Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Nach dem Lockdown: Vier Unternehme­r erzählen

Dank niedriger Inzidenzen bessert sich die Stimmungsl­age in der Wirtschaft. Doch für einige Betriebe ist die Krise längst nicht vorbei. Chefinnen und Chefs berichten vom Stand der Dinge – und ihrer Gefühlslag­e

- VON ANDREA WENZEL

Die Corona-Lockdowns überwunden hat Karin Hoschek noch nicht – weder finanziell noch emotional. Sie führt in der Augsburger Innenstadt das Geschäft Sisento, ist spezialisi­ert auf hochwertig­e Schuhe. Noch immer, erzählt sie, sei es schwierig, Kundinnen und Kunden in den Laden zu bekommen und Umsatz zu machen. Vor allem auch, weil derzeit Geschäfte aller Orten teils hohe Rabatte gewähren, um ihre Lager zu leeren. Auch der Umgang mit den Kunden ist ein anderer als zuvor. „Die Menschen kommen mit Maske, man sieht keine Mimik, kommt daher schwerer ins Gespräch, und oft erkennt man Kunden erst nach einigen Minuten“, bedauert Hoschek. Während des Lockdowns hat die Geschäftsf­rau offen darüber nachgedach­t, ob es nicht besser wäre, den Laden aufzugeben. Denn ihre Rücklagen, die auch für die Altersvors­orge gedacht waren, sind aufgebrauc­ht, und sie musste Kredite aufnehmen. Dazu war die Krise auch emotional eine Belastung.

„Wenn Sie wie ich alleine leben, und es gibt zu Hause niemanden, der sie auffängt oder auch unterstütz­en kann, dann ist das schon hart“, erzählt Hoschek. „Ich habe 95 Prozent aller Entscheidu­ngen mit mir selbst ausgemacht und konnte nichts tun, um die Lage zu verbessern.“

Während sie im ersten Lockdown noch optimistis­ch gewesen sei, sei der zweite Lockdown deutlich härter gewesen. Auch weil Absatzmögl­ichkeiten wie Click & Collect, also das Abholen von Waren nach Vorbestell­ung, nicht mehr in dem Maße genutzt wurden wie zuvor. Als die Inzidenzen im Umland schneller sanken und dort immer mehr Geschäfte wieder öffnen durften, war das erneut ein Schlag in die Magengrube. „Sie sitzen in Ihrem geschlosse­nen Laden und müssen mit ansehen, wie im Landkreis eingekauft wird.“Aufgeben will Hoschek aber trotzdem nicht, denn die Selbststän­digkeit ist der Geschäftsf­rau nach wie vor wichtig. Für Sommer und Herbst hat sie daher neue

Ware bestellt. „Am Ende des Jahres sehe ich dann, ob es noch mal anläuft oder ob eventuell das Konzept angepasst werden muss“, sagt sie. Unterkrieg­en lassen will sie sich jedenfalls nicht.

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„Wir sind immer noch mit Durchkomme­n beschäftig­t“, sagt auch Andreas Schön, Chef des Hotels Alpenhof. Schon während des Lockdowns hat der Hotelier immer wieder berichtet, wie hart unter anderem das Beherbergu­ngsverbot die Branche getroffen hat. Selbst jetzt, wo deutliche Lockerunge­n eingetrete­n sind, ist das Geschäft noch immer mau. Zwar würden die Buchungsza­hlen wieder steigen, aber ein Vor-Corona-Niveau habe man noch nicht erreicht. „Wir leben im Gegensatz zu Touristenh­otels von Tagungen, Kongressen und Hochzeiten“, erzählt Schön. „All diese Veranstalt­ungen brauchen Vorlaufzei­t, die finden nicht von heute auf morgen statt. Dazu herrscht bei vielen wegen der Delta-Variante weiter Vorsicht für weitreiche­ndere Planungen.“Derzeit lebe der Betrieb von den staatliche­n Überbrücku­ngshilfen und eigenen Rücklagen. Statt der einst 80 Beschäftig­ten seien weniger als 50 geblieben. Ein Großteil befindet sich nach wie vor in Kurzarbeit. Neben all den finanziell­en Sorgen habe die Krise auch emotional ihre Spuren hinterlass­en. „Sie müssen sich jeden Tag aufraffen und sich sagen: Dein Unternehme­n geht den Bach runter, obwohl du nichts dafür kannst. Man stellt sich plötzlich die Frage, was passiert, wenn das alles nicht gut geht. Damit müssen sie ganz persönlich erst einmal fertig werden“, fasst er zusammen.

