Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Adelstitel zum Vergessen

Vor der Rückkehr an seine alte Wirkungsst­ätte bezeichnen einige Fans Julian Nagelsmann als „Lügenbaron“. Der Trainer der Bayern reagiert gleichmüti­g. Seine Mannschaft hat die Chance auf eine erste kleine Vorentsche­idung

- VON TILMANN MEHL

München Besonders einfallsre­ich war das natürlich nicht. „Gehen wir es an“, schrieb Julian Nagelsmann am 2. März auf Twitter. Mit „es“war das Pokal-Viertelfin­ale gegen den VfL Wolfsburg gemeint. Immerhin aber hatte Nagelsmann den schnöden Satz selbst verfasst und nicht eine Agentur in seinem Namen schreiben lassen – wie es zahlreiche Spieler machen. Zwischen TattooStud­io, Trainingsp­latz und ModeBoutiq­ue bleibt wenig Zeit, Wegweisend­es („Wichtiges Spiel für die Gesamtkons­tellation“) zu formuliere­n. Nagelsmann aber trat am 2. März sichtbar in den sozialen Medien auf. Er lässt zarte Einblicke in seiner Arbeit zu und erfährt im Gegenzug, wie Fans seine Arbeit sehen.

Im Allgemeine­n lässt sich festhalten, dass es um seinen Leumund rund um Leipzig besser bestellt war, als er noch nicht für den FC Bayern gearbeitet hat. Bei seinen digitalen Spaziergän­gen in den vergangene­n Tagen bemerkte Nagelsmann, dass im Zusammenha­ng mit seinem Namen häufig der Begriff „Lügenbaron“fiel. Er lese es, lasse es aber nicht zu nah an sich ran. Richtigste­llen wollte Nagelsmann es dann aber schon.

Den Vorwurf der Lüge handelte er sich ein, weil er anfangs angab, keine Mitarbeite­r aus Leipzig mit nach München nehmen zu wollen. Dann allerdings folgten ihm zwei Co-Trainer und ein Video-Analyst, zuletzt verpflicht­eten die Münchner noch Leipzigs Mannschaft­skapitän Marcel Sabitzer und da Dayot Upamecano bereits vor Nagelsmann bei den Bayern unterschri­eben hatte, sind nun eben sieben ehemalige Leipziger für den Meister tätig. Nagelsmann bemerkte zur damaligen Pressekonf­erenz-Aussage: „Wenn du da sitzt und sagst, ich will auf jeden Fall sechs Spieler und auch sieben Staff-Mitglieder mitnehmen, da weiß ich nicht, ob jeder Fan dann sagt, das ist besser. Würde der Fan morgen klatschen? Ich glaube nicht.“Außerdem seien die Assistenzt­rainer ja lediglich mit ihm weitergezo­gen, sie hatten schon mit ihm in Hoffenheim zusammenge­arbeitet. Der Sabitzer-Transfer schließlic­h sei für Leipzig ja so schlecht auch nicht gewesen, immerhin hätten sie so noch einige Millionen Euro kassiert, statt ihn am Ende der Saison ablösefrei ziehen lassen zu müssen.

Sowohl aus Münchner wie auch aus Leipziger Sicht ist jeder einzelne der insgesamt sieben Wechsel nachvollzi­ehbar – den weitaus besseren Schnitt aber dürften die Bayern gemacht haben. Sie haben sich selbst gestärkt und den ersten Verfolger geschwächt. Wenn Nagelsmann nun am vierten Spieltag wieder an die alte Wirkungsst­ätte reist, steht am Samstag (18.30 Uhr, Sky) nicht nur ein emotionale­s Duell an, sondern schon möglicherw­eise eine klitzeklei­ne Vorentsche­idung in der Meistersch­aft. Nicht, dass die Münchner die Schale nun schon im September überreicht bekommen, die Leipziger aber dürften allerhand Schwierigk­eiten haben, bei einer Niederlage die sieben Punkte Rückstand aufzuholen.

Während die Münchner vor der Länderspie­lpause bereits Nagelsmann­s neue Ansätze sehenswert umsetzten, bliebt bei Leipzigern unter dem neuen Trainer Jesse Marsch noch einiges Stückwerk. Die Münchner können zudem wieder auf Benjamin Pavard und Lucas Hernandez zurückgrei­fen, die nach längeren Verletzung­spausen wieder einsatzber­eit sind. Lediglich Corentin Tolisso und Kingsley Coman fallen für die Partie aus. Auch der unplanmäßi­ge Zwischenst­opp einiger deutscher Nationalsp­ieler in Edinburgh habe keinen negativen Einfluss. Dort mussten die Akteure mehrere Stunden nach technische­n Problemen warten, ehe sie mit einer Ersatzmasc­hine erst am Donnerstag­nachmittag nach Frankfurt geflogen wurden. „Lieber sie landen zwischen, als dass sie anders vom Himmel kommen“, gab sich Nagelsmann pragmatisc­h.

Ebenso nüchtern mag er auch das Spiel angehen. „Der Empfang wird meine Performanc­e nicht beeinfluss­en“, ist sich Nagelsmann sicher. Allzu große Überraschu­ngen sind aber ohnehin nicht zu erwarten. Mit Leroy Sané und Serge Gnabry befinden sich die beiden nach Comans

Video‰Analyst und zwei Co‰Trainer folgten ihm

Leipzig sucht noch nach einer stabilen Formation

Ausfall verblieben­en Außenstürm­er derzeit in guter Form, Robert Lewandowsk­i macht am Anfang der neuen Saison dort weiter, wo er nie aufgehört hat, und Thomas Müller ist nach seinen Adduktoren­problemen auch einsatzber­eit.

Die Leipziger hingegen haben bei ihrer Suche nach einer stabilen Formation in den ersten Spielen noch nicht zu einer letztinsta­nzlichen Lösung gefunden, was nach den Abgängen des Innenverte­idiger-Duos Upamecano und Ibrahima Konaté (Liverpool) auch nicht über die Maßen überrasche­nd ist. In den Vorjahren verloren die Leipziger unter anderem schon ihre Leistungst­räger Naby Keïta (Liverpool) und Timo Werner (Chelsea) an potentere Klubs. Selbst das von einem BrauseUnte­rnehmen bezuschuss­te Leipziger Fußballpro­jekt ist gegenüber dem europäisch­en Geldadel chancenlos. Das Spiel am Samstag könnte der erneute Beweis dafür sein.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Julian Nagelsmann versichert­e einst, keine Leipziger Mitarbeite­r mit nach München nehmen zu wollen. Nun aber ist die sächsische Gemeinde an der Säbener Straße doch erheblich gewachsen.
Foto: Sven Hoppe, dpa Julian Nagelsmann versichert­e einst, keine Leipziger Mitarbeite­r mit nach München nehmen zu wollen. Nun aber ist die sächsische Gemeinde an der Säbener Straße doch erheblich gewachsen.

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