ber auf Platz 112.

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Foto: Seth Wenig, dpa Philipp Kohlschrei­ber ärgerte sich über seine knappe Niederlage gegen den Griechen Tsitsipas.

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