Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Held von Talamone
Seit Jahrzehnten legt sich ein Fischer in der Toskana mit der Industrie und Kriminellen an. Dafür gab es Todesdrohungen. Doch seine unkonventionellen Methoden haben Erfolg
Talamone Paolo Fanciulli sagt etwas alarmistisch: „Es gibt keine Fische mehr in unseren Meeren.“Am Ende des Tages ist diese Behauptung widerlegt, denn der Fischer aus Talamone in der Toskana hat doch wieder einen beachtlichen Fang gemacht. Früh morgens ist er mit seiner „Sirena“hinaus aufs Meer geschippert. Ein paar Touristinnen und Touristen waren mit an Bord. Mittags bekommen sie den frisch gefangenen Fisch gebraten und serviert. „Pescaturismo“nennt sich das auf Italienisch, Fischtourismus. Fanciulli, den alle in Talamone nur „Paolo il pescatore“(Paolo der Fischer) nennen, ist ein Pionier auf diesem Gebiet.
Was macht ein Fischer, wenn die Fische immer weniger werden, die Bedingungen für ihn immer härter? Entweder gibt er auf. Oder: Er nimmt es mit der übermächtig erscheinenden Fisch-Industrie auf, wie David gegen Goliath. Fanciulli hat sich für diesen Weg entschieden, in den 80ern bereits. Die Großfischerei ließ damals den Küstenfischern mit ihren Fangmethoden kaum etwas übrig. Paolo Fanciulli, Sohn eines Fischers, der auf dem Tyrrhenischen Meer groß geworden ist und sich nie ein anderes Leben vorstellen wollte, kämpfte. Inzwischen ist er 60 und auf gewisse Art hat er gewonnen.
Das hat mit einem Traum zu tun, den Fanciulli „Casa dei pesci“nannte, das „Haus der Fische“. Ein Unterwassermuseum, das gleichzeitig die Schleppnetzfischerei verhinderte. Als er anfing, sich gegen die Großfischerei und ihre Schleppnetze zur Wehr zu setzen, zogen deren Trawler zum Massenfang ihre Netze über den Meeresboden. Und das auch noch unter Missachtung des Mindestabstands von drei Meilen von der Küste. „Das ist, wie wenn man zur Wildschweinjagd den Wald abbrennt“, sagt Fanciulli. Denselben Effekt hätten die Großfischer erzielt. Ihre Fänge waren enorm, der Schaden für den Meeresboden und die Fauna ebenfalls.
Wo Schleppnetze einmal über den Grund gezogen wurden, wächst nichts mehr. Den Fischen fehlen ihre Brutstätten. „Ich habe den Kampf gegen die illegale Fisch-Industrie aufgenommen“, sagt Fanciulli voller Stolz.
Zuerst versuchte er es mit harten Bandagen, die an Verzweiflung grenzten. Ende der 80er stürmte er in Sendungen des italienischen Fernsehens, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Doch auch eine von ihm organisierte Hafenblockade in Porto Santo Stefano 1990 half nichts. Wie ein moderner, toskanischer Odysseus fuhr er mit seinem Schlauchboot nachts alleine den illegal fischenden Trawlern im Tyrrhenischen Meer hinterher, ließ eine Sirene ertönen und hoffte als selbsternannte Küstenwache die Großfischer zu erschrecken. Mit mäßigem Erfolg. „Da sind Sizilianer, Kalabresen und Neapolitaner am Werk“, sagt Fanciulli andeutungsvoll. Seiner Frau und seiner Tochter wurde mit dem Tod gedroht. Und seinen Konkurrenten gelang es, ihn von den Fischmärkten der Umgebung zu vertreiben.
„Man wird nie 8000 Kilometer italienische Küste komplett kontrollieren können“, redet der Fischer weiter. Bodenschleppnetze sind in
EU-Gewässern offiziell seit 2016 verboten, doch: „Wo Nachfrage ist, wird sie von der Industrie bedient.“
Fanciulli hatte zwei Optionen: aufgeben oder eine List ersinnen.
Wie also konnte er die Schleppnetzfischer vor Talamone stoppen? Mit Unterwasser-Barrieren, in denen sich die Netze verhedderten. Fanciulli verbündete sich mit den Organisationen WWF und Greenpeace. Als 2006 die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden waren, wurden die ersten 100 Unterwasser-Barrieren vor Talamone auf den Meeresboden gelassen. Bald aber fehlten Spenden- und Fördergelder, Fanciulli musste sich erneut etwas ausdenken. „Dann realisierte ich meinen Traum, das Haus der Fische“, sagt er mit Nachdruck. Ihm schwebte ein Unterwassermuseum vor, mit Skulpturen auf dem Meeresgrund, die wie die Barrieren funktionierten, aber schöner sind.
Es fügte sich bestens, dass der
Marmor-Unternehmer Franco Barattini aus dem 200 Kilometer entfernten Carrara davon Wind bekam. Barattini stiftete hundert Marmorblöcke aus den Steinbrüchen Michelangelos, 2013 war das.
„Mein Unterwassermuseum nahm Form an, die Casa dei pesci wurde Wirklichkeit“, erzählt Fanciulli. International anerkannte Künstler wie Massimo Catalani formten Skulpturen aus den Blöcken. Emily Young, eine der führenden Bildhauerinnen Großbritanniens, stiftete einen zehn Tonnen schweren „Weinenden Wächter“, der 2015 vor Talamone zu Wasser gelassen wurde. 39 Kunstwerke schlummern dort nun; der Meeresgrund habe sich erholt, sagt Paolo der Fischer. „Die Skulpturen haben die Fische zurückgebracht.“Die Zeitung Corriere della Sera schwärmte: „Was im Süden der Toskana passiert ist, kann in jedem Teil der Welt wiederholt werden.“