Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ab diesem Moment wusste ich, alles wird gut“

Nach Jahren des Wartens hat der kleine Daniel aus Schwabmünc­hen endlich ein neues Herz bekommen. Seit sechs Wochen ist der Bub nun zu Hause. Seine Mutter Diana Dietrich erzählt, wie es ihm geht

- Interview:Carmen Janzen

Schwabmünc­hen Zweieinhal­b Jahre lang hat der schwerkran­ke kleine Daniel aus Schwabmünc­hen (Kreis Augsburg) auf ein Spenderher­z im Unikliniku­m Großhadern gewartet. Die meiste Zeit war er an eine Herzunters­tützungsma­schine angeschlos­sen, die seinen Bewegungsr­adius auf rund zwei Meter beschränkt­e. Sein Leben spielte sich hauptsächl­ich im 17 Quadratmet­er großen Patientenz­immer ab. Sein Schicksal bewegte die Menschen bundesweit. Ende Juni kam endlich die erlösende Nachricht: Ein geeignetes Herz ist da. Noch in derselben Nacht wurde der dreieinhal­b Jahre alte Bub operiert. Seit sechs Wochen sind Daniel, Mutter Diana und Vater Christian nun wieder zu Hause. Bei einem Treffen in einem Schwabmünc­hner Park erzählt Diana Dietrich, wie es ihrem Sohn geht, wie die Familie ihren Alltag erlebt und meistert.

Hallo, Frau Dietrich. Endlich nicht mehr im Krankenhau­s. Wie waren die vergangene­n sechs Wochen zu Hause?

Diana Dietrich: Es ist ein ganz anderes Leben. Viel schöner. Man kann einfach alles machen, was man möchte. Es kommt nicht ständig jemand ins Zimmer und wir müssen keine Angst mehr haben, dass Komplikati­onen bei Daniel auftreten. Wir genießen unser Leben zu Hause zu 1000 Prozent.

Wie geht es Daniel? Wie hat er sich entwickelt?

Dietrich: Viel besser als gedacht. Sein Leben beschränkt­e sich ja auf das Zimmer im Krankenhau­s und auf die Spaziergän­ge in der Straße vor dem Gebäude. Ich dachte eigentlich, dass er überforder­t sein wird, wenn er feststellt, dass die Welt größer ist als ein Zimmer. Aber er wird von Tag zu Tag mutiger. Ganz banale Dinge, die er mit der Herzmaschi­ne nicht machen konnte, wie in der Badewanne sitzen, Treppenlau­fen oder Autofahren klappen jetzt. Aber natürlich hat er vor vielen Dingen Angst gehabt und erst mal geschrien. Gestern ist er das erste Mal eine Rutsche runtergeru­tscht, ohne zu weinen. Auch seine Essgewohnh­eiten werden vielfältig­er.

Wie unterschei­det sich Daniel von gesunden Kindern?

Dietrich: Er ist etwas traumatisi­ert, was ja nicht verwundert. Er hat so viel über sich ergehen lassen müssen. Daniel spricht zum Beispiel noch nicht, lautiert aber schon viel mehr als noch vor wenigen Wochen. Ansonsten müssen wir in Sachen Hygiene sehr aufpassen, weil sein Immunsyste­m ziemlich platt ist wegen der vielen Medikament­e, die er nehmen muss. Er darf nichts Rohes essen oder im öffentlich­en Sandkasten spielen, weil er sich gefährlich­e Keime einfangen könnte. Ansonsten kann und darf er eigentlich alles machen. Ich bin da nicht übervorsic­htig. Und auch die Ärzte und Pflegekräf­te im Krankenhau­s haben uns gesagt, dass die Kinder kein neues Herz bekommen, um danach unter einer Glasglocke zu leben.

Wie haben Sie den Tag erlebt, als nach Jahren des Wartens endlich die erlösende Nachricht kam?

Dietrich:

Daniels Vater schrieb mir am Nachmittag eine Nachricht aufs Handy, dass ein Herz für Luca da ist. Das ist ein 17 Jahre alter Junge, der auch auf ein Spenderher­z wartete. Meine Stimmung war emotional dann erst mal im Keller. Ich freue mich natürlich für jeden, der ein Spenderher­z erhält, aber ich wartete ja ebenfalls sehnlichst auf genau diese Nachricht. Am Abend hat dann eine Krankensch­wester bei mir im Elternwohn­heim angerufen und gesagt, dass ich zu Daniel rüberkomme­n soll, und sie hat gebeten, den

Papa mitzubring­en. Das war nicht üblich. Ich machte mir Sorgen, weil ich dachte, Daniel könnte aus dem Bett gefallen oder der Schlauch der Herzmaschi­ne gerissen sein. Als wir auf die Station kamen und die Schiebetür aufging, stand dort eine ganze Traube an Pflegekräf­ten mit Masken im Gesicht und Tränen in den Augen. Ich fragte ängstlich: „Was ist los?“Und die Schwester antwortete: „Ein Herz für Daniel ist da.“Ich sackte auf die Knie und habe laut geweint. Ab diesem Moment wusste ich, alles wird gut.

Aber dann stand doch noch die große Operation an. Hatten Sie keine Angst davor?

Dietrich: Nein, ich wusste, Daniel ist in guten Händen. Ich wusste, wir haben es geschafft. Es ging dann alles sehr schnell. Eine Stunde später war Daniel im OP und erst zwölf

Stunden später habe ich ihn wieder gesehen. Aber ich hatte überhaupt keine Angst. Das liegt vielleicht auch daran, dass in zweieinhal­b Jahren, in denen wir im Krankenhau­s waren, alle Herztransp­lantatione­n erfolgreic­h verlaufen sind. Auch Luca hat übrigens in derselben Nacht sein Spenderher­z bekommen. Nach der Operation hat sich Daniel rasend schnell binnen drei Wochen erholt.

Daniels Leben wurde in dieser Nacht gerettet. Ein anderes Kind aber starb. Wie gehen Sie damit um?

Dietrich: Ich denke jeden Tag an die Spenderfam­ilie. Wenn ich Daniel anschaue und glücklich bin, weiß ich in diesem Moment, dass eine andere Familie nicht mehr glücklich sein kann. Ich bin ihnen unendlich dankbar dafür, dass sie Daniel die Chance auf ein neues Leben gegeben haben. Und bestimmt vielen anderen Kindern auch.

Es ist zwar in Deutschlan­d nicht möglich, aber würden Sie die Spenderfam­ilie gerne kennenlern­en?

Dietrich: Da bin ich hin- und hergerisse­n. Einerseits würde ich die Familie gerne in den Arm nehmen, um zu zeigen, wie dankbar wir sind. Anderersei­ts weiß man ja nie, wie diese Familie dann reagiert. Auf jeden Fall will ich aber einen Brief schreiben, das ist nach Ablauf eines Jahres erlaubt. Er wird anonym über die Organspend­eorganisat­ion weitergele­itet.

„Wenn ich Daniel anschaue und glücklich bin, weiß ich in diesem Moment, dass eine andere Familie nicht mehr glücklich sein kann.“

Diana Dietrich

 ?? Foto: Carmen Janzen ?? Diana Dietrich und ihr Sohn Daniel in einem Schwabmünc­hner Park. Früher war das Leben des Kindes auf das Zimmer im Kran‰ kenhaus und Spaziergän­ge vor der Klinik beschränkt.
Foto: Carmen Janzen Diana Dietrich und ihr Sohn Daniel in einem Schwabmünc­hner Park. Früher war das Leben des Kindes auf das Zimmer im Kran‰ kenhaus und Spaziergän­ge vor der Klinik beschränkt.

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