Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kein Platz für Tiny Houses in Augsburg?
Wally Heilgemeir hätte gerne ihr eigenes Haus, es soll nur 27 Quadratmeter groß sein. Trotzdem ist die Suche nach einem Grundstück schwierig. Die Stadt betont, dass Mehrfamilienhäuser auf gleicher Fläche mehr Wohnraum bieten
Wally Heilgemeir hat einen großen Wunsch: Sie möchte in Augsburg oder der Region ein Tiny House – also ein sehr kleines Haus – bauen und es zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewohnen. Mit einem Schreiner hat sie bereits gesprochen, wie das 27 Quadratmeter kleine Domizil einmal aussehen könnte, und plant bereits, wie sie die maximal 200 Teile, die dann in diesem Haus Platz haben, unterbringen will. Dass ihr und ihrem Partner die rund drei mal neun Meter große Behausung einmal zu eng werden könnte, glaubt sie nicht. „Wir können nicht mehr in diesen Größenordnungen wohnen wie bisher. Wir müssen uns einschränken und unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ich will später nicht von meinen Enkeln hören: ,Oma, wo warst du damals?‘“, begründet Heilgemeir ihr Vorhaben. Doch die Umsetzung ist alles andere als einfach. Ist für die kleinen Häuser etwa kein Platz?
Ihr eigenes Haus mit rund 160 Quadratmetern hat Wally Heilgemeir schon verkauft, auch weil ihr die Haus- und Gartenarbeit irgendwann zu viel geworden ist. Derzeit lebt sie – unter anderem wegen ihres Rheumas – Teile des Jahres in Spanien. Wenn sie in Deutschland ist, kommt sie bei einer Freundin oder aktuell bei ihrem Sohn unter. Das sei aber keine Dauerlösung.
Doch die Suche nach einem Grundstück läuft zäh. Gespräche mit Bürgermeistern und Bauern verliefen ohne Ergebnis. Grundsätzlich abgelehnt werden kann der Bau eines Tiny Houses zwar nicht, aber auch für die Errichtung solcher Mini-Häuser gibt es Vorschriften. Zunächst einmal braucht es eben ein Grundstück, das der Bauherr pachten oder kaufen muss. Dazu gelten gleiche Vorschriften wie bei einem gewöhnlichen Neubau. So müssen Abstandsflächen eingehalten und Stellplätze geplant werden, das Gebäude muss ans Straßennetz und an Wasser und Storm angeschlossen sein. Auch Themen wie Brandschutz sind zu beachten. „Dies bedeutet, dass für die Zulassung eines solchen Bauvorhabens zwingend das Vorhandensein eines Baugrundstücks im planungsrechtlichen Sinne erforderlich ist“, lässt das Stadtplanungsamt wissen. Heißt aus dem Verwaltungsdeutsch übersetzt: Man kann das Tiny House nicht einfach auf eine Wiese stellen. Doch Baugrundstücke im Stadtgebiet sind äußerst knapp und sehr teuer.
Sie sei das Thema mit viel positiver Energie angegangen, rückblickend vielleicht etwas zu naiv, sagt Heilgemeir. „Ich dachte, es muss doch Grundstücke geben, die die Stadt vielleicht wegen ihres Zuschnitts oder der geringen Größe nicht sinnvoll nutzen kann und daher gerne an mich abgibt“, erzählt sie. Bei ihrer Recherchetour musste sie auch erst lernen, dass es ebenso unmöglich ist, das Haus einfach auf eine landwirtschaftliche Fläche oder in den großen Garten einer Freundin zu bauen.
Heilgemeir glaubt, dass sie nicht die Einzige ist, die gerne ein Tiny House in Augsburg errichten würde. Einen großen Ansturm spürt die Stadt zumindest eigenen Angaben zufolge aber bis jetzt nicht. Es habe bislang nur vereinzelt informelle Anfragen gegeben, so die Auskunft. In den zurückliegenden fünf Jahren sei keine entsprechende Baugenehmigung erteilt worden. Bei der Stadt sieht man den Bau von Tiny Houses ohnehin kritisch. Tiny Houses seien zwar klein, aber, was den Bodenverbrauch angeht, trotzdem nicht effizient. Jedes konventionelle Mehrfamilienhaus schneide besser ab, was das Verhältnis von Wohnungszahl und Größe des Grundstücks betrifft. Auch Erschließungskosten seien anteilig hoch. Für Großstädte mit dringendem Wohnbedarf wie Augsburg sei dieses Modell daher „keine stadtentwicklungspolitisch vertretbare Antwort“auf die aktuelle Wohnungsnot. Deshalb seien in Augsburg auch keine Flächen dafür vorgesehen. Dass es kaum erschlossene Flächen für diesen Zweck gibt, merkten im vergangenen Jahr auch die Bewohner der „Wilden Siedlung“in Lechhausen. Das Bauwagendorf, im Grund auch Tiny Houses, musste dort weichen, nachdem es mehr als zehn Jahre unbemerkt von der Stadtverwaltung in einem Wäldchen an der Großen Ostumgehung bestanden hatte. Baurecht bestand dort nie, Trink- und Abwasseranschluss gab es auch keinen. Die Suche nach einer
Ersatzfläche verlief ohne Ergebnis – Ende vergangenen Jahres wurde die Siedlung aufgegeben.
Für Wally Heilgemeir heißt das auch, dass es in Augsburg auf absehbare Zeit auch keine eigene Siedlung für Tiny Häuser geben wird, wie es sich die Rentnerin als Idealvorstellung wünschen würde und wie eine solche ab Herbst in Rennertshofen im Landkreis Aichach-Friedberg entstehen soll. Ganz aufgeben will die Frau ihren Traum dennoch nicht. „Ein halbes Jahr nehme ich mir noch, um doch noch ein passendes Grundstück zu finden“, setzt sie sich selbst einen Zeitplan. Schließlich sei ein Tiny House nicht einfach nur eine verrückte Idee, sondern Wohnraum für Menschen.
Im vergangenen Jahr wurden in Augsburg mit 1543 Wohnungen in neuen Wohngebäuden so viele Neubauten wie seit 2011 nicht mehr genehmigt, so jetzt veröffentlichte Zahlen des Statistischen Landesamtes. Allerdings werden seit einigen Jahren weniger Wohnungen gebaut, als genehmigt worden sind – es herrscht Baustau. Einer der Gründe dürften fehlende Kapazitäten am Bau sein, die jetzt durch Rohstoffmangel in der Corona-Krise noch verschärft werden. Im Jahr 2020 wurden in Augsburg 824 neue Wohnungen fertiggestellt. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren von der Stadt 1470 neue Wohnungen genehmigt worden, von denen also nur ein Teil im Folgejahr fertig wurde. Insgesamt gab es in Augsburg zum Ende des Jahres 2020 rund 150.000 Wohnungen in Wohngebäuden. Gestiegen ist in den vergangenen Jahrzehnten der Anteil der Einund Zwei-Zimmer-Wohnungen. Gleichzeitig stieg dadurch auch die Wohnfläche pro Kopf. Sie geht seit Ende der 1990er-Jahre in Augsburg nach oben, zuletzt gab es aber einen leicht rückläufigen Trend – womöglich aufgrund des Wohnungsmangels und dichterer Belegung, womöglich auch, weil die Zahl der Apartments zuletzt massiv nach oben ging. Rein rechnerisch ist eine Augsburger Wohnung aktuell durch etwa zwei Personen belegt. Vor 60 Jahren waren es noch gut drei Personen.