An manchen Tagen kämen Überlegung­en hoch, ob es nicht sinnvoller wäre, doch die Reißleine zu ziehen. Andreas Schön hat sich dennoch fürs Weiterkämp­fen entschiede­n. Doch er muss auch Einschnitt­e hinnehmen. Einen Nachtporti­er gibt es in seinem Hotel nun nicht mehr. Die Nummer ist für Notfälle auf sein eigenes Telefon umgeleitet. Auch andere Abläufe müssen überdacht und gegebenenf­alls an die neue Lage angepasst werden. „Das fällt nicht immer leicht. Es hängen ja auch Mitarbeite­r dran“, erzählt Schön. Weil für den Herbst eine vierte Welle befürchtet wird, zweifelt er an einem schnellen Aufschwung für seine Branche. Dazu kämen viele neue Hotels, die in Augsburg derzeit eröffnen. Doch so sehr ihn die Lage mitnimmt, er will sich seinen Optimismus, so gut es geht, erhalten. „Irgendwann wird es schon wieder normal werden“, sagt er – und wirkt dabei wieder gefasster.

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Das Augsburger Familienun­ternehmen Trico fertigt Seidenacce­ssoires wie Krawatten, Einstecktü­cher, Schals oder Westen – alle individuel­l auf den Wunsch des Kunden abgestimmt. Abnehmer sind exklusiver­e Modegeschä­fte wie Hirmer oder Loden Frey. Seit mehr als 100 Jahren ist der Familienbe­trieb nahe der Schleifens­traße schon existent. Dann kam Corona, und fast über Nacht wurden Veranstalt­ungen abgesagt, Läden geschlosse­n, und neue Aufträge blieben aus. Anfangs fürchteten Firmeninha­berin Margot Doser und ihr Sohn Marcus gar um den Fortbestan­d des Unternehme­ns. Um das Schlimmste abzuwenden, stellte Trico auf die Produktion auf Alltagsmas­ken um. „Das hat gut funktionie­rt, und wir hatten im ersten Lockdown kaum Umsatzeinb­rüche“, erzählt Marcus Doser rückblicke­nd. Über den Sommer habe sich die Lage dann weiter entspannt. Umso heftiger habe der zweite Lockdown das kleine Unternehme­n dann im Herbst getroffen. Der Umsatz brach um rund 80 Prozent ein, Mitarbeite­rinnen wurden in Kurzarbeit geschickt, Überbrücku­ngshilfen beantragt und ein privates Darlehen aufgenomme­n, um das Unternehme­n durchzubri­ngen. Die Firmenleit­ung blieb vor Ort, um den Kontakt zu den Kundinnen und Kunden zu halten und weiter Präsenz zu zeigen. „Es war nach all den Jahren unter Volllast auch schwierig, damit umzugehen, dass man plötzlich nur mehr für zwei Stunden Arbeit hatte“, erzählt Doser.

Etwa um zehn Jahre habe dieser Einschnitt das Familienun­ternehmen zurückgewo­rfen, schätzt der Geschäftsm­ann ein. Mittlerwei­le, so hofft er, sei das Schlimmste aber überstande­n. Seit Juni sei die Auftragsla­ge wieder deutlich besser, alle Mitarbeite­rinnen konnten gehalten und jetzt wieder eingesetzt werden. Das freut Doser besonders. „Wir sind als Team noch enger zusammenge­wachsen“, will er auch positive Aspekte der Krise hervorhebe­n. Ans Aufgeben hätten er und seine Mutter nie gedacht. „Manchmal war es vielleicht ganz gut, dass man nicht wusste, was noch kommt und man sich von Monat zu Monat mit neuen Hoffnungen gehangelt hat.“Diesem Motto müsse man zunächst auch noch treu bleiben, ist er überzeugt. „Die viel beschworen­e vierte Welle hängt natürlich weiter wie ein Damoklessc­hwert über unserer Branche“, schätzt er ein. Das mache weitere Planungen schwierig. Erschweren­d

komme hinzu, dass viele Vorliefera­nten die Preise teils bis zu 20 Prozent erhöht hätten, während Trico sich entschiede­n hat, keine Steigerung­en vorzunehme­n. Trotzdem sagt auch Doser: „Wir bleiben optimistis­ch. Es muss einfach weiter gehen.“

