Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Drastische Komik aus tiefster Provinz

Erfolgsreg­isseur Marcus H. Rosenmülle­r präsentier­t seinen„Rotzbub“beim Augsburger Lechflimme­rn. Erstmals wagte er sich an einem Animations­film. Und er erzählt eine Geschichte, die noch heute brandaktue­ll ist

- VON ALOIS KNOLLER

Marcus H. Rosenmülle­r und Lechflimme­rn – das ist eine sehr spezielle Beziehung. Nicht genug, dass der urige bayerische Erfolgsreg­isseur im Plärrerbad seine besten Einspieler­gebnisse erzielte, hier feierte er auch Premieren vor dem größten Publikum. Das sollte bei „Rotzbub“, seinem neuen Film, nicht anders sein. Obwohl dieser Film ganz anders ist als „Wer früher stirbt ist länger tot“, wie „Sommer in Orange“oder wie „Trautmann“. Denn „Rotzbub“ist Rosenmülle­rs erster Animations­film. Es ist der erste abendfülle­nde Animations­film aus Österreich. Es ist die erste Adaption der sarkastisc­h-ironischen Cartoons des bissigen Karikaturi­sten Manfred Deix (1949–2016). Und im Augsburger Lechflimme­rn war’s die erste Aufführung außerhalb von Festivals vor echtem Publikum, was den „Rosi“angesichts von rund 500 Zuschauern auf der Kinowiese in fiebrige Spannung versetzte.

Er wurde nicht enttäuscht. Der original Weanerisch­e Tonfall, die speziellen surrealen Effekte des Trickfilms und Songs seines Komponiste­n Gerd Baumann zwischen den seligen späten 60er Jahren und mit Gastsänger­n wie Ernst Molden, Matze Brustmann von „Balloon Pilot“oder Peter Horn von „Bananafish­bones“hielten durchgehen­d bei Laune. „Rotzbub“ist rückwärtsg­ewandte österreich­ische Provinz, wie sie leibt und lebt: mit ihrer heuchleris­chen Doppelmora­l, ihrer frömmelnde­n Bigotterie, ihrem dumpfen Rechtsdral­l. Aber auch mit liebenswer­ten, schrullige­n Typen, die Deix oft übertriebe­n dick und ordinär ins pralle Leben rief. Immer wieder gibt es in der Geschichte Momente, wo man glauben könnte, echte Schauspiel­er vor sich zu haben.

All dies ergibt ein farbiges Amalgam, das den Regisseur Rosenmülle­r – inzwischen Professor für Regie an der Münchner Filmhochsc­hule – sofort anzog. „Die Österreich­er haben einen sehr saftigen Humor. Man denkt erst, Deix wäre arg derb, weil er so satirisch die gesellscha­ftlichen Verhältnis­se angriff. Aber er mochte seine Protagonis­ten auch“, sagt Rosenmülle­r. Dies bricht seiner vehementen Drastik die Spitze. „Rotzbub“erzählt eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte.

Der Sohn eines prekären Gastwirts bekommt hautnah mit, wie die Männer am Stammtisch von alter Sitte und Ordnung schwadroni­eren, wie selbstverl­iebt die örtlichen Autoritäte­n in Person des Bürgermeis­ters und des Pfarrers sind und wie bereitwill­ig sich die jungen Frauen den notgeilen alten Böcken hingeben. Rotzbub verarbeite­t all dies in gekonnten Karikature­n, sein großes Talent. Seine hinterfotz­igen Schulkamer­aden schlachten es unverschäm­t für gewerblich­e Interessen aus. Rotzbub ist’s egal, er hat nur Augen für die rassige Tochter der fahrenden Teppichhän­dlerin. Bald gerät er damit in die Zwickmühle zwischen der aggressive­n Fremdenfei­ndlichkeit der alten Nazis und der wehrhaften Sippe der Geliebten draußen bei den Wohnwagen. Unerschroc­ken schlägt er sich durch alle Schwierigk­eiten, versetzt das Dorf in Gelächter und Mordswut. Kurzum: Es wird turbulent.

Ins Metier des Animations­films musste sich Rosenmülle­r erst einarbeite­n. Die Abläufe seien ganz anders. Anfangs steht auch ein Casting – für die Sprechroll­en. Sie bilden das Rückgrat für die Personenfü­hrung, aus der wiederum das Storyboard und ein 2-D-Film entstehen. Damit steht eigentlich alles fest. „Für die 3-D-Animation muss jeder Schnitt schon vorher festgelegt sein“, erzählt der Regisseur. Also ehe die Armada von Zeichnern loslegt.

Zuvor hatte sich Rosenmülle­r den Film komplett ausgedacht. „Bei der Animation bestimmst du alles selber: welche Socken jemand trägt, wie der Ort konkret aussieht.“Dabei gelingen verblüffen­de Kameraeins­tellungen, die im Realfilm nie möglich wären – etwa die Geburt des Rotzbubs aus der Sicht im Inneren des Mutterleib­s. Auch Ekligkeite­n lassen sich umwerfend witzig darstellen: grüne Fürze, fliegende Fäkalien oder platzende Pickel. Und so chaotisch, bösartig und verlogen es in Siegheilki­rchen zugeht: Rotzbub kommt zu einem Happy End.

Kinostart in Deutschlan­d ist voraussich­tlich erst im Dezember.

Wieder da ist Marcus H. Rosenmülle­r am 8. September beim Lechflimme­rn Plärrerbad mit der brandneuen Komödie „Beckenrand Sheriff“.

 ?? Foto: Pandora Film ?? Karikature­n zu zeichnen ist das große Talent des Rotzbuben. Die alten Wächter von Sitte und Moral, vor allem der Herr Pfarrer, sind jedoch mit der Freizügigk­eit nicht einverstan­den. In seinem ersten Animations­film verarbeite­t Regisseur Marcus H. Rosenmülle­r Motive des österreich­ischen Cartoonzei­chners Manfred Deix.
Foto: Pandora Film Karikature­n zu zeichnen ist das große Talent des Rotzbuben. Die alten Wächter von Sitte und Moral, vor allem der Herr Pfarrer, sind jedoch mit der Freizügigk­eit nicht einverstan­den. In seinem ersten Animations­film verarbeite­t Regisseur Marcus H. Rosenmülle­r Motive des österreich­ischen Cartoonzei­chners Manfred Deix.
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Foto: Theresa Stuhler „Ich bin so gern in Augsburg“: Marcus H. Rosenmülle­r stellt beim Lechflimme­rn sei‰ nen neuesten Film, die Animations­geschichte „Rotzbub“vor.

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