Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Aus unseren Fehlern lernen andere“
Von den Stauseen bis zur A8: Der Mensch hat die Natur Schwabens verändert. Geschichtsprofessorin Marita Krauss geht den Umweltsünden in einem Sammelband auf den Grund
Frau Krauss, Sie lehren und forschen schon seit 2008 am Lehrstuhl für europäische Regionalgeschichte der Universität Augsburg. Hat Ihnen die Arbeit am neuen Sammelband BayerischSchwaben noch ein Stück näherbringen können?
Marita Krauss: Es gibt immer wieder neue Dinge zu entdecken. Wir haben uns diesmal mit den Umweltaspekten beschäftigt. Angefangen hat es mit einem Buch über den „gezähmten Lech“, das war die Vorgängerpublikation, es folgten viele Seminare zur Landschaftsveränderung durch den Menschen, sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum. So zeigt zum Beispiel das Titelbild unseres Bandes ein Zementwerk mitten in der schönen Natur nahe der Harburg im Landkreis DonauRies.
Für das Buch haben Sie vor allem mit Studierenden und jungen Kollegen und Kolleginnen zusammengearbeitet. Haben junge Menschen einen anderen Blick auf ihre Umgebung?
Krauss: So ein Sammelband ist aufwendig, aber es lohnt sich immer, mit Studierenden zu arbeiten, die dann nach ihrem Studium ein Buch in der Hand haben, in das ihre Arbeit eingeflossen ist. Die Artikel behandeln Fallbeispiele für Landschaftsveränderungen durch den Menschen aus ganz BayerischSchwaben.
Gibt es Erkenntnisse aus dem Sammelband, die Sie besonders bemerkenswert finden?
Krauss: Ein Beitrag ist besonders aktuell und ein Musterbeispiel für eine Regionalstudie: Die Donaustaustufe in Bertoldsheim im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen. Durch die Verlandung hat sich der Stausee stark verändert. Der Hochwasserschutz ist dadurch gefährdet und eigentlich müsste der Stausee ausgebaggert werden. Doch die Vogelschützer wollen ihn als Biotop schützen, denn dort hat sich die Natur einiges zurückgeholt, er ist ein Vogelparadies. Außerdem wird in dem Gebiet mal wieder kontrovers über neue Flutpolder diskutiert. Es konzentrieren sich in einem Beispiel ganz viele Dinge.
Die Eingriffe in die Natur verselbstständigen sich?
Krauss: Genau, das zeigt auch der Beitrag über den Gewerbepark Altdorf in Biessenhofen im Ostallgäu. Biessenhofen ist verkehrsgünstig gelegen und hat sich durch den Ausbau der Infrastruktur stark verändert. Während noch vor ein paar Jahren zwei Kapellen und Wiesen das Landschaftsbild prägten, sind es nun meterhohe Lagerhallen.
Haben wir aus unseren Fehlern im Naturschutz dazugelernt?
Krauss: Die Antwort muss ambivalent ausfallen. Ja, wir haben dazugelernt: Inzwischen ist Schwaben, wie ein Beitrag in unserem Band zeigt, zur „Energielandschaft“für erneuerbare Energien geworden. Doch die vielen Biogas-, Solar- und Windanlagen überformen erneut die Landschaft. So ist es bei vielen dieser Themen, gleich ob bei der Energieversorgung, beim Wassermanagement, bei der Müllentsorgung. Alles hat seinen Preis.
Wir versiegeln auch immer mehr Flächen. Die Infrastruktur scheint Fluch und Segen Schwabens zu sein?
Krauss: Ja. Wir kennen alle das Zubetonieren der Landschaft. Das zeigt sich zum Beispiel an Autobahnkreuzen. In meinem Artikel über die Verkehrsentwicklung sieht man, dass sich innerhalb von einigen
Jahren neben einer großen Tangente, der A8, viele weitere Autobahnen und autobahnähnliche Schnellstraßen entwickelt haben. Aus Oberstdorf kommend hatte man früher den ersten Autobahnanschluss in Augsburg Ost und die Firmen sind mit ihren Lastwagen ewig über Landstraßen gebrettert. Das kann auch nicht die Lösung sein. Einerseits schaffen es Verkehrsachsen, die grundgesetzlich geforderte Gleichheit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land herzustellen. Auf der anderen Seite tragen diese Maßnahmen zur Flächenversiegelung bei und verändern die Umgebung stark.
Vier Beiträge werfen einen vergleichenden Blick nach Ostmitteleuropa. Es geht darin auch um dem Umgang mit Müll und um die Trinkwasserversorgung. Da sind die Unterschiede doch sehr groß, oder?
Krauss: Im Buch finden Sie Bilder von einem Hausbrunnen in Leitershofen von 1922 und von der noch heute durch Brunnen gewährleisteten Trinkwasserversorgung in den Dörfern der Bukowina. Wir sind im Sinne des modernen Fortschritts natürlich Jahrzehnte voraus, aber das
Oheißt nicht, dass wir keine Fehler gemacht haben.
Die Menschen an Europas Außengrenzen sollen aus unseren Fehlern lernen?
Krauss: Unser Anliegen war es nicht zu zeigen, wie schön der Forggensee oder toll die Müllverbrennungsanlage in Kempten ist. Wir müssen selbst umweltfreundlichere Alternativen entwickeln. Und vielleicht lernen die Menschen in Rumänien nicht nur aus unseren Fehlern, sondern überspringen die Umweltsünden, die wir auf unserem Weg zu mehr Naturschutz begangen haben. Und ich hoffe, dass das Buch hierzu seinen Beitrag leisten kann. Band Landschaft. Umwelt. Identität. Die Region BayerischSchwaben im Vergleich, Marita Krauss/Stefan Lindl (Hrsg.), ISBN 9783862223909, Volk Verlag, 29 Euro
Prof. Dr. Marita Krauss, 56, ist Lehrstuhlinhabe rin für Europäische Regio nalgeschichte an der Universität Augsburg.