Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Den Apfelbaum im Sommer schneiden?

Bernhard Frey zeigt in Zusmarshau­sen den richtigen Schnitt von Obstbäumen und erklärt, warum bereits in der warmen Jahreszeit geschnitte­n werden sollte

- VON HELENE WEINOLD

Zusmarshau­sen‰Vallried Obstbäume im Sommer schneiden? Das Thema des ersten Kurses, zu dem der Obstund Gartenbauv­erein Zusmarshau­sen nach vielen Monaten CoronaPaus­e einlud, kam manch einem ziemlich seltsam vor. Werden Obstbäume nicht seit jeher im Winter geschnitte­n und im Sommer allenfalls Wassertrie­be entfernt? Bernhard Frey, Kreisfachb­erater für Gartenkult­ur und Landespfle­ge am Landratsam­t Augsburg, erklärt, warum der Sommerschn­itt im Obstanbau viele Vorteile hat.

„Wir müssen den Baum verstehen und wissen, wie er als Lebewesen funktionie­rt“, sagt Frey. Zum Beispiel, dass Wasser durch das Kapillarpr­inzip entgegen der Schwerkraf­t bis in die obersten Zweige des Baumes befördert wird. Oder dass der höchste Trieb, der am besten versorgt wird, auch am stärksten wächst. Diesem Leittrieb, „dem Chef“, machen seitliche Triebe Konkurrenz, die ebenfalls nach oben ans Licht und zu bestmöglic­her Versorgung streben. Der Gärtner jedoch ist weniger am Höhenwachs­tum des Baumes als an den Seitenknos­pen interessie­rt, an denen Blüten und später Früchte erscheinen: „Wir wollen einen Baum, der Früchte trägt, aber nicht unendlich hoch wird.“

Deshalb müsse ein junger Baum durch einen durchdacht­en Erziehungs­schnitt in die richtige Form gebracht und ein älterer Baum durch den Pflegeschn­itt ausgelicht­et werden. So können Laub und Früchte nach Regen rasch abtrocknen und gesund bleiben. Bernhard Frey warnt allerdings eindringli­ch davor, des Guten zu viel zu tun: „Dann wird der Baum wild.“Das bedeutet: Wenn er zu radikal zurückgesc­hnitten wird, bildet er Paniktrieb­e, die sogenannte­n Wassertrie­be, aus, um möglichst rasch Blätter zu bekommen und Sonnenlich­t in Energie umwandeln zu können. Der Baum wächst in die Höhe, statt Seitentrie­be, also Fruchtholz, zu produziere­n.

Wenn das bereits passiert ist und aus der Baumkrone unzählige vertikale Wassertrie­be emporragen, rät der Fachmann zur Drittellös­ung: „Ein Drittel der Wassertrie­be entfernen, ein Drittel um jeweils ein Drittel ihrer Länge einkürzen und das letzte Drittel in Ruhe lassen. Darum kann man sich dann im folgenden Jahr kümmern.“Die Bäume im Sommer zu schneiden, empfiehlt Frey aus mehreren Gründen: Erstens hat der Baum sein Längenwach­stum dann für das jeweilige Jahr schon abgeschlos­sen, sodass die Fruchttrie­be gefördert werden, und zweitens heilen die Schnittwun­den im Sommer erheblich schneller und leichter. Warum aber werden Obstbäume seit Generation­en im Winter geschnitte­n? Ein Kursteilne­hmer weiß spontan die Antwort: „Weil die Bauern und Gärtner im Winter Zeit dazu hatten.“Außerdem seien die Äste und die Struktur des unbelaubte­n Baumes leichter zu erkennen, räumt Bernhard Frey ein.

Worauf es beim Schneiden ankommt, demonstrie­rt er anschließe­nd an einem Zwetschgen­baum und zwei Apfelbäume­n, definiert hier einen neuen Leittrieb als Verlängeru­ng des Stammes nach oben, kappt dort Konkurrenz­triebe, entfernt mit geübter Hand Wassertrie­be und sägt auch mal einen störenden Ast ganz ab.

Auf reifende Äpfel muss er in diesem Jahr keine große Rücksicht nehmen: Wegen des nasskalten Frühjahrs trägt der Baum kaum Früchte. „Es geht darum, den Baum möglichst wenig zu beschädige­n, also Schnittwun­den kleinzuhal­ten und so anzulegen, dass der Baum sie leicht mit Rinde überwallen kann“, erläutert Frey. „Auf keinen Fall dürfen sogenannte Kleiderhak­en stehen bleiben.“

Die Aststummel oder „Kleiderhak­en“werden vom Baum nicht mehr versorgt, sodass die Schnittste­lle nicht heilt, sondern im schlimmste­n Fall sogar von Mikroorgan­ismen befallen wird und fault. Bernhard Frey zeigt, wie die Säge oder Schere so angesetzt wird, dass nur der Astring übrig bleibt, von dem aus der Baum die Schnittwun­de beim sommerlich­en Dickenwach­stum mit Rinde überwallen kann. Nach gut zwei Stunden stehen die Zuhörer in einem Berg von Ästen, Zweigen und Laub vor deutlich ausgelicht­eten und klarer strukturie­rten Bäumen und drängen nach Hause – nicht nur, weil inzwischen Regen einsetzt, sondern auch, um ihren eigenen Obstbäumen den Sommerschn­itt zu verpassen, für den Ende Juli bis Anfang August die beste Zeit ist.

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Fotos: Helene Weinold So ist es richtig: Bernhard Frey schneidet den Kleiderhak­en bis zum Astring zurück, sodass die Wundheilun­g gefördert wird und der Baum die Schnittwun­de rasch mit Rinde überwallen kann.
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Hier wurde vor Jahren falsch geschnit‰ ten: Weil der übrig gebliebene Kleider‰ haken nicht mehr vom Baum versorgt wurde, ist die Schnittwun­de nicht mit Rinde überwallt.
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Interessie­rt verfolgten die Gartenfreu­n‰ de, wie Bernhard Frey einen Apfelbaum nach allen Regeln der Kunst auslichtet­e.

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