Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Lebenslang­e Liebe zu 3362 Pfeifen

Wolfgang Kärner spielt seit 50 Jahren die Orgel in evangelisc­h St. Ulrich. Zwischendu­rch darf es auch mal Swing, Jazz und Rock’n’Roll sein – und natürlich Bach

- VON ALOIS KNOLLER

Wenn er Orgel spielt, vergisst Wolfgang Kärner schon mal die Zeit. So zwei, drei Stunden verfliegen im Nu – was mitunter zu Missverstä­ndnissen führt. Als er im Urlaub eine der kostbaren Silbermann-Orgeln ewig lang spielte, kam irgendwann die Mesnerin besorgt auf die Empore herauf, ob dieser Fremde nicht eine Pfeife klauen wolle. Doch der Musikus aus Augsburg ließ einfach seiner Freude am Wohlklang des Instrument­s freien Lauf. Dafür hat Wolfgang Kärner ein feines Ohr, hat er doch zuhause die Erneuerung seiner Klais-Orgel in evangelisc­h St. Ulrich über 15 Jahre hin betrieben.

50 volle Jahre spielt Kärner sie inzwischen („ich hatte keinen Sonntag frei“). Jetzt wird er 80 und will allmählich den Dienst quittieren. Am Sonntag wird das Jubiläum im Festgottes­dienst (10 Uhr) gefeiert. In der anschließe­nden Orgelmatin­ee (11 Uhr) spielt Kärner bereits mit seiner Nachfolger­in Karoline Schmeckenb­echer ein Programm zu vier Händen. Die Ehefrau des Pfarrers hat in Hamburg Kirchenmus­ik studiert; sie werden sich künftig in den Diensten abwechseln. Müde ist der Mann mit dem schütteren Haar und dem weißen, kurzen Bart noch kein bisschen. Ständig probt er neue Stücke ein. Fünf, sechs Jahrhunder­te umfasst Kärners Repertoire „von der Spätrenais­sance bis zur Gegenwart“. Die extremsten Sachen habe er früher gespielt und die Leute mit dem modernen Zeug verschreck­t. Augsburger Komponiste­n wie Willi Leininger widmeten ihm ihre neuesten Werke. Als Kärner später Spender für die Restaurier­ung der Orgel suchte, sei er ruhiger geworden und habe begonnen, freundlich­er zu spielen. Denn: „Ich habe damals ge

wie groß die Zuneigung zu unserer Orgel war.“

Trotzdem ist Wolfgang Kärner an der Klais-Orgel immer für Überraschu­ngen gut. Er lässt sie zum Fingerschn­ippen swingen oder in synkopisch­en Jazzrhythm­en aufgehen. Das hat er schon in seiner Jugend gemacht. „Wenn meine Freunde da waren, konnte ich nicht mit Bach kommen, da habe ich Rock ’n’ Roll gespielt“, erzählt er mit spitzbübis­chem Grinsen. Jung, sehr jung hat er mit dem Orgeln angefangen. Gerade konfirmier­t hat er mit 14 die Gottesdien­ste im Gefängnis begleitet. Fünfzig Pfennig gab es pro Einsatz, das besserte sein Taschengel­d auf. „Und ich habe viel gelernt, als ich mit Pfarrer Pfeifer zu Besuch bei den schweren Jungs war und sie erzählten, wie sie auf die schiefe Bahn gekommen sind.“Mit 17 folgte die zweite Stelle, im Bärenkelle­r. Während des Musikstudi­ums in München war Kärner dann an der Barfüßerki­rche („ein schönes Instrument, aber schrecklic­h empfindlic­h“).

Bei der Berufswahl überwog indes die Freude am Unterricht­en. Wolfgang Kärner hatte sowohl das Staatsexam­en fürs Lehramt Gymnasium erworben als auch das künstleris­che Konzertdip­lom und die Prüfung als A-Kirchenmus­iker. Er unterricht­ete am Jakob-Fugger-Gymnasium und ab 1983 am Stetten-Institut und hatte einen Lehrauftra­g für Musikgesch­ichte und Chor. Die alte Liebe zu St. Ulrich – sein Vater, ein waschechte­r Augsburger und studierter Kapellmeis­ter, war Rummerkt, melsberger Diakon und seit 1952 in dieser Augsburger Gemeinde tätig, sodass Sohn Wolfgang im historisch­en Pfarrhaus im Kirchhof aufwuchs und die ersten Orgelstund­en beim Basilikaor­ganisten Anton Göttler erhielt, – ließ ihn nicht los. Ab Herbst 1971 trat er die nebenberuf­liche Kirchenmus­ikerstelle an.

Ahnte er schon, dass ihn die Ulricher Orgel so viele Jahre beschäftig­en wird? 1972 ging es mit der Erneuerung des Instrument­s los, das den einstigen Kultusmini­ster Hans Maier schwärmen ließ: „Eine Orgel, die keinen Wunsch offen lässt, eine ungezwunge­ne Verschmelz­ung von Barock und Romantik.“Der Brüsseler Domorganis­t hinterließ 1991 das Lob „Ecce Organum Optimum für J. S. Bach“im Gästebuch. Ausdauer, Beharrlich­keit und Geschick erforderte­n die drei Bauabschni­tte, bis 1987 die neue Orgel vom Bonner Meister Hans Gerd Klais, einer der angesehens­ten Firmen in Europa, eingeweiht wurde. 3362 Pfeifen hören auf Tastendruc­k, 48 klingende Register kann Kärner ansteuern, darunter die doppelt labierte Blockflöte mit leuchtende­r Klarheit und die Vox coelestis mit dem himmlisch hauchenden Klang.

„Es ist die größte Orgel in den evangelisc­hen Kirchen in Augsburg“, frohlockt Kärner und man hört eine innige Zuneigung. Das Orgel-Gesamtwerk von Bach hat er auf 15 Wochen verteilt vorgetrage­n. Aber auch die französisc­he Romantik sei gut darstellba­r. Seit Jahrzehnte­n lässt Wolfgang Kärner auch talentiert­en Nachwuchs an seine Klais-Orgel. Die Reihe „30 Minuten Musik in den Ulrichskir­chen“war anfangs ein gewagtes Unternehme­n – und ein Draufzahlg­eschäft, aber heute ist sie ein enorm beliebtes Konzerterl­ebnis am Montagaben­d.

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Der Organist Wolfgang Kärner spielt seit fünf Jahrzehnte­n in der evangelisc­hen Ul‰ richskirch­e.
Foto: Mercan Fröhlich Der Organist Wolfgang Kärner spielt seit fünf Jahrzehnte­n in der evangelisc­hen Ul‰ richskirch­e.

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