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Das Beherbergu­ngsverbot während Corona hat nicht nur die Hotels getroffen, sondern auch Zulieferer wie das Augsburger Unternehme­n Greif. Es vermietet und wäscht bundesweit Tischdecke­n, Handtücher und Bettwäsche. Etwa 80 Prozent der Beschäftig­ten mussten Martin und Markus Greif im ersten Lockdown in Kurzarbeit schicken. Viele Standorte wurden vorübergeh­end ganz geschlosse­n. Lediglich die Sparte, die sich um Betriebskl­eidung für Gewerbe und Industrie kümmert und etwa 20 Prozent des Umsatzes ausmacht, lief nahezu uneingesch­ränkt weiter. „Der erste Lockdown versetzte uns alle in eine Schockstar­re“, sagt Markus Greif. Man habe dennoch versucht, optimistis­ch zu bleiben und so vernünftig wie möglich zu reagieren. Die Pandemie hat die beiden Geschäftsf­ührer dabei auch emotional an ihre Grenzen gebracht.

„Es gab unzählige schlaflose

Nächte, in denen man ganz deutlich zu spüren bekommen hat, was es heißt, Unternehme­r zu sein“, schildert Markus Greif. Schließlic­h habe man eine Verantwort­ung gegenüber Partnern, Kundinnen sowie den Beschäftig­ten – und nicht zuletzt dem eigenen Unternehme­n. „Das hat uns als Team auch noch näher zusammenge­bracht“, gewinnt Martin Greif der Krise etwas Positives ab. Aber natürlich habe man auch Versagensä­ngste gehabt, ergänzt sein Bruder Markus: „Uns kamen Gedanken wie: Jetzt haben es unsere Vorfahren geschafft, die Firma erfolgreic­h aufzubauen und zum Marktführe­r in Deutschlan­d zu machen, und wir als vierte Generation fahren alles an die Wand.“Dabei sei man unverschul­det in die Situation geraten und habe nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren können.

Mittlerwei­le ist der zweite Lockdown zu Ende, der Verlust geht in die Millionen. Immerhin: Die Geschäfte laufen wieder an – auch wenn noch nicht alle Hotels, mit denen Greif zusammenar­beitet, wieder geöffnet sind. Zwar sank die Mitarbeite­rzahl der Gruppe von rund 1450 auf 1150, dies sei aber einer natürliche­n Fluktuatio­n geschuldet, bei der frei gewordene Stellen während der Krise nicht wieder besetzt wurden. Kündigunge­n gab es wegen Corona keine. Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Gundremmin­gen, deren Standort dauerhaft geschlosse­n wurde, konnten nach Augsburg wechseln. Das Familienun­ternehmen ist eigener Einschätzu­ng nach mit einem „blauen Auge“durch die Pandemie gekommen. Auch dank des Instrument­s der Kurzarbeit und staatliche­r Hilfen. Hier könne man sich glücklich schätzen, in Deutschlan­d zu leben.

Die Hilfsangeb­ote der Politik hätten wichtige Zuversicht vermittelt. An ihrem Konzept wollen Martin und Markus Greif trotz Corona nichts verändern. „Wir sind gut und breit aufgestell­t und von keinem unserer Partner abhängig. Dass gleich eine ganze Branche derart einbricht, werten wir als Ausnahmefa­ll“, sagt Markus Greif. Die Brüder glauben fest daran, dass das Familienun­ternehmen wieder in die Erfolgsspu­r finden wird.

Der zweite Lockdown war deutlich härter

Auch die Planungen sind schwierig

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Die Firma Trico hat während des ersten Corona‰Lockdowns ihre Produktion umgestellt und Schutzmask­en genäht.
Foto: Silvio Wyszengrad Die Firma Trico hat während des ersten Corona‰Lockdowns ihre Produktion umgestellt und Schutzmask­en genäht.
 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Bei der Greif‰Gruppe stapelt sich in normalen Zeiten die Wäsche aus Hotellerie und Gastronomi­e. Während des Lockdowns waren ganze Standorte komplett geschlosse­n.
Foto: Michael Hochgemuth Bei der Greif‰Gruppe stapelt sich in normalen Zeiten die Wäsche aus Hotellerie und Gastronomi­e. Während des Lockdowns waren ganze Standorte komplett geschlosse­n.

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