Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kein Auftakt nach Maß

Die deutsche Nationalma­nnschaft quält sich bei der Premiere von Hansi Flick zu einem 2:0-Erfolg in Liechtenst­ein. Lange Zeit fehlen Tempo und Ideen

- VON MARCO SCHEINHOF

St. Gallen Falls es Hansi Flick noch nicht bewusst war, wurde er spätestens am Donnerstag­abend noch einmal eindringli­ch darauf hingewiese­n. Flick ist der große Hoffnungst­räger im deutschen Fußball. Als er am Donnerstag­abend eine Dreivierte­lstunde vor Spielbegin­n nach einem TV-Interview an den Tribünen vorbeilief, erhoben sich die Zuschauer in St. Gallen. Sie jubelten dem neuen Bundestrai­ner zu. Flick winkte artig zurück.

Etliche deutsche Fans waren in die Schweiz zur WM-Qualifikat­ionspartie gegen Liechtenst­ein gereist. Sie wollten das Debüt von Flick miterleben. Sie wollten dabei sein, wenn ein neues Kapitel im deutschen Fußball beginnt. Von der Aufbruchst­immung aber ist nicht mehr viel übrig. Lange Zeit war es ein zäher Auftritt der deutschen Nationalma­nnschaft. Immerhin stand am Ende ein 2:0 (1:0)-Erfolg vor 7958 Zuschauern.

Flick und sein Kapitän Joshua Kimmich hatten vor der Partie ein klares Ziel formuliert. Die Partie gegen Liechtenst­ein, den Fußballzwe­rg, muss nicht nur gewonnen werden, sie muss hoch gewonnen werden. Flick will die deutsche Mannschaft rasant spielen lassen. Früh attackiere­n, Bälle gewinnen, umschalten und schneller Abschluss – so soll die Zukunft aussehen. Gegen Liechtenst­ein aber war klar, dass die DFB-Elf viel Ballbesitz haben wird. Um den sinnvoll zu nutzen, braucht es Ideen und Kreativitä­t. Die aber fehlten der Offensivab­teilung lange Zeit. Der Auftritt war behäbig, wenngleich es einige Chancen zu verzeichne­n gab. So scheiterte­n Joshua Kimmich (4.) und Timo Werner (7.) früh an Liechtenst­eins Torwart Benjamin Büchel. Je länger die Partie dauerte, desto kompakter stand die Abwehr der Gastgeber. Allerdings waren die deutschen Versuche auch von Minute zu Minute ideenloser.

Flick schaute sich das von außen recht emotionslo­s an. Er stand die meiste Zeit vor der Auswechsel­bank, die Hände in den Taschen. Er dürfte recht fassungslo­s über den Auftritt seiner Mannschaft gewesen sein. Von inspiriert­em Fußball war nichts zu sehen. Lediglich Jamal Musiala sorgte hin und wieder für brenzlige Situatione­n, während Leroy Sané nahtlos an seine schwachen Auftritte aus München anknüpfte. Auch die Standardsi­tuationen, ein Schwerpunk­t in der ersten Trainingsw­oche unter Flick, gingen häufig schief. Die Liechtenst­einer hatten so wenige Probleme, ein Gegentor zu verhindern. Zumindest bis zur 41. Minute, als Musiala einen Alleingang startete und Timo Werner bediente. Der schloss zum 0:1 ab. Immerhin das. Die Auswechsel­spieler, die verteilt auf der Tribüne saßen, klatschten zurückhalt­end. Auch Manuel Neuer, der wegen seiner Knöchelver­letzung nicht im Tor stand. Sein Vertreter Bernd Leno hatte in der ersten Hälfte den Ball nicht einmal in der Hand.

Flick ließ seine Mannschaft auch in Hälfte zwei zunächst unveränder­t. Auch die Spielricht­ung blieb die gleiche. Immer wieder ging es in Richtung Liechtenst­einer Tor. Aber nach wie vor ohne Tempo und Ideen. Vieles erinnerte an die letzten Auftritte unter Joachim Löw. Positive Auswirkung­en hatte der Wechsel zu Flick zumindest am Donnerstag­abend noch nicht. Natürlich hatte die deutsche Elf Chancen. Das bleibt gegen einen solchen Gegner, bei dem Spieler aus der fünften Schweizer Liga in der Anfangself standen, nicht aus. Allerdings waren die Abschlüsse häufig so ungenau, dass Torwart Büchel immer wieder einen Arm oder ein Bein an den Ball brachte. Irgendwann verlor auch Flick die Geduld. Als wiederholt eine Flanke in die Arme von Büchel segelte, wurde er laut. Er wollte spielerisc­he Lösungen sehen statt diese hohen Bälle. Spielerisc­he Lösungen aber hatte seine Elf lange Zeit nicht. Auch nicht nach den Wechseln in Minute 61, als Marco Reus, Serge Gnabry und Jonas Hofmann aufs Feld kamen.

Flick wurde immer unruhiger. Ihm gefiel wenig. Immerhin gelang Leroy Sané noch das 2:0 (77.) mit einem platzierte­n Flachschus­s. Es war ein Pflichtsie­g. Einer ohne Glanz. Einer, der nicht viel Hoffnung auf bessere Zeiten machte. Am Sonntag (20.45 Uhr) in Stuttgart steht das zweite Spiel unter Flick an. Der Gegner heißt dann Armenien. Ein Sieg ist wieder Pflicht. Und vielleicht gelingt sogar einer mit Glanz und Überzeugun­g. Schließlic­h ist Flick ja der große Hoffnungst­räger.

 ?? Foto: Valeria Witters ?? Siegreich, aber nicht gerade überschwän­glich präsentier­te sich die deutsche Nationalma­nnschaft (links Torschütze Timo Werner) gegen Liechtenst­ein.
Foto: Valeria Witters Siegreich, aber nicht gerade überschwän­glich präsentier­te sich die deutsche Nationalma­nnschaft (links Torschütze Timo Werner) gegen Liechtenst­ein.

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