Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Neuheiten in der Sammlung: Damit haben Handwerker früher gearbeitet
Wie sahen die Werkzeuge vor langer Zeit aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Bauarchiv in Thierhaupten. Nun hat die Sammlung wertvollen Zuwachs erhalten
Thierhaupten Heute werden Arbeitsgeräte im Baumarkt gekauft – früher wurden sie häufig selbst angefertigt. Hunderte historische Exponate sind nun neu im Bauarchiv Thierhaupten zu sehen. Ein Sammler hat sie dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, welches dieses Archiv im ehemaligen Kloster betreibt, vermacht. Doch das ist nicht einfach nur eine Erweiterung der vorhandenen Sammlung.
Anton Krauß steht an einer fußbetriebenen Wippdrehbank im Bauarchiv des Klosters Thierhaupten. In der Hand hält er ein Drechseleisen. Während sich das eingespannte Holzstück vor ihm dreht, nutzt er das Eisen, um Formen und Konturen einzuarbeiten. Holzspäne rieseln zu Boden. Es ist eine historische Werkbank, die der Sammler Anton Krauß aus Burghausen da vor sich hat. Heutzutage käme eine solche wohl kaum mehr zum Einsatz, höchstens für besondere Stücke oder in der Denkmalpflege. Werden heute beispielsweise mehrere Streben für ein Treppen- oder Balkongeländer benötigt, würden diese eher maschinell als manuell angefertigt. Drechselbänke sind häufig mit Elektromotoren versehen.
Umso wertvoller ist die Sammlung historischer Werkzeuge, die Anton Krauß dem Bauarchiv Thierhaupten vermacht hat. Es handelt sich um mehrere Hundert Stücke des Schreiner- und Drechslerhandwerks sowie der Forstwirtschaft, die aus der Zeit vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis ins frühe 20. Jahrhundert stammen. Viele der Werkzeuge, die von nun an im Thierhauptener Kloster ausgestellt werden, erkennt man noch heute: Sägen, Bohrer, Messgeräte, Winkel. Die Funktion anderer Stücke wiederum ist nicht auf Anhieb ersichtlich, wie zum Beispiel jene des Schultermessers. Es handelt sich um ein längliches und gebogenes Holzwerkzeug mit einem Messer an der Spitze. „Werden damit Hufe ausgekratzt?“, mutmaßt der ehemalige Schreiner Krauß und klärt sogleich auf: „Mit dem Schultermesser werden Intarsien ins Holz geschnitzt.“Es sind also Muster und Ornamente, die damit auf Holzoberflächen eingekerbt werden können. Unter anderem gehört auch eine Vielzahl von Hobeln mit Sonderprofilen für den Türen- und Fensterbau zur Sammlung, die Anton Krauß dem Bauarchiv nun übergeben hat.
Zusammengetragen wurde das umfangreiche Repertoire über Jahrzehnte hinweg in seiner Schreinerei. Die Werkstatt in der Burghausener Altstadt gehörte vorher bereits seinem Vater und bestand bis 1996.
„Wohin mit der historischen Werkzeugsammlung?“, fragte sich Anton Krauß nach der Schließung. Im Stadtmuseum gab es keinen Platz. Wolfgang Hopfgartner, Heimatpfleger im Burghausener Ortsteil Raitenhaslach, half bei der Vermittlung ans Bauarchiv in Thierhaupten.
Dort habe man erst einmal Platz geschaffen, um die wertvolle Sammlung unterbringen zu können. Julia Ludwar, Leiterin des Bauarchivs, erklärt: „Von nun an können wir bei Fortbildungen und Seminaren zeigen, wie genau die Werkzeugspuren auf den historischen Bauteilen entstanden sind.“Unter anderem bedankte sich Ludwar bei Susanne Nitschel vom Fachbereich Holzkonstruktion, die „die Präsentation der Werkzeuge erdacht hat“.
Begeistert ist auch Eberhard Ludwig vom Verein Restaurator im Handwerk. Möbel oder etwa Profilleisten, die heute in großen Fabriken angefertigt werden, wirkten seiner Meinung nach wie „synthetisch“hergestellt, alle Stücke sähen „genau gleich“aus. Alte Möbel, Fenster oder Türen hingegen seien nicht so perfekt, man erkenne die Spuren der Werkzeuge, und genau das mache ihren Charme aus. Darüber hinaus freut sich Ludwig, dass die umfassende Sammlung an historischen Arbeitsgeräten nicht „zerrissen“worden sei und von nun an im Kloster Thierhaupten in ihrer Gesamtheit zu bewundern sei.
Ebenso sieht das Sammler Anton Krauß, der zuvor in Erwägung gezogen hatte, die Einzelteile auf Flohmärkten zu verkaufen. Seine Leidenschaft für die altertümlichen Sägen, Hobel und auch Schraubschlüssel ist ihm anzumerken. „Früher haben die Handwerker ihre Arbeitsgeräte oft selbst hergestellt“, weiß der Schreiner im Ruhestand – anders als heute, wo der moderne Akkuschrauber einfach im Baumarkt gekauft oder im Internet bestellt wird. Die historischen Werkzeuge, die häufig verziert und mit den eigenen Initialen versehen waren, hätten die Handwerker von damals meist über Jahre hinweg begleitet. Weiterhin schwärmt Krauß: „An den abgenutzten Stellen kann man genau erkennen, wie der Handwerker das Werkzeug in die Hand genommen hat.“Nun freut er sich, dass seine Sammlerstücke nicht einfach ins Schaufenster wanderten, sondern deren Funktion auch demonstriert werde, wenn beispielsweise Berufsschulklassen im Archiv zu Besuch sind.
Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ist mit sechs Dienststellen in Bayern vertreten. Eine davon befindet sich in Gestalt eines Bauarchivs im Kloster Thierhaupten. Getragen wird es vom Freistaat gemeinsam mit dem Bezirk Schwaben. Es besteht aus einem umfangreichen Repertoire historischer Bauteile, wie zum Beispiel Fenster, Türen oder Dachziegel. Die Sammlung
umfasst beinahe 6000 Exponate – somit zählt sie zu den größten dieser Art in Deutschland. Zum Bauarchiv in Thierhaupten gehören auch die Werkstätten der Restaurierungsfachbereiche Holzkonstruktionen und Bauglas sowie mineralische Baustoffe und Mauerwerke. Das Bauarchiv dient als Schnittstelle denkmalpflegerischer Forschung und Praxis.
Moderne Stücke wirken im Vergleich „synthetisch“