Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Abschlussbericht der Expertenkommission
● Die Expertengruppe Die Projekt gruppe Reitenbuch war im Dezember 2019 vom damaligen Diözesanadminis trator und heutigen Bischof Bertram Meier eingesetzt worden. Ihr Auftrag: Sie sollte die Missbrauchsvorwürfe in Zusammenhang mit dem Josefsheim Reitenbuch aufklären. Die Projekt gruppe hat zusätzlich auch Missbrauchs fälle im Marienheim Baschenegg do kumentiert. Beide Heime befinden sich in Trägerschaft der Christlichen Kin der und Jugendhilfe. Elisabeth Mette (ehemalige Präsidentin des Bayeri schen Landessozialgerichts) standen als Leiterin der Gruppe mit Manfred Prexl (früherer Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München) und Bernhard Koloczek (Richter am Bundes sozialgericht) zwei weitere Juristen sowie Prof. Gerda Riedl, Leiterin der Hauptabteilung VI – Grundsatzfragen im Bischöflichen Ordinariat, zur Seite. Untersucht wurde die Zeit zwischen 1950 und 2005 – damals hatten die Dillinger Franziskanerinnen die Lei tung der beiden Heime.
● Die Erkenntnisse Laut dem Ab schlussbericht war es in der Vergan genheit in Reitenbuch wie auch in Ba schenegg zu Fällen strafbarer sexuel ler Gewalt gekommen. Zumindest zwei von drei beschuldigten ehemaligen Hausgeistlichen hatten Kinder miss braucht. Weitere Täter waren laut Ab schlussbericht im Heim Beschäftigte so wie ältere und ein ehemaliger Heim bewohner, der in der Nachbarschaft ei nes der Heime lebte. Im Marienheim Baschenegg kam es nach Erkenntnissen der Projektgruppe bis in das Jahr 2004 hinein zu körperlicher, psychischer und sozialer Gewaltanwendung durch Ordensschwestern, insbesondere durch zwei Gruppenleiterinnen. Körperliche Gewaltanwendung dokumentiert die Projektgruppe auch für das Josefs heim Reitenbuch – vor allem durch die bis 1972 verantwortliche Heimleite rin und vier als Erzieherinnen tätige Or densschwestern. Im fast 100 Seiten umfassenden Bericht wird geschildert, wie die Kinder immer wieder geschla gen wurden – mit Ruten, Kochlöffeln, Gürteln, Bettlatten oder mit Handbe sen. Für Bettnässer gab es offenbar be sondere Strafen. Schockierend sind auch die Aussagen, dass Kinder immer wieder zum Essen gezwungen wur den. Sogar Erbrochenes musste wieder gegessen werden. Ein weiteres er schreckendes Detail: In den beiden Hei men wurden Minderjährige zur Strafe offenbar auch in dunklen Kellerräumen eingesperrt. Nicht angeschnitten wurde das Thema Suizid: Ein Opfer erin nerte in der Berichterstattung an die ehemaligen Heimkinder, die sich nach ihrer schweren Zeit in Reitenbuch das Leben genommen hatten. Laut der Pro jektgruppenleiterin Elisabeth Mette gab es nur einen Fall, der sich konkret auf die Heimerziehung zurückführen ließ. Zum Kontrast gibt es im Abschluss bericht auch ein Kapitel, in dem Opfer positive Erlebnisse in den beiden Hei men schildern.
● Wie konnte das passieren? Dass den Kindern und Jugendlichen so lan ge ungeahndet Gewalt angetan werden konnte, begründet der Abschlussbe richt mit verschiedenen Faktoren. Elisa beth Mette sagt: „Gewachsene Struk turen wurden jahrzehntelang nicht über prüft. Die Zuständigkeit für die Haus geistlichen und damit auch die Prüfung ihrer Eignung war nicht klar, die Or densschwestern, die keinen geregelten Freizeitanspruch hatten, waren in den lange Zeit völlig überbelegten Heimen überfordert, wirtschaftliche Erwägun gen standen im Vordergrund – systemi sche Gründe wie diese haben den Missbrauch möglich gemacht.“
● Wie geht es weiter? In ihren Emp fehlungen zur Prävention legt die
Projektgruppe unter anderem nahe, un abhängige externe Anlaufstellen für von sexueller Gewalt betroffene Kinder zu etablieren, die Verantwortlichkei ten von Trägerverein, Geschäftsleitung und Heimleitung zu klären und das nichtpädagogische Personal in den Hei men auch im Hinblick auf eine mögli che Kindeswohlgefährdung auszuwählen und zu kontrollieren. In Bezug auf die Aufarbeitung empfiehlt die Projektgrup pe unter anderem ein Schuldeinge ständnis der Dillinger Franziskanerinnen und des Trägervereins sowie die Be reitschaft zu finanziellen Leistungen in Anerkennung des Leids.
● Abschlussbericht Die Erkenntnisse der Expertenkommission sind im In ternet einsehbar: Sie sind auf der Seite des Bistums unter www.bistum augsburg.de/RaeteKommissionen/ Missbrauch/ProjektgruppeRei tenbuch/Abschlussbericht veröffent licht. (mcz)