Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Was kommt nach dem Inzidenzwert?
Die Auslastung der Kliniken soll nicht der alleinige Maßstab für Einschränkungen sein
Berlin Die vierte Corona-Welle hat begonnen. Die Zahl der Neuinfektionen steigt ungebremst – erst recht, seit in einigen Bundesländern die Schule wieder begonnen hat. Am Mittwoch verzeichnete das RobertKoch-Institut mit 11561 so viele neue Fälle wie zuletzt im Mai. Der Inzidenzwert liegt bundesweit bei 61,3 – doch für die staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie ist er nicht mehr so maßgebend.
Grund für die langsame Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz als alleiniger Richtschnur ist, dass fast 60 Prozent der Bevölkerung geimpft und damit gut vor schweren Krankheitsverläufen geschützt sind. Wichtig ist nun vor allem, dass die Kliniken einer neuen Welle standhalten. Welche Grenzwerte dabei gelten sollen, ist aber noch unklar. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagt: „Sicherlich werden die Neuaufnahmen auf den Stationen und die Belegung der Intensivbetten für den Bewertungsmaßstab eine Rolle spielen.“Um das Pandemiegeschehen einzuschätzen, seien aus Sicht des CSU-Politikers aber noch weitere Parameter notwendig. „Ich denke, die Inzidenz wird in der Gesamtbetrachtung weiterhin eine relevante Rolle spielen, zum Beispiel als Vorwarnwert.“Welche genauen Grenzwerte für den Herbst in Bayern gelten und wie die von Ministerpräsident Markus Söder angekündigte „Krankenhausampel“funktionieren soll, bespricht das Kabinett am Dienstag.
In den heftigsten Phasen der Pandemie lag die Zahl der Krankenhauseinweisungen im Zeitraum von sieben Tagen pro 100000 Einwohner bei mehr als zehn. Zum Vergleich: Aktuell liegt dieser Wert bundesweit bei 1,28. Rund 800 Patienten werden auf Intensivstationen behandelt, 394 müssen beatmet werden. Zwar erkranken auch
Geimpfte, doch bei rund 90 Prozent der Patienten in den Kliniken handelt es sich um Ungeimpfte.
Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens variieren von Bundesland zu Bundesland. Anders als Nordrhein-Westfalen will Bayern weiter an der Kontaktdatenerhebung in Restaurants und Kneipen festhalten. „Von einem Strategiewechsel kann man in Bayern nicht sprechen“, sagte eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums. Gerade mit Blick auf das wieder ansteigende Infektionsgeschehen bleibe weiterhin wichtig, Infektionsketten gezielt zu unterbrechen. In NRW müssen Restaurants, Cafés und Kneipen nicht mehr festhalten, wer von wann bis wann bei ihnen war.
Die FDP hat überdies massive Bedenken gegen einen Ausschluss Ungeimpfter. Bundestagsfraktionsvize Stephan Thomae findet: „Es gibt auch respektable Gründe, sich nicht impfen zu lassen.“Nicht jeder, der eine Impfung ablehne, sei verrückt oder rechtsradikal. Der Bundestag beschloss zudem am Mittwoch die Verlängerung der epidemischen Lage. Sie gibt dem Staat zahlreiche Sonderrechte im Kampf gegen Corona. Wie man in den Schulen mit möglicherweise massiv steigenden Infektionszahlen im Herbst umgehen will, gehört zu den noch ungelösten Problemen. Lehrerverbandspräsident Hans-Peter Meidinger warnt im Interview mit unserer Redaktion davor, „sich jetzt an den Schulen vollständig von Inzidenzen zu verabschieden und beispielsweise nur noch auf die Belegung von Intensivbetten abzustellen“. Die These, dass Schulen am Infektionsgeschehen keinen Anteil hätten, sei noch nie richtig gewesen, auch wenn sie die Kultusministerkonferenz in der Vergangenheit mantrahaft wiederholt habe. „Jetzt, da eindeutig klar ist, dass sich die Deltavariante am schnellsten unter Jugendlichen verbreitet, ist eher das Gegenteil richtig“, sagt Meidinger.
Das ganze Interview finden Sie in der